Was ist dran an der Kritik am
Zinskapital?
Die Kritik am „ausbeuterischen Zinskapital“
taucht immer wieder auf und diese Kritik hat eine lange Geschichte. Es
wäre verkehrt, diese Kritik als grundlos abzutun. Daher ein paar Gedanken
für ein kritisch-distanziertes Verständnis: Grundlegend für diese
Kritik ist: - Das Zinskapital ist Erwerb ohne Arbeit. - Das
Zinskapital ruiniert die arbeitende Gesellschaft.
Im Grunde ist das
dieselbe Kritik, die Marx am Kapital überhaupt geübt hat, die Marx’sche
Kapitalkritik wird hier nur auf eine bestimmte Form des Kapitals
konzentriert. Was ist also an dieser Kritik dran?
1. In der
Frühzeit des Kapitalismus - noch im Mittelalter gab es im Wesentlichen nur
diese zwei Kapitalformen: Das Handelskapital und das Wucherkapital
(Zinskapital). Die Kritik am Wucherkapital war in dieser Zeit
besonders heftig und scharf
(vgl. Luthers Reden gegen den Wucher), weil der Zinsfuß in der Tat
oft so hoch war, dass er den Unternehmer- oder Handelsprofit mit
einschloss. Insofern bereicherte sich damals das Wucherkapital an den
Bauern, Handwerkern und Händlern und akkumulierte Reichtum auf deren
Kosten.
In der heutigen Zeit scheint das in Teilbereichen
wieder zuzutreffen: Laut des Präsidenten des Deutschen
Sparkassen- und Giroverbandes, Dietrich Hoppenstedt, „arbeitet ein Drittel
des „Mittelstandes“ (kleines und mittleres Kapital) mit einem Jahresumsatz
bis zu fünf Millionen Euro ohne jeden Gewinn. Mehr als die Hälfte dieser
Unternehmen besitzt kein Eigenkapital.“
(spiegelonline/wirtschaft/0,1518,180580.00.html) Dieser Bereich des
kleinen und mittleren Kapitals sind nach Meinung der Zinskritiker die
„Opfer des Finanzkapitals“. Das ist jedoch eine ganz kurzsichtige und
kurzfristige Sicht. Tatsächlich sind es ganz normale Opfer der
kapitalistischen Konkurrenz, die dem Bankrott zugehen, nicht weil die
Zinsrate so hoch ist, sondern weil ihre individuelle Profitrate so niedrig
ist. Die Wirkungen mögen ähnlich sein wie beim Wucherkapital des
Mittelalters, die Ursachen sind aber ganz umgekehrt.
Das folgende
Schaubild:
wurde im
Economist folgendermaßen kommentiert: „Letztes Jahr erlebte den
tiefsten Fall der Profite seit den 30er Jahren.“ (Economist, 26.01.2002,
24) Gleichzeitig hatten sich die Unternehmen weiter verschuldet:
„Companies’ interest payments are absorbing a record share of their
profits, yet they continued to borrow more throughout last year.“
(Economist, 26.01.2002, 24)
Das Verhältnis von Unternehmensprofit
zu Zins betrug als 80 : 20 (günstigster Fall) und 50 : 50 (ungünstigster
Fall). Die Zinszahlungen sind zuletzt gestiegen, nicht weil die Zinsrate
gestiegen ist – sie ist in dieser Zeit gefallen -, sondern weil die
Unternehmensprofite gesunken sind und der Fremdkapitalanteil gestiegen
ist.
Profitable Unternehmen haben nach meiner Kenntnis eine
Gewinnrate von rund 15 % (schwankt konjunkturbedingt und sinkt tendenziell
seit dem Hoch von 1950). Großunternehmen haben im Allgemeinen einen
Fremdkapitalanteil zwischen 30 % und 40 %. Die Zinszahlungen übertreffen
hier nie den Unternehmerprofit. Anders ist das bei Unternehmen mit
wenig Eigenkapital und/oder niedriger Profitrate. Wenn ein Unternehmen zu
100 % mit Fremdkapital arbeitet, dann beginnen Unternehmensprofite erst
jenseits der Zinsrate von z.B. 7%. Viele kleine Unternehmen erreichen
aber nur eine Profitrate von 2 % oder 3%. Steigt deren Fremdkapitalanteil
über 50 %, dann bringt das den Tod auf Raten - die Zinsen fressen die
Profite auf.
Nebenbei: Die durchschnittliche Lebensdauer von
Unternehmen liegt in Deutschland bei rund 40 Jahren - mit sinkender
Tendenz.
2. Das moderne Kredit- und Bankenwesen ist gerade nicht
die Fortsetzung des mittelalterlichen Wucherkapitals, sondern es ist
gerade im Kampf gegen dieses Wucherkapital entstanden und entwickelt
worden. Wer genaueres wissen möchte, der sollte die Geschichte der
ersten Kreditbanken in Norditalien und Holland studieren, die kommunale
Einrichtungen waren, gerade um für die Handels- und Industrieunternehmen
den Zinsfuß niedrig zu halten und das Wucherkapital niederzuhalten. Das
moderne Kreditsystem ist das ziemliche Gegenteil des Wucherkapitals und
dient tatsächlich dazu, die Profitrate im gesellschaftlichen Durchschnitt
möglichst hoch zu halten, während das mittelalterliche Wucherkapital die
Profitrate möglichst aufgezehrt hat. Wie das im Einzelnen geht, ist ein
ziemlich komplizierter Prozess. Auf der Oberfläche kann man jedoch sehen,
dass der allgemeine Zinssatz ganz den Konjunkturen folgt: Ist die
Geschäftslage gut, dann steigt der Zins, ist die Geschäftslage schlecht -
wie gegenwärtig - dann sinkt der Zins. Nirgends wird da ein Versuch
sichtbar, die Profite der Unternehmen zu ruinieren. Dass Unternehmen in
der Konkurrenz zurückbleiben, sich wegen zurückgehender Profite
verschulden und dann Bankrott gehen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Die Bank ist da in jedem einzelnen Fall der Pastor, der das tote
Unternehmen zu Grabe begleitet, aber das Grab hat nicht der Pastor
geschaufelt. Wo es um den Bankrott großer Unternehmen geht, da ist der
Banker immer derjenige, der noch (fremdes) Geld nachwirft, wie wir jetzt
bei Kirch und anderen Pleitenkandidaten sehen können. Die Kritik am
„Finanzkapital“ ist also etwas, was für kleine Selbständige und kleine
Unternehmer typisch ist. Großunternehmer verstehen sich prima mit den
Bankern. Insofern greift diese Kritik wirkliche Missstände des
Kapitalismus auf. Insgesamt mangelt es dieser Kritik jedoch sowohl an
korrekten historischen Kenntnissen wie an Verständnis für den Gesamtablauf
der kapitalistischen Wirtschaft.
3. Die „Abschaffung des
Zinses“, von der diese Kritiker schwärmen, wird heutzutage jedes Mal
dann erreicht, wenn die Inflationsrate höher ist als der Zinssatz. Japan
hat zum Beispiel eine Zinsrate, die praktisch Null ist. Dort ist also der
Zins gegenwärtig abgeschafft, niemand denkt jedoch deswegen, dort sei das
Paradies eingekehrt. Abschaffung des Zinses kann für kleine
Selbständige und für kleine Unternehmer, die nicht mehr konkurrenzfähig
produzieren und verkaufen, eine Atempause bedeuten. Deren Existenzangst
steht hinter dieser Kritik am Zins- oder Finanzkapital. Für diese Wenigen
ist die Sache dringend und diese Leute sind also keine „Spinner“. Um die
Sache für alle dringend zu machen, wird jedoch behauptet, die Abschaffung
des Zinses sei die Lösung für die Probleme der Menschheit.
4. Im
übrigen haben Staatsschulden und Konsumentenkredite eine andere Dynamik
als Unternehmenskredite, insofern der Staat und die Konsumenten diese
Kredite nicht gewinnbringend anlegen. Gewinnbringend angelegte Kredite
sind (in der Regel) ihre eigene Einkommensquelle, sie können (in der
Regel) also aus den damit erworbenen Gewinnen abgezahlt werden. Staats-
und Konsumentenkredite müssen aus anderen Einkommensquellen
abbezahlt werden, aus Steuern, Lohn etc. Diese Frage ist also anders zu
beantworten. Wal Buchenberg, 14.2.2002.
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