Was wird aus den Studenten?

 

Etliche Linke halten nichts von Studenten: Brav, angepasst, karrieregeil. Andere meinen, nur als StudentIn hätte mensch Zeit und Grips genug, die drei Kapitalbände von Karl Marx mit 2200 Seiten (oder wenigstens meine Kapitalkurzfassung mit 440 Seiten ;-) zu lesen, die mensch angeblich für das richtige linke Bewusstsein benötigt.

 

Was ist also von den Studenten zu erwarten?

Ökonomisch betrachtet sind Studenten Auszubildende, die auf ein mehr oder minder breites Segment der gesellschaftlichen Arbeitsteilung vorbereitet werden – ganz wie Lehrlinge oder Schüler. Von Lehrlingen und Schülern unterscheidet die Studenten zunächst nur das höhere Lebensalter – es sind junge Erwachsene, keine Jugendlichen.

 

Dass Studenten insgesamt oder vor allem auf eine Herrschaftstätigkeit für Staat und Kapital vorbereitet werden, dass ist ein linkes Gerücht, das sich allein durch statistische Zahlen widerlegen lässt.

 

Jedes Jahr beginnen rund 300.000 ein Studium, davon verlassen rund  ein Drittel oder 100.000 jedes Jahr die Uni ohne einen Abschluss. Für diese Studentinnen und Studenten wird’s sowieso nix mit einem Herrschaftsjob.

 

Bleiben noch 200.000 Studienabgänger mit einem Hochschulabschluss. Können die einen Herrschaftsjob kriegen? Rein rechnerisch wäre das möglich, wenn jährlich ungefähr 200.000 Herrschaftsjobs zu vergeben wären.

 

Zunächst: Was ist denn ein Herrschaftsjob? In der kapitalistischen Wirtschaft sind das die leitenden Angestellten, die „wesentliche Arbeitgeberfunktionen besitzen. Dazu gehört z.B. Einstellungs- und Entlassungsbefugnis oder eine umfassende Prokura.“  (Wikipedia)

 

1) Schauen wir also, wie viele solcher Jobs jährlich anfallen:

 

Von 38 Millionen Lohnarbeitern in Deutschland machen diese leitenden Angestellten rund 500.000 oder 1,4 % aller Lohnabhängigen. Gehen wir davon aus, dass im Durchschnitt jeder dieser Führungskräfte 12 Jahre im Amt ist, dann müssen jedes Jahr gut 40.000 Stellen von Führungskräften neu besetzt werden – in aller Regel werden sie von Akademikern besetzt.

 

Rein rechnerisch hätten also 20 Prozent aller Hochschulabgänger mit Examen die Aussicht auf eine kapitalistische Führungsposition. Natürlich kommt niemand sofort nach dem Studium in eine solche Position, sondern erst 10 oder 15 Jahre malochen, liebedienern und seinen Chefs in den Hintern kriechen. Diese zeitliche Verschiebung kann man aber statistisch ausblenden.

Halten wir also fest: Für 20 Prozent der Studienabgänger eröffnen sich kapitalistische Führungspositionen.

 

2) Bleibt noch der Öffentliche Dienst.

 

Im Öffentlichen Dienst gibt es ebensolche Führungspositionen, „mit ausreichend Befugnis zur Disposition über personelle und materielle Ressourcen“ – vergleichbar einem leitenden Angestellten in der kapitalistischen Wirtschaft. In der Regel beginnt eine solche Führungsposition mit der Besoldungsgruppe A 15, wie man aus folgender Liste ersehen kann:

In Besoldungsgruppe A 15 sind u.a. eingestuft:

Akademischer Direktor, Botschafter, Botschaftsrat, Bundesbankdirektor, Chefarzt, Dekan, Direktor, Generalkonsul, Gesandter, Museumsdirektor und Professor, Oberarzt, Oberlandesanwalt, Vortragender Legationsrat, Direktor einer Fachschule, Realschulrektor, Regierungsschuldirektor, Rektor, Schulamtsdirektor, Studiendirektor, Oberstleutnant, Fregattenkapitän, Oberfeldapotheker, Flottillenapotheker, Oberfeldarzt, Flottillenarzt, Oberfeldveterinär usw.

 

Der Staat ist jedoch eine andere Sphäre als die kapitalistische Ökonomie. Generell gilt für den Staat und die Staatsdiener, dass dort kein kapitalistischer Reichtum produziert, sondern Reichtum verzehrt wird. Die Staatsdiener sind keine produktiven Lohnarbeiter, sondern unproduktive Dienstleister.

 

 Ich gehe jedoch mit Karl Marx davon aus, dass jeder Staat sowohl den Schutz der herrschenden Klasse und ihrer Produktionsweise organisiert, also auch gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten, die mehr oder minder auch in einer selbstbestimmten und selbstverwalteten Gesellschaft erledigt werden müssen – in den Worten von Karl Marx: In allen Staaten umgreift „die Arbeit der Oberaufsicht und allseitigen Einmischung der Regierung beides ...: sowohl die Verrichtung der gemeinsamen Geschäfte, die aus der Natur aller Gemeinwesen hervorgehen, wie die spezifischen Funktionen, die aus dem Gegensatz der Regierung zu der Volksmasse entspringen.“ K. Marx, Kapital III. MEW 25, 397.

 

Diese Zwiespältigkeit der Staatstätigkeiten ist überall anzutreffen. Jeder öffentlich Bedienstete ist Herrschaftsvertreter nach außen. Jede LehrerIn mit Notengebung und Disziplinarrecht gegen Schüler ebenso wie jede SozialarbeiterIn, – neben ihren nützlichen oder vermeintlich nützlichen Dienstleistungen, die sie auch erledigen.

 

Diese Zwiespältigkeit der Staatstätigkeit ist aber auch arbeitsteilig organisiert, so dass gewisse Bereiche wie Militär, Polizei und Justiz fast ausschließlich Herrschaftsfunktionen gegen das lohnabhängige Volk ausüben. Für den gesamten öffentlichen Dienst trifft jedoch zu, dass Herrschaftsfunktionen mit höherer Besoldungsgruppe zunehmen.

 

Nun kann man sich lange streiten, welche Staatstätigkeit in welchem Ausmaß unterdrückerisch und welche bis zu welchem Grad gesellschaftlich notwendig ist. Ich denke, diese Frage lässt sich nur praktisch lösen, wenn dieser gesamte Staatsapparat einmal verschwunden und beseitigt ist. Bis dahin ist das tiefe Misstrauen gegenüber allen Beamten und Staatsdienern, das zu Recht in unserer Gesellschaft verbreitet ist, nicht verkehrt. Es ist nicht ganz verkehrt – mit den eben gemachten Einschränkungen - ALLE Neueinstellungen im höheren Staatsdienst zu den Herrschaftsjobs zu rechnen.

 

Jährliche Neueinstellungen im Staatsdienst machen gegenwärtig rund 1 % oder 50.000 der 5 Millionen Staatsdiener aus (Bund, Länder und Gemeinden, vergleiche: DIW-Bericht über den Öffentlichen Dienst)

 

Hochschulabgänger mit Examen bewerben sich jedoch in aller Regel für den „Höheren Dienst“, von dem es heißt:  In den Vorbereitungsdienst einer Laufbahn des höheren Dienstes kann eingestellt werden, wer ein Studium an einer Hochschule, dessen Mindest- oder Regelstudienzeit nicht weniger als drei Jahre beträgt und dabei Zeiten einer in den Studiengang eingeordneten berufspraktischen Ausbildung oder Tätigkeit nicht umfasst, mit einer Staatsprüfung oder, soweit üblich, mit einer Hochschulprüfung abgeschlossen hat.“ (BLV § 30).

Dieser Höhere Dienst macht weniger als 20 Prozent (eigene Schätzung) aller Staatsdiener aus. Bleiben also für die Hochschulabgänger jährlich schätzungsweise 20 Prozent von 50.000 neuen Staatsstellen, ganze 10.000 Stellen.

 

3) Wenn wir summieren, dann stehen für 200.000 Studienabgänger mit Examen rund 50.000 Stellen mit Führungsjobs zur Verfügung – ein Führungsjob für jeden vierten ausgebildeten Akademiker.

 

Wenn wir von den kleiner Selbständigen absehen, die sieben Prozent aller Erwerbspersonen ausmachen, wird die große Masse der ausgebildeten Hochschulabgänger zu Proletariern.

Ein bisschen besser bezahlte Proletarier, weil ihre Arbeitskraft besser qualifiziert ist, aber doch nur Proletarier, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen.

Proletarier, die um Leben zu können einen Kapitalisten finden müssen, der sich von der Verwertung ihrer Arbeitskraft Profit verspricht.

 

Wer meint, Hochschulabgänger gehörten insgesamt zum „Establishment“, hat möglicherweise auch veraltete Daten aus den 60er Jahren im Kopf. So gab es zum Beispiel im Jahr 1970 nur insgesamt 50.000 Hochschulabgänger. Da wird der Anteil von Führungsjobs für Akademiker um einiges höher gewesen sein als heute.

 

Wal Buchenberg, 16.10.04