Griechen 12 6. Handel in klassischer
Zeit In der klassischen griechischen Sprache sind über hundert
Zusammensetzungen mit dem Wort „Verkäufer“ überliefert, wie
„Parfumverkäufer“, „Getreideverkäufer“, bei den Komödiendichtern auch
komische Wortbildungen wie „Beschlussverkäufer“. (Finley, Antike; S. 137f). Keine dieser Bezeichnungen
meint eine Berufsbezeichnung, sondern benennt eine aktuelle Tätigkeiten
einer Person, so wie das deutsche Wort „Zeitungskäufer“ keine
Berufsbezeichnung ist. Die Griechen handelten lange miteinander, ohne
je einem Händler oder Kaufmann begegnet zu sein. Die ersten Kaufleute, auf
die die Griechen trafen, waren wohl Phönizier, und solche Kauflaute
standen, wie wir aus der Odyssee wissen, in keinem guten
Ansehen.
Griechische Bauern verkauften ihre Ernteüberschüsse auf
den städtischen Märkten direkt an die Verbraucher, nicht an
Zwischenhändler, und sie kauften dafür Gerät und handwerkliche Produkte
bei den jeweiligen Handwerkern. Gleichermaßen zogen die ersten Handwerker
durch die Dörfer und boten den Bauern ihre Dienste an. Es gab lange Zeit
weder Läden, die ohne zu produzieren nur kauften, um zu verkaufen, noch
berufsmäßige Händler, die nicht auch Produzenten waren.
Der direkte
Austausch zwischen unterschiedlichen Produzenten ist jedoch nur bis zu
einer gewissen Entfernung möglich. Untersuchungen über den Einzugsbereich
von stadtähnlichen Siedlungen im römischen Britannien ergaben einen
ländlichen Einzugsbereich von 6 bis 8 Kilometer als maximale Entfernung
zwischen bäuerlichen und handwerklichen Produzenten, also eine Wegstrecke,
die damals als Hin- und Rückweg an einem Tag zurückgelegt werden konnte.
(Finley, Antike; S. 149)
Alle
Funktionen des Handels, die sich erst mit der Entwicklung der
Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land auf unterschiedliche Personen
verteilen, sind in der frühen griechischen Zeit noch im Produzenten
vereint: - Überbrückung von Raum (Transport): Der Produzent
transportiert seine Ware zum Marktplatz, der Konsument vom Marktplatz in
sein Haus. - Überbrückung der Zeit (Lagerung): Der Produzent
verkauft zur Zeit der Ernte, der Konsument kauft in großen Mengen, die er
einlagert und allmählich verbraucht. - Kontaktsuche: Produzent
und Konsument stellten persönlichen Kontakt her. -
Informationsaustausch und Wertbestimmung: Produzent und Konsument
verständigten sich über angebotene und nachgefragte Qualität sowie über
angebotene und nachgefragte Menge erhandeln daraus einen
Preis.
6.1. Handel und Transportarbeit Die erste dieser
Handelsfunktionen, die sich in Griechenland verselbständigt hat, war die
Transportarbeit. Das begann mit dem Verleihen von Lasttieren, Schiffen und
anderen Transportmitteln, was wir schon bei Homer fanden, führte über
einen bezahlten Träger, der Waren zum Markt oder vom Markt in den Haushalt
brachte, und schließlich bei stationären Produktionsstätten wie
Steinbrüchen, Erzförderung und der Forstwirtschaft zu selbständigen
Transportunternehmen.
In der vorrömischen Antike gab es kaum
gebaute Wege oder Straßen und keine Brücken über fließende Gewässer. Daher
ging die Transportarbeit in weit höherem Maß in den Wert der Produkte ein,
als wir das heute mit unserem ausgebauten Verkehrswesen uns vorstellen
können. Heutzutage beträgt der Transportkostenanteil von typischen
Agrarprodukten rund 10 % ihres Gesamtwerts, bei Holz und Baustoffen rund
20 %.
Der Römer „Cato berichtet in seinem Buch über die
Landwirtschaft über den Kauf einer Ölpresse. Der Preis beträgt etwas über
460 Sesterzen; die Stadt, in der sie zu kaufen ist, liegt mit dem damals
und in der ganzen Antike üblichen Transportmittel, dem Ochsenkarren, in 6
Reisetagen Entfernung; die Transportkosten machen 269 Sesterzen aus. Dies
bedeutet, dass die Ware auf einer Entfernung von etwa 100 km durch den
Transport bereits um fast 60 % teurer wird.“ (Pekáry, S. 92). Preisangaben aus römischer
Zeit, als wenigstens die größeren Städte mit Straßen verbunden waren,
ergeben, dass sich der Wert einer Wagenladung Weizen durch eine
Transportzeit von 20 Tagen, bzw. eine Entfernung von 500 km verdoppelte.
(Finley, Antike; S. 148) Für den
griechischen Landtransport müssen wir noch mit viel höheren Aufwänden
rechnen, einmal weil das Terrain für den Transport ungünstiger war als in
Italien und weil es kaum angelegte Wege gab. Der Transport von
Dachziegeln, kostete von Korinth rund 50 km zum Tempel in Eulesis pro
hundert Stück 240 Obolen, während dieselbe Menge für 20 Obolen verschifft
werden konnte. (Heichelheim II., S.
58). Landtransport war hier mehr als das zehnfache teuerer als der
Seetransport.
Die Säulen für klassische griechische Tempelbauten
waren so schwer, dass sie kein Ochsenkarren tragen konnte. Wir wissen,
dass man diese Marmorsäulen am Steinbruch im Liegen grob zu Walzen behaute
an deren beiden Enden kurze, mittige Zapfen hervorstanden. An diesen
Zapfen wurde ein Zuggeschirr befestigt, in das sechzig Ochsen gespannt
wurden, um die sechs Meter breite Walze zum Bauplatz zu rollen. (Finley, Antike; S. 148)
Die ersten
Griechen, die sich auf den kleinen Wanderhandel über Land spezialisierten,
kamen aus Aigina, einer Insel, die kaum fruchtbaren Ackerboden aufwies.
Die Aigineten wurden aus Not Händler und handelten in ganz Griechenland
mit „Kurzwaren“ mit geringem Einkaufswert wie Salben, Kämmen, billigem
Schmuck und ähnlichem. Die Aigineten und ihre Stadt kamen auf diese Weise
zu so großem Wohlstand, dass die Athener sich nur durch mehrere Kriege
gegen Aigina als nahegelegene Konkurrenzstadt durchsetzen
konnten.
6.2. Fernhandel Wir haben gesehen, dass für den
lokalen Markt im Umkreis einer halben Tagesreise keine berufsmäßigen
Händler als Vermittler zwischen Produzent und Konsument nötig waren. Aber
Rohstoffe und Produkte, die im lokalen Umkreis nicht gefunden oder
hergestellt wurden, mussten mit relativ hohem Aufwand und Risiko aus der
Ferne beschafft werden. Die Beschaffung und Verteilung solcher Güter
konnten bäuerliche oder handwerkliche Produzenten nicht neben ihrer
Produktionstätigkeit ausüben. Ein Scheidung in Händler und Produzent wurde
nötig. So entwickelte sich der Beruf des Händlers oder Kaufmanns aus
diesem doppelten Ausgangspunkt: dem Transportarbeiter und dem Fernhändler,
auf dessen Vorformen wir in dem Abschnitt über die Entwicklungsformen des
Handels eingegangen sind.
Die Schifffahrt erreichte mit weitaus
mehr Ladung eine viel höhere Geschwindigkeit als der Landverkehr. Bei günstigen Sommerwinden konnten
die einmastigen Segelruderer 60 bis 80 Seemeilen am Tag zurücklegen. Wer
im athenischen Hafen Piräus auslief, konnte dann Ephesos in 2 ½ Tagen,
Byzanz in 4 ½ Tagen, Rhodos in 3 ½ und Ägypten in 7 ½ Tagen erreichen.
(Heichelheim II., S.
89)
Normalerweise konnte ein griechisches Transportschiff
10 bis 15 Tonnen Ladung neben der Mannschaft aufnehmen. In späterer Zeit
wurden allerdings auch zweimastige Handelsschiffe für 200 oder 300 Tonnen
Ladegewicht gebaut. (Heichelheim II., S.
89f) Den ganzen stürmischen Winter über musste
die Schifffahrt allerdings ruhen. Höchstens die Route von Süd-Griechenland
nach Ägypten war befahrbar. (Heichelheim
II., S. 88) Trotz gestiegener Schiffstonnagen in römischer Zeit
verteuerte die Verschiffung von Getreide durch das Mittelmeer seinen Preis
immerhin noch um rund 25%.
Wenn dann von meinetwegen sechs Schiffen
erfahrungsgemäß vielleicht fünf ihr Ziel erreichten, mussten die Kosten
des verlorenen Schiffes samt Ladung als notwendige und unvermeidliche
Unkosten in den Wert der Ladung der ankommenden Schiffe eingerechnet
werden. Beim Landtransport wirkte ebenso wert- und preissteigernd auf alle
Produkte aus der Ferne die Tatsache, dass Fremde und ihr Besitz kaum
Schutz genossen. Jeder konnte sich ihren Besitz ungestraft an sich nehmen
und den Fremden samt seiner Habe verkaufen. Auch hier musste der Wert der
durchschnittlich und gewohnheitsmäßig geraubten und verlorenen Sendungen
in den Wert der Waren eingerechnet werden, die die Kunden
erreichten.
Von einem Holztransport von Makedonien nach Athen
wissen wir, dass allein die Transportkosten 1750 Drachmen betragen haben.
(Hasebroek, S. 84). Das sind fast 15
Jahreslöhne eines griechischen Lohnarbeiters. (Heichelheim II., S. 33,
berechnet als normalen Jahreslohn 120 Drachmen: „In the middle of the 5th century B.C.
the minimum wage in Attica was about 2 obols per day. An annual minimum
wage of 120 Attic drachms could be earned, but steady work for a whole
year was not usual.“) Solch hohe Kosten mussten von reichen
Geldbesitzern vorgeschossen werden, sonst wären diese Transporte nicht
möglich geworden.
In der Bibel lesen wir von dem Propheten Hesekiel
um die Wende des 6. Jahrhunderts v. Chr. über die Stadt Tyros: „Die du
wohnst am Zugang zum Meer und für die Völker mit vielen Inseln Handel
treibst... Deine Bauleute haben dich aufs allerschönste erbaut ... und
deine Wände mit Elfenbein getäfelt, gefasst in Buchsbaumholz von den
Gestaden der Kittiter. Deine Segel war beste bunte Leinwand aus Ägypten
als dein Kennzeichen und deine Decken waren blauer und roter Purpur von
den Gestaden Elischas... Alle Seeschiffe und ihre Schiffsleute fanden sich
bei dir ein, um mit deinen Waren Handel zu treiben. Perser, Lyder und
Libyer waren dein Kriegsvolk.... Die Männer von Arwad waren in deinem Heer
rings auf deinen Mauern und waren Wächter auf deinen Türmen... Tarsis hat
für dich Handel getrieben mit einer Fülle von Gütern aller Art und Silber,
Eisen, Zinn und Blei auf deine Märkte gebracht.“ (Hesekiel, 27, 1-12)
Das sind
die Waren, die laut Hesekiel, die in Tyros umgeschlagen
wurden: Rohstoffe und Halbzeuge: Elfenbein, Ebenholz, Malachit,
Purpur, Wolle, Eisen, Edelsteine, Gold, geflochtene und gedrehte Taue,
Korallen, Rubine, Harz, Kalmus, Balsam; Lebensmittel: Weizen,
Feigen, Honig, Öl, Wein, Zimt, Schafe, Widder,
Böcke; Fertigprodukte: Kupfergeräte, bunte Stoffe, feine
Leinwand, Reitdecken, Prachtgewänder, purpurne Mäntel, bunte Stoffe,
Teppiche; Arbeitskraft:
Sklaven, Reitpferde, Maulesel. Über die wirtschaftlichen Folgen
des Handels in Tyros sagt Hesekiel: „Als du deinen Handel auf dem Meer
triebst, da machtest du viele Länder satt, mit der Menge deiner Güter und
Waren, machtest du reich die Könige auf Erden.“ (Hesekiel, 27, 1-12)
Was konnten die
anfangs noch rückständigen Griechen dieser Warenwunderwelt im Austausch
bieten? Darüber gibt es in der Geschichtswissenschaft eine unentschiedene
und teilweise lächerliche Diskussion. So vermutete man: „Die
importierten Güter müssen für lokale Produkte eingetauscht worden sein.“
(Murray, S. 140) Welche lokalen
Produkte sollen das gewesen sein? Etwa Keramik? „Von dieser Zeit
an (um 530 v. Chr.) waren die
Athener die einzigen Griechen, die am Export gemalter Töpferware Geld
verdienten. Aus den Preisen zu schließen, die die Kaufleute auf einigen
Vasen einkratzten, kann der Profit nicht groß gewesen sein....“ (Boardman, S.
20) Abgesehen von der niedrigen Handelsspanne der Keramik,
interessierten sich die luxusverwöhnten Perser und Ägypter nicht für
griechische Handwerkskunst: „Es scheint, dass der größte Teil der nach
Ägypten gelangenden Keramik für griechische Tische bestimmt war.“
(Boardman, S. 163) Andere
Wissenschaftler vermuten: „The poleis of Greece proper paid for
their foreign trade exports from the wheat lands with wine, olive, fish,
and with all kinds of other agricultural produce for the most
part.” (Heichelheim II., S. 49). Wie man mit
einfachen Agrarprodukten technologisch fortgeschrittene Produkte vom
weiter entwickelten Ausland profitabel erhandeln kann, das werden heutige
Agrarländer von solch ökonomischen Geistern wie Herr Heichelheim
vergeblich erfragen. Andere Geschichtswissenschaftler sind in ihren
Vermutungen ganz zaghaft und berufen sich auf ihre Unkenntnis: „Die
Griechen holten sich Eisen, fertige Metallgegenstände, Textilien,
Kunsthandwerk aus Elfenbein und anderen halbedlen Materialien; was sie
ihrerseits anboten, ist erheblich schwieriger festzustellen.“ (Murray, S. 96)
Rätselhaft bleibt die Frage, womit die
anfangs noch rückständigen Griechen gegenüber dem reichen Asien handelten,
nur, solange man einerseits davon ausgeht, dass die Griechen nur oder
hauptsächlich ihre eigenen Produkte mit den asiatischen Produkten
tauschten und solange man andererseits die Rolle der Transportarbeit in
der Antike gröblich unterschätzt oder gar nicht beachtet.
Wie ein
Transportarbeiter nicht unbedingt eigene Produkte transportiert, so muss
ein seefahrender Händler keineswegs mit eigenen Produkten handeln. Was
haben denn die Phönizier - das typische Handelsvolk der Antike - außer
einer Lautschrift Eigenes produziert? Die Griechen handelten zunächst
nicht mit eigenen Waren, sondern mit dem, was sie auf ihren Raubzügen
zusammenraubten: Vieh, Sklaven, Waffen und Gerät usw.
Der Prophet
Hesekiel berichtete ausdrücklich, dass „Jawan“, die ionischen Griechen,
nicht eigene, sondern fremde Waren in Tyros angeliefert haben: „Wedan
und Jawan (Ionien) haben von Usal auf deine Märkte geformtes Eisen, Zimt
und Kalmus gebracht;“ (Hesekiel 27, 19) An anderer Stelle sagt er:
„Jawan (Ionien), Tubal und Meschech haben mit dir gehandelt und Sklaven
und Geräte aus Kupfer als Ware gebracht.“ (Hesekiel 27, 13) Die frühen Griechen
sind auf den Märkten des reichen Ostens zunächst als Zwischenhändler, wenn
nicht als Seeräuber aufgetreten, die ihre Beute versilberten. Da aber das
idyllische Bild der alten Griechen nicht Schaden leiden soll, wird das von
unseren idyllisch denkenden Historikern schamhaft verschwiegen oder
vertuscht.
Und weil zweitens die Transportarbeit in der Antike eine
so große Rolle spielte, konnten über weite Entfernungen auch Waren mit
geringem Einkaufswert gewinnbringend in der Ferne verkauft
werden. Handel tauscht nicht einfach gleiche Werte, sondern setzt vor
allem durch Transportarbeit Wert zu, der mit der Entfernung wächst. Gerade
durch die zugesetzte Transportarbeit können Waren von ursprünglich höchst
ungleichem Wert schließlich zu annähernd gleichen Werten getauscht
werden. Wie das geschieht, verdeutlicht die Grafik 3.

Wird
fortgesetzt, Wal Buchenberg |