Davon können Linke lernen: Kooperation übers Internet

Von Constantin Gillies

Mit Kollegen zusammenzuarbeiten, ohne sie persönlich zu treffen - das gehört für Mitarbeiter des TÜV Nord längst zum Alltag. Denn der Hamburger Unternehmensverbund setzt immer häufiger auf so genannte virtuelle Teams.

 

Das Prinzip: Für jeden Auftrag wird aus der 4500 Mann starken Belegschaft eine Spezialistentruppe zusammengezogen - ganz gleich, ob ein Kraftwerk oder die Bremsen eines ICE begutachtet werden sollen. Der Standort der Mitarbeiter spielt keine Rolle. So kann es sein, dass der Brandschutzexperte in Bielefeld sitzt, der Spezialist für Anlagenplanung in Hamburg und der Fachmann für Emissionen im Ausland. Verbunden ist das Team lediglich über eine Internetplattform. Hier treffen sich die Mitglieder zum Chat, tauschen Baupläne aus und rechnen Leistungen ab. Persönliche Treffen sind zwar immer noch erwünscht, aber nicht mehr zwingend notwendig.

Damit liegt der TÜV Nord voll im Trend. Die Zusammenarbeit im virtuellen Raum (Cyberspace) ist schon lange kein Vorrecht von Hightech-Konzernen mehr. "Virtuelle Teams findet man heute in Unternehmen jeder Größe", bestätigt Konrad Fassnacht, bei Siemens für E-Learning und elektronische Zusammenarbeit zuständig. Fast 20 Prozent aller Manager hier zu Lande arbeiten dauerhaft in virtuellen Teams. Das ergab eine Studie der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Bad Harzburg.

Probleme bei der Kommunikation

Die nötigen elektronischen Werkzeuge sind vielerorts schon vorhanden: E-Mail und Telefon gehören zum Standard, teilweise auch Instant Messaging, eine Art elektronisches Telegramm. Daneben nutzen viele Firmen so genannte Groupware. Diese Programme funktionieren wie eine Art elektronischer Schreibtisch im Internet: Jedes Teammitglied kann hier Dateien hinterlegen oder Botschaften mit Kollegen austauschen.

An der Ausstattung mangelt es also nicht. Dennoch sind nur 44 Prozent aller Manager mit der virtuellen Teamarbeit zufrieden, ergab die Umfrage der Akademie. Experten suchen die Gründe dafür außerhalb der Technik. "Die Kommunikation ist der schwierigste Teil", sagt Theodor Pindl, Autor des Buches von "Führen und Coachen von virtuellen Netzwerken". Wenn der Flurfunk verstummt und die Kaffeeküche kalt bleibt, gelten andere Gesetze als in der Bürowelt. Und vor allem die Führung müsse umdenken, so Pindl.

Soziale Kontakte fehlen

Denn digitale Zusammenarbeit verlangt von Vorgesetzten, Arbeit genau zu organisieren. Ins Büro stürmen und Last-Minute-Jobs austeilen ist passé. Für virtuelle Gruppenarbeit müssen Aufgaben portioniert werden. Zeitpläne, regelmäßige Konferenzen und Überprüfungen des Projektfortschritts sind Pflicht. Experten wissen: Online dauern Prozesse etwa doppelt so lang wie im normalen Büroalltag.

Zudem müssen Manager ihren Kommunikationsstil verändern: Das lockere Gespräch am Kopierer oder das beiläufige "Alles okay"" auf dem Gang - das fehlt bei der virtuellen Kommunikation. Steuert ein Teamleiter nicht gegen, bricht im Cyberspace schnell Kälte aus. Ein bewährter Trick: "Teilen Sie die Arbeit so auf, dass es kleine Überschneidungen zwischen den Aufgaben der einzelnen Mitglieder gibt", empfiehlt Dorothea Herrmann, Wirtschaftspsychologin von Synexa Consult, "das zwingt die Teamarbeiter dazu, nicht nur mit dem Leiter, sondern auch untereinander zu kommunizieren".

Konflikte können eskalieren

Die Nachteile der Technik ausgleichen - so lautet die Hauptaufgabe beim Führen auf Distanz. Ein Beispiel: "E-Mails tendieren zu Sachlichkeit, das kann auf Dauer zu einem anweisenden Charakter führen", warnt Herrmann. Sie rät deshalb, elektronische Mitteilungen immer mit einem freundlichen "Könnten Sie bitte ..."" oder "Haben Sie kurzfristig Zeit?" zu eröffnen. Fingerspitzengefühl ist also gefragt. Denn "im virtuellen Team eskalieren Konflikte schneller", weiß Herrmann aus ihrer Praxis. Es fehle das soziale Korrektiv.

Während es viel Mut erfordert, in einer Besprechung aufzustehen und laut knallend die Tür hinter sich zuzuschlagen, klinkt es sich aus einem Chatroom recht einfach aus. Spätestens dann stößt die Digitaltechnik an ihre Grenzen, Trainerin Herrmann: "Greifen Sie lieber zum Telefon."

Aus: Financial Times Deutschland