Kapital I.:470-482

6. Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie verdrängten Arbeiter
Eine neue Maschine rentiert sich für den Kapitalisten, wenn er mit gleicher Arbeiterzahl größere Stückzahlen oder die gleiche Stückzahl mit weniger Arbeitern herstellen kann. In jedem Fall verdrängt die Maschine Arbeiter. Im ersten Fall nur relativ zur produzierten Stückzahl gerechnet, im zweiten Fall absolut. Arbeiter werden im zweiten Fall arbeitslos durch Anwendung der neuen Maschine.
Marx widerlegt in diesem Kapitel eine bürgerliche Theorie, dass die Arbeiter entweder durch das Kapital, das die Maschine anwendet oder durch das Kapital, das die Maschine produzieren lässt, gleich viel Arbeiter wieder beschäftigt würde wie entlassen worden sind. Diese Theorie ist offensichtlich falsch.
Was aber eintreten kann, und historisch auch eingetreten ist, dass die Maschinerie in einer Branche Arbeiter arbeitslos macht, in anderen Branchen aber zusätzliche Nachfrage nach Arbeitern schafft.
1) Es entsteht zusätzlicher Bedarf an Produktionsmitteln (Rohstoffe und Energieträger)
2) Es entsteht zusätzlicher Bedarf durch Entwicklung neuer Produktionszweige = verstärkte gesellschaftliche Arbeitsteilung.
3) Mit dem wachsenden Mehrwert (Reichtum)  für das Kapital entsteht zusätzliche Nachfrage in den Luxusindustrien.
4) Mit dem wachsenden Mehrwert (Reichtum) für das Kapital entsteht zusätzliche Nachfrage nach fremden und fernen Produkten.
5) Durch Entwicklung des Weltmarkts entsteht zusätzlicher Bedarf in der Kommunikations- und Transportindustrie.
6) Mit dem wachsenden Mehrwert (Reichtum) für das Kapital entsteht zusätzliche Nachfrage nach Hausangestellten etc, also unproduktiven Lohnarbeitern.
Alle diese Wirkungen zusammen erklären, dass die industrielle Revolution durch Revolutionierung der Produktion zwar einerseits in den traditionellen Branchen Arbeiter freisetzte, aber gleichzeitig die Arbeiterarmee zahlenmäßig anschwellen ließ.

7. Abstoßen und Anziehen von Arbeitern mit Entwicklung des Maschinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie.

„Alle zurechnungsfähigen Repräsentanten der politischen Ökonomie geben zu, dass neue Einführung der Maschinerie pestartig wirkt auf die Arbeiter in den überlieferten Handwerken und Manufakturen, womit sie zunächst konkurriert. Fast alle beächzen die Sklaverei des Fabrikarbeiters. Und was ist der große Trumpf, den alle ausspielen? Dass die Maschinerie, nach den Schrecken der Einführungs- und Entwicklungsperiode, die Arbeitssklaven in letzter Instanz vermehrt, statt sie schließlich zu vermindern!“ K. Marx, Kapital I.: 471.

„Zwar zeigte sich schon an einigen Beispielen, ... dass auf einem gewissen Entwicklungsgrad außerordentliche Ausdehnung von Fabrikzweigen mit nicht nur relativer, sondern absoluter Abnahme der angewandten Arbeiteranzahl verbunden sein kann.“ K. Marx, Kapital I.: 471. (Diese Situation der Massenarbeitslosigkeit haben wir heute seit Mitte der 80er Jahre: Produktivere Technologie verdrängt immer mehr Arbeiter, ohne dass alle arbeitslos gemachten Arbeiter in traditionellen oder neu entstandenen Produktionszweigen neue Arbeit finden können.)

„In empirisch gegebnen Fällen ist die Zunahme der beschäftigten Fabrikarbeiter oft nur scheinbar, d. h. nicht der Ausdehnung der bereits auf Maschinenbetrieb beruhenden Fabrik geschuldet, sondern dem allmählichen Übergreifen auf Nebenzweige. ... Die Zunahme dieser Fabrikarbeiter war also nur der Ausdruck einer Abnahme in der Gesamtzahl der beschäftigten Arbeiter.“ K. Marx, Kapital I.: 472. (Gesamtzahl der beschäftigten Arbeiter heißt an dieser Stelle: Zahl der Fabrikarbeiter plus die Zahl der selbständigen Handwerker plus die Zahl der Manufakturarbeiter/innen.)

„Man begreift jedoch, trotz der vom Maschinenbetrieb faktisch verdrängten und virtuell ersetzten Arbeitermasse, wie mit seinem eignen Wachstum, ausgedrückt in vermehrter Anzahl von Fabriken derselben Art oder den erweiterten Dimensionen vorhandener Fabriken, die Fabrikarbeiter schließlich zahlreicher sein können als die von ihnen verdrängten Manufakturarbeiter oder Handwerker. ... Relative Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl verträgt sich also mit ihrer absoluten Zunahme.“ K. Marx, Kapital I.: 473.

Beispiel: Ein manufakturmäßiges Kapital von 500  ist angelegt in 200 c + 300 v  mit 300 Arbeitern.

Bei Übergang zum Maschinenbetrieb zerfällt dieses Kapital in 400 c + 100 v mit 100 Arbeitern. 200 Arbeiter wurden dadurch zunächst arbeitslos.

Aber mit Ausdehnung der Produktion von 500 auf 1500 kann das akkumulierte Kapital bei gleicher organischer Zusammensetzung von 4/5 c zu 1/5 v wieder 300 Arbeiter beschäftigen: 1200 c + 300 v

„Wächst das angewandte Kapital weiter auf 2000 ..., so werden 400 Arbeiter beschäftigt, also 1/3 mehr als mit der alten Betriebsweise.

Absolut ist die angewandte Arbeiterzahl um 100 gestiegen, relativ, d. h. im Verhältnis zum vorgeschossnen Gesamtkapital, ist sie um 800 gefallen, denn das Kapital von 2000 ... hätte in der alten Betriebsweise 1200 statt 400 Arbeiter beschäftigt.

Relative Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl verträgt sich also mit ihrer absoluten Zunahme.“ K. Marx, Kapital I.: 473.

„Wachstum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch proportionell viel rascheres Wachstum des in den Fabriken angelegten Gesamtkapitals.“ K. Marx, Kapital I.: 477.

Wirkungen der Wirtschaftszyklen: „Solange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf Kosten des überlieferten Handwerks oder der Manufaktur ausdehnt, sind seine Erfolge so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem Zündnadelgewehr bewaffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschützen wäre. Diese erste Periode, worin die Maschine erst ihren Wirkungskreis erobert, ist entscheidend wichtig wegen der außerordentlichen Profite, die sie produzieren hilft... Sobald aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und bestimmten Reifegrad gewonnen hat, ... erwirbt diese Betriebsweise eine Elastizität, eine plötzliche sprungweise Ausdehnungsfähigkeit, die nur an dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt Schranken findet.“ K. Marx, Kapital I.: 474.

„Die ungeheure, stoßweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und seine Abhängigkeit vom Weltmarkt erzeugen notwendig fieberhafte Produktion und darauf folgende Überfüllung der Märkte, mit deren Kontraktion Lähmung eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation.“ K. Marx, Kapital I.: 476.

„Wachstum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch proportionell viel rascheres Wachstum des in den Fabriken angelegten Gesamtkapitals. Dieser Prozess vollzieht sich aber nur innerhalb der Ebbe- und Flutperioden des industriellen Zyklus. Er wird zudem stets unterbrochen durch den technischen Fortschritt, der Arbeiter bald virtuell ersetzt, bald faktisch verdrängt...  Die Arbeiter werden so fortwährend ausgestoßen und angesaugt, hin- und hergeschleudert, und dies bei beständigem Wechsel in Geschlecht, Alter und Geschick der Angeworbenen.“ K. Marx, Kapital I.: 477.

„Die Unsicherheit und Unstetigkeit, denen der Maschinenbetrieb die Beschäftigung und damit die Lebenslage des Arbeiters unterwirft, werden normal mit diesem Periodenwechsel des industriellen Zyklus.“ K. Marx, Kapital I.: 476.

„Die Zeiten der Prosperität abgerechnet, rast zwischen den Kapitalisten heftigster Kampf um ihren individuellen Raumanteil am Markt. Dieser Anteil steht in direktem Verhältnis zur Billigkeit des Produkts. Außer der hierdurch erzeugten Rivalität im Gebrauch verbesserter, Arbeitskraft ersetzender Maschinerie und neuer Produktionsmethoden tritt jedes Mal ein Punkt ein, wo Verbilligung der Ware durch gewaltsamen Druck des Arbeitslohnes unter den Wert der Arbeitskraft erstrebt wird.“ K. Marx, Kapital I.: 476.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg