Griechen 11 5.5. Griechen und
Einheimische Dass die griechische Kolonisationsbewegung in der
Regel nicht mit friedliche Mitteln betrieben werden konnte, geht sowohl
aus Ablauf und Organisation eines solchen Auszugs hervor, wie aus
Berichten von Kämpfen mit der einheimischen Vorbevölkerung. Darüber hinaus
zeigen archäologische Funde, dass viele vorgriechische Siedlungen in
griechisch kontrollierten Gebieten zerstört wurden. (Murray, S. 150f.) Trotzdem herrschen
bei heutigen Historikern über das Verhältnis der griechischen Kolonisten
zur ansässigen Bevölkerung zum Teil recht idyllische Vorstellungen:
„Als im Kielwasser der Kundschafter Kolonisten eintrafen, war es
natürlich, dass sich die eingeborene Bevölkerung in ihre Gemeinden und
teilweise ins Binnenland zurückzog und mit den Neuankömmlingen zu
beiderseitigem Vorteil Handel trieb." (Hopper, S. 33) Da ist es ganz „natürlich“
und wohl „zum beiderseitigen Vorteil“ , dass sich die eingeborene
Bevölkerung „ins Binnenland“ zurückzog, und ihre Reichtümer und Äcker den
Eindringlingen überließ - das Binnenland bestand aber entweder aus Steppe
oder aus Bergland. Anschließend treiben die Beraubten mit den Räubern
friedlichen Handel - womit eigentlich?
5.51 Tötung oder
Vertreibung der Einheimischen In einigen wenigen Fällen wie zum
Beispiel bei Pithekussai, wo mehr oder minder unfruchtbare Inseln
besiedelt wurden, darf man annehmen, dass die griechischen Kolonisten auf
keine Vorbevölkerung trafen. Überall, wo es fruchtbares Land gab, muss man
zumindest mit schwacher Besiedlung rechnen.
Schon bei der älteren,
ionischen Kolonisation in Kleinasien ist die literarische Tradition
„voll von Hinweisen auf anatolische Völker, auf die die Griechen
stießen und die sie verdrängten.“ (Boardman, S. 34) So wird von einem Bund
der wichtigeren ionischen Kolonien aus dem neunten Jahrhundert berichtet,
der darauf hinweist, dass die einzelnen Kolonien nicht auf sich gestellt
in der Lage waren, ihre Existenz gegenüber den einheimischen Karern zu
sichern. Da die Karer und andere Völker in Kleinasien keine Seefahrer
waren, kann man annehmen, dass die Küstenstreifen von ihnen nur dünn
besiedelt waren. Eine Verdrängung dieser einheimischen Bevölkerung aus den
Küstengebieten war für eine Landmacht keine Existenzbedrohung. In
Einzelfällen gab es auch eine Unterordnung früher griechischer Städte
unter einen lykischen König. (Herodot,
Stelle?)
Der Küstenstreifen von Nordafrika ist klimatisch
weniger begünstigt als die Ägäis. Dennoch betont Herodot ausdrücklich,
dass die Kolonisten dort auf eine einheimische Bevölkerung trafen: „Die
Libyer und die Äthiopier sind Einheimische; jene bewohnen den nördlichen,
diese den südlichen Teil. Die Phönizier und Griechen sind fremde
Einwanderer.“ (Herodot 4, 197)
Von der griechischen Kolonie Kyrene schreibt Herodot: „Es hat aber auch
das kyrenäische Land, welches in dem Teil Libyens, den die Nomaden
innehaben... drei bewundernswerte Gegenden;“ (Herodot 4,198)
Die militärische
Umsicht, mit der die Kolonisten bei der Auswahl eines Zielortes vorgingen,
beweist schon, dass sie mit bewaffnetem Widerstand der Einheimischen
rechneten. „Die frühesten Gründungen in einem Gebiet waren meist mit
besonderer Rücksicht auf Verteidigungs- und Seeverbindungsmöglichkeiten
angelegt; dies gilt z. B. für Naxos auf Sizilien oder auch die Kolonien in
der Nordägäis, wo die Chalkidike und Thasos vor den Bewohnern des
Festlandes geschützt liegen.“ (Murray,
S. 137)
Vor der Gründung von Syrakus hatten die Kolonisten
sich auf der kleinen und nur einige hundert Meter vorgelagerten Insel
Ortygia verschanzt, die erst nach der Vertreibung der ansässigen Sizilier
durch einen Dammweg mit der Sizilischen Hauptinsel verbunden
wurde.
Im Falle von Akragas, das 580 von Gela aus gegründet wurde,
lässt eine Massenbestattung aus dem siebten Jahrhundert den Schluss zu,
dass durch einen Vortrupp der eigentlichen Kolonisten eine Siedlung
eingeborener Sizilier vernichtet wurde. (vgl. Boardman, S. 221)
Die ersten
griechischen Kolonisten aus Megara in Sizilien wurden dort zunächst von
den Siziliern vertrieben, und wichen nach einem zweiten vergeblichen
Landungsversuch bei Leontinoi auf die steinige Halbinsel Thapsos aus. Dort
wurden sie nach einigen Monaten vom Sizilierkönig Hyblon aufgefordert,
einen Platz an der Küste einzunehmen, den sie Megara Hyblaia nannten und
der zwangsläufig von der gut fünfzehn Kilometer südlich gelegenen größeren
Stadt Syrakus beherrscht wurde. Im Jahre 438 v. Chr. wurde die Stadt dann
durch Syrakus zerstört. (Boardman, S.
206f)
5.52
Versklavung der Einheimischen Verschiedentlich gibt es Anzeichen
für getrennte Gräberfelder für die griechischen Kolonisten und für eine
arme und nur halb hellenisierte Bevölkerung. „Doch lassen sich nur zwei
sicher bezeugte Fälle für die Existenz einer Klasse von Leibeigenen in den
frühen Kolonien anführen: In Syrakus wurden die Güter der Aristokraten von
einer Gruppe von Männern namens Killyrioi (Eselsmänner?) bewirtschaftet,
die Aristoteles (Frg. 586 Rose) mit anderen versklavten Völkern
vergleicht... Der zweite Fall ist anders gelagert: In Herakleia an der
Südküste des Schwarzen Meeres hatten sich die Mariandynoi, ein lokaler
Stamm, angeblich freiwillig, den griechischen Kolonisten ausgeliefert und
arbeiteten nun auf deren Feldern; ..... es war ausdrücklich vereinbart,
dass kein solcher Ackerknecht nach auswärts verkauft werden durfte.“
(Murray, S. 150f)
Das entsprach ganz den
Gewohnheiten, mit denen die Spartaner in der Lakedaimonischen Heimat ihre
unterworfenen Heloten behandelten. Die Dorer, die später als andere
Griechen nach Griechenland einwanderten, waren anders als die Ionier
gewohnt, sich die einheimische Vorbevölkerung zu unterwerfen, um von deren
landwirtschaftlicher Arbeit zu leben.
Bei Kolonisierungen unter
dorischer Führung wie in Syrakus, in Herakleia am Pontos, in
Byzanz, wohl auch sonst um das Schwarze Meer können wir davon ausgehen,
dass sich diese dorischen Griechen gerade gut besiedelte und kultivierte
Gebiete für ihre Landnahme suchten, um sich die einheimische Bevölkerung
zu unterwerfen und botmäßig zu machen, auch wenn die Quellen darüber
wenige Aussagen machen.
Ist es nun eher Blauäugigkeit oder blanker
Zynismus, wenn ein Wissenschaftler aus der Tatsache, dass Ausgrabungen in
einer griechischen Kolonie das Fortbestehen vorgriechischer
Bestattungsbräuche und Keramikfunde beweisen, auf eine „friedliche
Integration“ dieser Bevölkerung schließt? Boardman schreibt: „Wenn
vorgriechische Keramikformen, Sprache und religiöse Bräuche fortbestanden,
so zeigt das, dass die Einheimischen von den griechischen Eindringlingen
auf friedliche Weise integriert wurden...“ (Boardman, S. 98)
Die
kriegerisch-aristokratische Lebensweise der Spartaner war nicht möglich
ohne die Ausbeutung einer unterworfenen Landbevölkerung. In der zweiten
Hälfte des 8. Jahrhunderts, also in der hohen Zeit der griechischen
Kolonisation, versuchten die Spartaner auch ihre griechischen Nachbarn auf
der Peloponnesischen Halbinsel zu unterwerfen. diese Messener widersetzten
sich zwanzig Kriegsjahre lang gegen eine „friedliche Integration“ durch
die Spartaner und auch nach ihrer „Integration“ hatten ihnen die Spartaner
jährlich neu den Krieg erklärt, um jeden neu aufkommenden Widerstand zu
ersticken. Jugendliche Spartaner gingen straflos auf Menschenjagd, um
ihren Mut durch Morde an den Heloten unter Beweis zu stellen. Kann man
mit Recht annehmen, dass diese Spartaner oder andere Dorer bei einer
Koloniegründung mit einer fremden Vorbevölkerung freundlicher umgegangen
sind, als sie es bei ihren griechischen Nachbarn gewohnt waren?
Von
langjährigen Kriegen der Kolonisten mit Einheimischen zeugen die
Dichtungen des Archilochos. Dessen Vater hatte im ersten Viertel des
siebten Jahrhunderts von Paros aus die Kolonie Thasos gegründet. Die
archäologischen Funde legen nahe, dass die Siedlung schon zu einem
gewissen Wohlstand gekommen war, als der junge Archilochos aus der Heimat
in die Kolonie seines Vaters kam. Archilochos verdiente dort
Lebensunterhalt als Söldner mit dem militärischen Schutz der griechischen
Kolonisten: „Diener des Ares bin ich, des Herrschers im
Schlachtengetümmel“(Archilochos 1 W = 1
D. zit. n. Murray, S.
138) und: „Gerstenbrot und ismarischen Wein verschafft
mir die Lanze, trinke ich, stehe ich auch fest auf die Lanze gestützt.“
(Archilochos 2 W = 2 D. zit. n. Murray, S.
138) Er hinterließ Lieder, die vom erbittertem Widerstand der
einheimischen „Thraker, diese Hunde“ (Archilochos 93a W = 51 D. zit. n. Murray, S. 138)
zeugen: „Irgendein Saier (Thraker) brüstet sich jetzt mit dem
prächtigen Schilde, den ich im Dickicht verlor - wahrlich, das wollte ich
nicht! Aber ich selbst entkam! Was soll mich der Schutzschild noch
kümmern? Fort! Ich schaffe mir bald einen noch besseren an.“ (Archilochos 5 W = 6 D. zit. n. Murray, S. 138) Von
seinen griechischen Mitkolonisten und seiner neuen Heimat spricht
Archilochos allerdings nicht freundlicher: „Abschaum von ganz Hellas,
so kamen wir auf Thasos zusammen.“ (Archilochos 102 W = 54 D. zit. n. Murray, S. 138) „Und wie
ein Eselsrücken, so starrt die Insel durchweg von dem wilden Wald ... Das
ist kein schöner Platz, gar nicht begehrenswert und gar nicht
lieblich...“ Thasos war auch nicht wegen seiner Naturschönheiten
begehrt, sondern wegen Goldvorkommen.
5.53 Frauen- und
Lebensmittelraub Mit Ausnahme vielleicht der Führerschaft, die ihre
Familien mitnehmen konnten, zogen bei einer freiwilligen Koloniegründung
nur kriegstaugliche Männer ohne Frauen und Familien aus. Sie konnten
erwarten, dass sie an ihrem neuen Zielort nicht nur Land für ihren
Lebensunterhalt, sondern auch Frauen für ihre Fortpflanzung vorfinden
würden. Der Frauenraub war als alter Brauch weder für die raubenden
Männer, noch für die geraubten Frauen ehrenrührig. Gewisse
Hochzeitsbräuche in verschiedenen Kulturen deuten ja darauf hin, dass der
Frauenraub älter als die mit Einwilligung der Eltern gestiftete Heirat
war. Für die Bräute wird das eine wie das andere auf ein und dasselbe
hinausgelaufen sein: Die Einwilligung der Braut war bei der gestifteten
Eheschließung ebenso wenig erforderlich wie beim Raub. Der Frauenraub
war in der antiken Welt so sehr üblich, dass er zu Herodots Zeiten nicht
mehr als Kriegsgrund galt: „Bisher war nichts weiter geschehen, als
dass von beiden Seiten Weiber entführt worden waren. ... Weiber entführen
sei eine Ungerechtigkeit; wegen der Entführten auf Rache zu denken, eine
Torheit; sich um die Entführten nicht weiter bekümmern eine Klugheit....“
(Herodot, 1, 4) Berichtenswert
war der Frauenraub in der griechischen Literatur nur, wenn sich daraus
ungewöhnliche, erzählenswerte Folgerungen ergeben haben.
Über die
Gründer von Milet berichtete Herodot: „Diejenigen aber unter ihnen,
welche aus dem Prytaneum der Athener ausgezogen sind und sich für die
edelsten unter den Ioniern hielten, nahmen keine Weiber mit in die neue
Pflanzstadt, sondern heirateten Frauen aus Karia, deren Eltern sie
umgebracht hatten. Um dieses Mordes willen machten diese Weiber ein Gesetz
und verbanden sich selbst durch einen Eid zu demselben, befahlen auch
dasselbe ihren Töchtern an, niemals mit ihren Männern zu speisen, niemals
ihren Mann bei seinem Namen zu rufen, darum, dass sie ihre Väter, Männer
und Kinder erwürgt und nach dieser Tat sie zum Beischlaf gebraucht hätten.
Dieses aber war zu Milet geschehen.“ (Herodot 1, 136)
In späteren Zeiten,
die der Kolonisation folgten, galten einheimische Frauen den Griechen der
Kolonialstädte nicht mehr als ebenbürtig. Dennoch wiesen dann immer noch
alteingesessene Kolonisten-Familien, wie in Thasos, stolz auf thrakische
Vornamen in ihrer Genealogie hin, was auf ganz frühe Verbindungen mit
einheimischen Frauen und damit auf „Gründeradel“ schließen ließ. (Murray, S. 149) Auch in Halikarnass und
Knidos, den ältesten griechischen Städten in Kleinasien lassen sich fremde
Bevölkerungsteile durch karische Vornahmen noch in klassischer Zeit
nachweisen. Im nordafrikanischen Kyrene hielten sich noch in Herodots Zeit
die Frauen an gewisse nichtgriechische Ernährungsvorschriften: „Von
Kühen zu essen halten auch die kyrenäischen Weiber nicht für erlaubt wegen
der Isis in Ägypten, welcher zu Ehren sie Fast- und Festtage halten.“
(Herodot 4, 186)
Ernster
als die Entführung von Frauen muss der Raub von Lebensmitteln gegolten
haben. Wie aber sollen ausfahrende Kolonisten sich ohne Lebensmittelraub
ein Jahr lang ernährt haben, bis sie frühestens auf eine Ernte im neuen
Land hoffen konnten?
5.54 Friedliches Miteinander als
Ausnahmen Die - relativ späte - Gründung von Marseille scheint mit
Billigung und Einwilligung der einheimischen Bevölkerung geschehen zu
sein. Von dort wird jedenfalls ausdrücklich berichtet, dass es ein gutes
Verhältnis zwischen griechischen Kolonisten und den Bewohnern des Landes
gegeben hat. Iustin berichtet, dass die Einheimischen von den Griechen
daran gewöhnt wurden, „nach Gesetzen und nicht bloß mit Waffengewalt zu
leben, auch Reben zu beschneiden und Ölbäume anzupflanzen; und bald war es
um Menschen und Dinge so glanzvoll bestellt, dass nicht Griechenland nach
Gallien ausgewandert, sondern Gallien nach Griechenland versetzt zu sein
schien.“ (Iustin 43, 3-4. zit. n.
Murray, S. 141f.) Auch bei Torre Galli in Süditalien sieht es
aus, als hätten dort Griechen in einer Siedlung zusammen mit Einheimischen
gelebt. ( Boardman, S. 22)
Es
wird verschiedentlich davon berichtet, dass einheimische Herrscher eine
Koloniegründung geduldet oder unterstützt haben, wie der lydische König
Gyges, der den Miletern erlaubte, Siedler an den Hellespont nach Abydos zu
schicken. (nach Strabon, vgl. Boardman, S.
110) Aber das muss keineswegs mit Einwilligung der dort ansässigen
Bevölkerung geschehen sein. Es sind Fälle bekannt, wo Koloniegründungen im
feindlichen Gebiet unterstützt werden, um einen Gegner zu schwächen. (vgl. Murray, S. 136) An der Nordküste des
Pontos z. B. scheinen die lokalen skythischen Anführer mit den
griechischen Kolonien zusammengearbeitet haben: Die skythischen Fürsten
lieferten Getreide und ihre eigenen Untertanen als Sklaven, die Griechen
tauschten dafür Luxusgegenstände aus Metall, die sich in großer Zahl in
skythischen Fürstengräbern gefunden haben. (Murray, S. 141)
Wie so häufig
erfahren wir auch bei der Kolonisation von Kyrene aus den Quellen zunächst
nichts von militärischen Zusammenstößen. Nachdem sich die Kolonisten schon
sechs Jahre an der Küste festgesetzt hatten, einigten sich die Anwohner
der Kyrenaika mit den Griechen auf eine Teilung des Landes zwischen
Kolonisten und Einheimischen. Dass es sich bei dieser Gebietsteilung aber
nicht um eine Freundesgabe gehandelt hatte, können wir zwischen den Zeilen
des Herodot lesen: „Die Libyer führten die Kolonisten also weg, traten
aber die Reise erst gegen Abend an; damit nämlich die Griechen die
schönste unter allen Gegenden im Durchzug nicht sehen möchten, hatten sie
die Stunde des Tages so abgepasst, dass sie des Nachts vorbeizogen... Als
sie die Griechen an eine Quelle... gebracht hatten, sagten sie: Ihr
Griechen, hier ist es euch vorteilhaft, zu wohnen;“ (Herodot 4, 149) Die Griechen waren
offenbar militärisch so stark, dass sie sich „die schönste unter allen
Gegenden“ sich mit Gewalt hätten aneignen können, wenn sie nur davon
Kenntnis gehabt hätten. Die ersten sechs Jahre an der Kyrenaischen Küste
hatte sich also kein Grieche einen Tagmarsch tief ins Landesinnere
gewagt.
Diese Landzuteilung stellte jedoch die griechischen
Kolonisten nicht auf Dauer zufrieden und als die aufblühende Kolonie
weitere Nachzügler anzog, okkupierten die Kolonisten weiteres Land ohne
Einwilligung der Libyer. Herodot erzählt weiter: „Die im Land wohnenden
Libyer und ihr König Adikran, welche ihres Landes beraubt waren und von
den Kyrenäern viel Mutwillen erleiden mussten, schickten nach Ägypten und
baten den König in Ägypten, Apries um Hilfe.“ (Herodot 4, 150) Trotz dieser „gütlichen“
Einigung kam es zu weiteren Schlachten. Im verlustreichsten Kampf verloren
die Kyrenaiker einmal 7.000 Schwerbewaffnete.
Ob nun die
einheimische Bevölkerung von den griechischen Kolonisten vertrieben,
verdrängt, unterworfen oder getötet wurde, die Kolonisation konnte nur in
den wenigsten Fällen mit friedlichen Mitteln durchgeführt werden. Selbst
wenn kein Widerstand mehr von Einheimischen zu befürchten war, stießen
bald die Interessen benachbarter Kolonien aufeinander und die griechischen
Kolonien führten dann untereinander Krieg.
5.6. Resultate der
griechischen Kolonisation Herodot beginnt seine
Geschichtsschreibung mit den Worten, er habe sie geschrieben, um „die
großen und bewundernswürdigen Taten der Griechen und der Fremden
gebührend“ zu preisen. (Herodot
1,1) Zu Beginn hatte er mehr bewunderungswürdige Taten von den
Nichtgriechen als von den Griechen zu berichten. Erst zu späterer Zeit,
als die Griechen ihren kulturellen Rückstand gegenüber den asiatischen
Fremden aufgeholt hatten, wurde dem Herodot sein positives Fremdenbild zum
Vorwurf gemacht.
Durch die Kolonisation des östlichen
Mittelmeerraumes kamen die Griechen in direkten und dauerhaften Kontakt
mit den alten Hochkulturen des Ostens in Kleinasien, Syrien, Ägypten und
Mesopotamien und deren kulturellen technischen und wirtschaftlichen
Errungenschaften. Die lernbereiten Griechen passten die Errungenschaften
der alten östlichen Hochkulturen an ihre indogermanischen Verhältnisse und
Gewohnheiten an und verbreiteten sie - teils direkt, teils durch spätere
Vermittlung über die Römer - allmählich in ganz West- und Nordeuropa. Dazu
zählte die Mathematik, die Schrift, die Astrologie, die Medizin, die
Eisentechnologie, die Steinarchitektur. Die frühe griechische
Philosophie von Thales bis Heraklit war eine landwirtschaftlich geprägte,
ganzheitliche Naturphilosophie, die auch östliche Einflusse aufgenommen
hatte. Die klassische griechische Philosophie eines Platon und Aristoteles
war dagegen eine Eigenschöpfung der ersten überwiegend Waren
produzierenden Gesellschaft der Menschheitsgeschichte mit einem
Handwerkergott im Zentrum allen Geschehens und dem handwerklichen
Arbeitsprozess mit Ideal (Zweck), Mittel (Werkzeug und
tätiges Sein) und ruhendes Sein (Produkt/Wirklichkeit) als den
zentralen Denkkategorien, von denen aus alle Wirklichkeit erklärt wurde.
Diese handwerklich geprägte Denkweise der Griechen legte die Grundlagen
des christlichen Abendlandes.
Die Mannigfaltigkeit der
Naturbedingungen, der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkte,
der gesellschaftlichen und politischen Zustände, mit denen die Griechen
durch ihre Kolonisation in engen und ständigen Kontakt kamen, bildeten
einen mächtigen Ansporn für die Vermehrung ihrer Kenntnisse und
Interessen, die Vermannigfachung ihrer materiellen und geistigen
Bedürfnisse, die Ausbildung ihrer Fähigkeiten und die Herausbildung einer
verstärkten Arbeitsteilung. Ein wachsender Teil der lebensnotwendigen
Güter wurde in den großen griechischen Städten nicht mehr zur
Selbstversorgung produziert, sondern für einen Markt. Dieser Markt
lebensnotwendiger Güter war in Transportzeiten gerechnet ebenso weit
gespannt wie unser heutiger Weltmarkt. Über die Hälfte des athenischen
Getreideverbrauchs wurde in klassischer Zeit von Ägypten und vom Schwarzen
Meer in einer Transportzeit von mehreren Wochen und ungünstigen Fällen von
mehreren Monaten herangeschifft.
Militärisch erreichte das Netzwerk
griechischer Siedlungen mit seinen zerstreuten Machtzentren mit relativ
geringem Einsatz an Waffen und aktiven Kriegern eine Lebensfähigkeit, die
es ihm erlaubte, in den Perserkriegen den Angriffen der damaligen einzigen
Supermacht erfolgreich Widerstand zu leisten. Die Siege gegen die
Perser leiteten die kurze Blütezeit der griechischen Klassik
ein.
Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg |