Bruttolohn und Sozialstaat Im 19. Jahrhundert und in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts war ein Lohnbezieher pro Familie normal. Der
Durchschnittslohn musste also für drei, vier oder mehr Menschen reichen.
In dieser Zeit wurde der Lohn mehr oder minder brutto = netto ausgezahlt.
Diese Gesamtlohnsumme gelangte (fast) ohne Abzüge in die Hände der
Lohnarbeiter, die eigenständig dieses Geld unter die Familienmitglieder
verteilten. Inzwischen ist an die Stelle des früheren "Familienlohns" ein
"Individuallohn" getreten, der durch staatlich-bürokratische Transfers
ergänzt wird. Welche Wirkungen das auf die Lohnhöhe/Lohnkosten und auf das
Einkommen der Menschen außerhalb des Lohnverhältnisses hatte, wird hier
modellhaft skizziert. Lohnmodell 1)
- 18. Jh. u. 1. Hälfte 19.Jh. Alleinverdiener ohne
Bruttolohnaufschlag . Angenommen es gibt 50 aktive
Lohnarbeiter mit 150 Familienmitgliedern. Der Lohn für die 50 aktiven
Lohnarbeiter muss reichen für den Unterhalt von 200 Personen. Es gibt
keine staatlichen Transfers. Eine Gesamt-Lohnsumme von
meinetwegen 200 Euro wird brutto = netto an die 50 aktiven Lohnarbeiter
ausgezahlt. Der Tageslohn ist 4 Euro. Die gesamte Lohnsumme gelangt in die
Hände der Lohnarbeiterklasse und wird von ihr selber verwaltet. Jedes
Mitglieder der (aktiven plus inaktiven) Lohnarbeiterklasse hat
durchschnittlich 1 Euro pro Tag. Der "Bruttolohn" pro Lohnarbeiter ist 4
Euro. Der "Nettolohn" pro Versorgungsmitglied ist 1
Euro. Die Tages-Lohnkosten der
Kapitalisten sind 200 Euro. Sie erhalten dafür 50 Arbeitstage. Ein
Arbeitstag kostet die Kapitalisten 4 Euro. Lohnmodell 2)
zweite Hälfte 19. Jh. Frauen (und
anfangs auch Kinder) werden in die Lohnarbeit
gezwungen Es gibt nun 100 aktive Lohnarbeiter
mit 100 Familienmitgliedern. Es gibt keine staatlichen
Transfers. Durch die Mitarbeit von Frauen und
Kindern sinkt der Durchschnittslohn. Der Durchschnittslohn beträgt nun 3
Euro. Die Tageslohnsumme steigt von 200 auf 300. Die Lohnsumme von 300 wird brutto =
netto an die 100 aktiven Lohnarbeiter ausgezahlt. Die gesamte Lohnsumme
gelangt in die Hände der Lohnarbeiterklasse und wird von ihr selber
verwaltet. Jedes der 200 Mitglieder hat nun 1,5
Euro pro Tag zu leben, 50 Prozent mehr als im Modell 1).
Der "Bruttolohn" pro Lohnarbeiter
ist 3 Euro. Der "Nettolohn" pro Versorgungsmitglied ist 1,5
Euro. Die Kapitalisten erhalten für eine
gestiegene Lohnsumme von 300 Euro 100 Arbeitstage statt wie bisher 50
Arbeitstage. Bei einem eventuellen Abzug für niedrigere Produktivität von
Frauen/Kindern bleiben vielleicht noch 90 Arbeitstage der bisherigen
Produktivität. Jeder Arbeitstag kostet die
Kapitalisten jetzt 3,33 Euro statt wie bisher 4
Euro. Lohnmodell 3)
zweite Hälfte 20. Jh. bis heute. Sozialstaat,
Trennung von Brutto und Netto Wie im Modell 2 gibt es 100 aktive
Lohnarbeiter und 100 inaktive Mitglieder. Im Modell 2 hatte jedes der 200
Mitglieder 1,5 Euro pro Tag zu leben. Nun wird der Lohn der aktiven
Lohnarbeiter auf 2 Euro pro Tag festgesetzt und diese Lohnsumme von 200
Euro wird als Nettolohn an alle aktiven Lohnarbeiter ausgezahlt. Außerdem
zahlen die Kapitalisten noch 80 Euro als "Bruttolohn" in den
"Sozialstaats-Fonds" der Staatsbürokraten, die dieses Geld an die 100
Mitglieder ohne Lohneinkommen verteilen. Im Lohnmodell 2) hatten alle
Versorgungsmitglieder 1,5 Euro pro Tag zur Verfügung. Nun beträgt der
Nettolohn für aktive Lohnarbeiter 2 Euro, eine Steigerung um ein Drittel.
Der Tagessatz für die inaktiven Mitglieder ist aber von 1,5 Euro auf 0,8
Euro gefallen. Die Kapitalisten erhalten für eine
gesunkene Lohnsumme (280 statt 300 Euro) weiterhin 90 Arbeitstage Ein
Arbeitstag kostet die Kapitalisten statt 4 Euro im Modell 1) und 3,33 Euro
im Modell 2) nur noch 3,11 Euro. Resümee Obwohl die (verfügbaren) Löhne für
aktive Lohnarbeiter ständig gestiegen sind, sind die Arbeitskosten der
Kapitalisten pro Arbeitsstunde ständig gefallen. Die staatliche Verwaltung der
Einkommen für Mitglieder außerhalb des Lohnverhältnisses kommt die
Kapitalisten billiger. So hartleibig und geizig wie die Sozialbürokraten
gegenüber akuten Notlagen auftreten, so geizig und hartleibig könnten
Lohnarbeiter in der Masse unmöglich gegenüber Mitglieder der eigenen
Familie/Verwandtschaft/Bekannten sein. Das ist die Wirkungsweise des
Sozialstaats: Er senkt durch Verknappung der Sozialtransfers und durch
Spreizung der Lohn- und Sozialeinkommen die Lohnkosten der Kapitalisten
und zwingt immer mehr Menschen in Lohnverhältnisse. Links:
Die Sozialstaatslüge.
Jobmisere: Politische Ökonomie des
Jobangebots
Rückkehr der
Klassengesellschaft
Wal Buchenberg,
14.09.2006. |