Griechen 07 4.2. Entwicklungsformen des
Handels Bisher wurde nur die Frage diskutiert, wer am frühgriechischen
Güteraustausch beteiligt war, nicht die Frage, wie dieser
Güteraustausch aussah, welche Formen er annahm. Vom Handel
mit Münzgeld wissen wir, dass er sich erst nach 640 v. Chr. in der
griechischen Welt durchzusetzen begann. Aber auch der Tauschhandel, der zu
dieser Zeit noch in weiten Teilen der Welt vorherrschte ist nicht die
älteste Form der Güterübertragung.
Wahrscheinlich hat der
Güteraustausch an zwei Ausgangspunkten begonnen: dem Raub bei Feinden und
dem Geschenk bei Freunden. Beide Formen der Besitzübertragung sind nicht
an sesshafte Lebensweise gebunden. Für beide lassen sich viele historische
und völkerkundliche Belege beibringen, die auf eine sehr frühe Zeit
verweisen. Bei beiden Formen kommt es auch noch nicht auf einen gleichen
oder ‚gerechten’ Tausch an: Man raubt, was man findet und man schenkt, was
man hat.
Sesshaftigkeit mindestens einer Seite setzt der
„schweigende Tausch“ voraus: Die Ankommenden legen am Strand oder vor den
Mauern einer Stadt ihre Güter nieder und ziehen sich dann wieder zurück,
um zu demonstrieren, dass sie keine kriegerischen Absichten haben. Die
sesshafte Seite nimmt sich von den angebotenen Gütern, was sie möchte und
lässt als Gegengeschenk oder als „Bezahlung“ von ihren eigenen Gütern
zurück, soviel sie möchten. Herodot schildert so einen „schweigenden
Tausch“ folgendermaßen: „Die Karthager (= Phönizier) erzählen
auch von einem Ort und von Menschen, die außerhalb der Säulen des Herakles
(= Gibraltar) wohnen; wenn sie dahin kommen und ihre Waren
herausbringen, legen sie dieselben ans Ufer und gehen wieder in die
Schiffe, auf welchen sie Rauch machen. Wenn die Einwohner den Rauch sehen,
kommen sie ans Meer und legen Gold für die Waren hin, worauf sie von den
Waren wieder weggehen. Alsdann steigen die Karthager wieder ans Land und
sehen zu; scheinen die Waren mit dem Gold bezahlt, so nehmen sie es und
fahren ab. Reicht das Gold aber nicht, so gehen sie wieder auf die Schiffe
und warten. Jene kommen und legen so viel Gold zu, bis diese zufrieden
sind. Sie betrügen einander nicht; denn sie rühren das Gold nicht an, bis
es dem Wert der Waren gleich ist; jene rühren die Waren nicht eher an, bis
diese das Gold genommen haben.“(Herodot 4, 196)
Hier wird auf
jeden Fall Beidseitigkeit der Güterübertragung erwartet, aber noch nicht
unbedingt und von Anfang ein Tausch in gleichen Werten, auch wenn Herodot
und die Karthager in diesem Fall darauf Wert legen. Der „schweigende
Tausch“ kann eine Güterübertragung zwischen Fremden ohne Blutvergießen
regeln. Falls aber die sesshafte Seite die angebotenen Güter ohne
Gegengabe an sich nimmt, ist das eine Kriegserklärung, die mit
Blutvergießen enden wird. Im anderen Fall, falls die Kauffahrer das Gold
und die Waren an sich nehmen wollen, müssen sie mit einem sofortigen
Angriff der Einheimischen rechnen. Der Tauschplatz kann also nicht so nahe
am Ufer liegen, dass die Kauffahrer ungestraft mit Gold und Waren abziehen
könnten. Das Erfolgsgeheimnis des „schweigenden Tausches“ ist die Drohung
mit einer bewaffneten Menschengruppe, die stark genug ist, um bei
Misslingen des Tausches Gewalt anzuwenden.
Bei Raub, Geschenken und
„schweigendem Tausch“ handeln in der Regel größere Gruppen von Personen,
ganze Sippen oder Stämme oder ihre Repräsentanten, ein König oder sein
Stellvertreter.
Sesshaftigkeit auf beiden Seiten setzt der
regelmäßige Tribut voraus, der eine Weiterentwicklung und mildere Form des
Raubes ist. Auch hier handeln die Personen in Vertretung eines Stammes
oder Staates.
Erst mit dem Wanderhandel beginnt das, was wir heute
gewohnt sind, Handel zu nennen. Beim Wanderhandel hatten wir schon
festgestellt, dass er eine Sache armer Leute ist. Wenn sich dann feste
Tage für den Handel einbürgern, entsteht auch der Markthandel. Bevor wir
uns anschauen, wie diese Entwicklungsformen des Handels in Griechenland
aufgetreten sind, zuvor noch eine allgemeine Übersicht:
Der Entwicklungsgang des Handels verläuft also vom zufälligen zum
regelmäßigen Gütertausch, vom ungleichen Werttransfer zum
möglichst gleichwertigen und von kollektiven (staatlichen) Akteuren
zu individuellen und privaten Akteuren.
Diese
Entwicklungsschritte sollen im folgenden geschildert und an den
verfügbaren Quellen belegt werden.
4.2.1. Raub Raub
leistet wie Handel eine Besitzübertragung und er vertritt entweder den
Handel (rauben, um nicht erhandeln und bezahlen zu müssen) oder der Raub
beginnt einen Handel (rauben, um zu verkaufen) - das ist der Fall beim
klassischer Raubhandel, dem Sklavenhandel. Wie der Handel ist auch der
Raub mit Mühen, man kann auch sagen: mit Arbeit, verbunden. Ziel und Zweck
ist die Aneignung einer fremden Sache. Die aneignende Tätigkeit besteht in
der kooperativen Anstrengung der Räuber, die nötig ist, um die bisherigen
Besitzer von ihrem Besitz zu trennen.
Für die Griechen war der
Krieg eine Erwerbsform neben anderen. Im „Oikonomikos“ wird der Krieg
neben Lohnarbeit, Handel und Landwirtschaft gestellt. „Die
Landwirtschaft ist am besten, weil sie gerecht ist. Denn sie geht nicht
auf Kosten der Menschen, ob die es nun wollen, wie im Handel und bei
Lohnarbeit, oder ob sie es nicht wollen, wie im Krieg.“
(Pseudo-Aristoteles, Oikonomikos (1343a 25-b) zit. n. Finley, Antike; S.
142f)
Das berühmte Wort
von Heraklit, „der Krieg ist von allem der Vater“, wird zu gern als
nur metaphorische Weisheit über abstrakte Widersprüche in der Welt
verstanden. Aber so wie Heraklit diesen Satz begründet: „Der Krieg ist
von allem der Vater, von allem der König, denn die einen hat er zu
Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu
Freien gemacht“ (Heraklit, 50. Die Vorsokratiker I, RUB) ist
eindeutig, dass Heraklit von blutigen, gewalttätigen und wirklichen
Kriegen der Antike, nicht von einer frommen Metapher spricht.
Auch
wenn der Räuber für sich selbst raubt und keinen Verkauf einleitet, ist
ein Raubzug häufig Vorbedingung des Handels: Er liefert Kenntnis der
Verkehrswege, der fremden Güter und ihrer Besitzer. Raubzüge senken das
Risiko eines folgenden Handelsverkehrs. Im allgemeinen werden Raubzüge in
der griechischen Welt dem Handel vorausgegangen sein und Seeräuberei blieb
der ständige Begleiter des Seehandels. In der Mehrzahl waren diese
Seeräuber Griechen, nicht Fremde. Der Historiker Thukydides schreibt über
die griechische Frühzeit:
„Die Hellenen in alter Zeit und auch
die Barbaren, die an den Küsten des Festlands und auf den Inseln wohnten,
hatten kaum begonnen, mit Schiffen häufiger zueinander hinüber zu fahren,
als sie sich auch schon auf den Raub verlegten, wobei gerade die
mächtigsten Männer sie anführten, zu eigenem Gewinn und um Nutzung für die
Schwachen; sie überfielen unbefestigte Städte und verstreute Siedlungen
und lebten so fast ganz von Raub. Dabei brachte solches Tun keine Schande,
sondern eher sogar Ruhm.“(Thukydides 1, 5, 1.) Raub brachte
also nicht nur Reichtum und Ruhm für die Mächtigen, sondern auch Nutzen
für die „Schwachen“ mit denen die Beute geteilt wurde.
Der
erzählerische Spannungsbogen der Ilias entwickelt sich aus einem Streit um
Beute zwischen Achill und Agamemnon. Und wenn die homerischen Helden
aufeinandertreffen unterhalten sie sich gegenseitig mit ihren
erfolgreichen Raubzügen. Achilles berichtet von seinen Heldentaten:
„Zwölf Städte von Menschen habe ich zerstört zu Schiff und elf zu Fuß,
sage ich, in der fruchttragenden Ebene von Troja. Aus allen diesen nahm
ich viele edle Kleinodien mit.“ (Ilias 9,
328-331)
Odysseus erzählt bei einer Gelegenheit: „Von Ilion trug mich der Wind
in die Nähe der Kikonen, nach Ismaros. Dort zerstörte ich die Stadt und
tötete die Männer; die Frauen und viele Güter nahm ich mit aus der Stadt,
wir verteilten sie, so dass mir keiner um seinen Anteil käme.“
(Odyssee 9, 39-42) Bei seiner Rückkehr in die Heimat berichtet er:
„Neunmal führte ich Männer und schnelle Schiffe gegen Männer eines
anderen Landes und sehr viel Beute fiel mir zu, von dem ich auswählte, was
mir passte, und viel erlangte ich dann durchs Los.“ (Odyssee 14,
230-233) Und in der Unterwelt wurden die von Odysseus erschlagenen Freier
seiner Frau nach ihrer Todesursache gefragt: „Regte Poseidon schwere
Winde und hohe Wellen auf und überwältigte euch in euren Schiffen? Oder
erschlugen auch feindliche Männer auf trockenem Land, während ihr Vieh und
schöne Herden von Schafen zu erbeuten suchtet oder während sie ihre Stadt
verteidigten und ihre Frauen?“ (Odyssee, 24, 109-113) Dabei handelte
es sich fast um eine frühgriechische Standardfrage, denn sie wird an
anderer Stelle bei anderen Toten wörtlich wiederholt. (Odysseus 11,
399-403) Eine ähnliche Frage wird häufiger an lebende Neuankömmlinge
gestellt: „Fremde, wer seid ihr? Von woher kommt ihr die feuchten Pfade
gefahren? Ist es eines Geschäfts wegen? Oder schweift ihr nur so hin wie
Seeräuber über die Salzflut, die da umherschweifen und ihr Leben daran
setzen, indem sie anderen Böses bringen?“ (Odyssee 3, 71-74 und öfter.
vgl. Murray S. 76)
Auch nichtgriechische Quellen belegen
griechische Beutezüge. Ein assyrischer Bericht meldet in den 730er Jahren
v. Chr. ionische Überfalle an der phönizischen Küste (Die Ionier waren
griechische Kolonisten an der kleinasiatischen Küste). Und für die
Hafenstadt Asdod ist belegt, dass dort im Jahr 712 Rebellen
niedergeschlagen wurden, die einen Ionier zum König gewählt hatten. Der
musste über besondere kriegerische Erfahrung verfügt haben. (vgl.
Boardman, S. 49)
Ohne überlegene militärische Ausrüstung und eine
zahlreiche Gefolgschaft war an einen Raubzug nicht zu denken. Für eine
erfolgversprechende Beutefahrt war also schon einiger Reichtum
Voraussetzung. Raub- und Beutezüge waren eine aristokratische Form der
Güterübertragung. Aber die Gefolgsleuten der kriegerischen Beutefahrer,
die „Schwachen“ haben nicht nur etwas von der Beute abbekommen, sondern
Seefahrt, Verkehrswege und Sitten und Gebräuche fremder Siedlungen und
Völker kennen gelernt. Das war wohl der dauerhafteste Gewinn. Herodot
spricht ausdrücklich davon, dass durch kriegerische Seefahrten die Adria
für alle Griechen bekannt gemacht wurde: „Die Phokaier haben als erste
unter den Hellenen weite Seefahrten unternommen, und sie sind es, die die
Adria bekannt gemacht haben und Etrurien und Spanien und die Stadt
Tartessos entdeckt haben. Sie fuhren nicht auf breiten Fracht-, sondern
auf Kriegsschiffen.“ (Herodot, 1, 163) Es werden keine
Ferienkreuzfahrten gewesen sein.
Aber schon Hesiod hatte
betont, dass Raub und Beutezüge nur einen kurzfristigen und keinen
nachhaltigen Wohlstand bringen, vor allem wohl weil die Rache der
Beraubten droht: „Denn mag einer auch kraft seiner Faust große Güter
erraffen oder zungenfertig erschwatzen... so stürzen die Götter leicht
diesen Mann, lassen sein Haus schwinden, und kurze Zeit nur bleibt ihm der
Wohlstand.“ (Hesiod, 320ff) Für Hesiod ist es schon selbstverständlich, dass
jemand mit einer Warenladung losfährt, nicht mit Kriegern. Der Inhalt
attischer Gräber im späten achten Jahrhundert weist reichen Goldschmuck
auf. Gleichzeitige bemalte Vasen zeigen Bilder von Seeschlachten mit
gekenterten Schiffen. Die Töpferei des siebten Jahrhunderts kennt solche
Motive nicht mehr. (vgl. Hopper..., S. 41)
Aber noch rund 100
Jahre nach Hesiod wird in einer gesetzlichen Bestimmungen des Solon
gesagt: „Was immer die ... Leute, die außer Landes gehen, um Beute zu
machen oder Handel zu treiben, ... miteinander vereinbaren, das soll
Geltung haben, soweit nicht staatliche Schriftstücke entgegenstehen.“
(zit. n. Gschnitzer, S. 79f) Kollektive Raubzüge und friedlicher Handel werden hier
von Solon gleichberechtigt auf eine Stufe gestellt.
Dass den
Griechen klar wurde, dass Raub nicht die vorteilhafteste Form der
Besitzübertragung ist, kann man bei Herodot nachlesen. Er erzählte die
Geschichte von dem besiegten Krösus, dessen Hauptstadt von den siegreichen
Persern geplündert wurde. Als Krösus das sah, fragte er den Perserkönig
Cyrus, was seine Leute da machen. „Sie berauben deine Stadt und
vernichten deine Güter!“ Krösus antwortete: „Sie berauben nicht
meine Stadt und meine Güter, denn davon gehört nichts mehr mir. Sie rauben
das, was jetzt dir gehört!“
Diese Parabel sagt nichts aus über
Krösus oder Cyrus, aber viel über die geänderte Einstellung der Griechen
zu Raub und Plünderung. Man hatte erkannt, dass es effektivere
Aneignungsverfahren gibt, und bald wurde der Raub auch moralisch geächtet.
Aber erst beim Philosophen Platon (427 – 347 v.Chr.) heißt es:
„Besitzergreifung durch Gewalt ist schamlos“ (Platon, Gesetze
941b.)
4.2.2. Aristokratische Geschenkkultur Die Griechen
wären nicht so erfolgreich gewesen, wenn sie nicht rechtzeitig in der Lage
gewesen wären, frühere Feinde in Handelspartner zu verwandeln. Und das
wäre ihnen nicht gelungen, wenn sie nicht gewusst hätten, sich Freunde und
Verbündete zu verschaffen und diese Freundschaften und Bündnisse zu
pflegen. Das sichtbare Zeichen von Freundschaft und Bündnis waren
Geschenke. Sie erfüllten vielfältige Funktionen im Leben der Griechen.
4.2.2.1. Geschenke unter Gleichgestellten Unter
Gleichgestellten besiegelten Geschenke eine Freundschaft oder ein Bündnis.
So berichtet Herodot von Krösus, dem König von Lydien: „Weil Kroisos
von allen diesen Dingen Nachricht hatte, schickte er Gesandte nach Sparta,
welche Geschenke mit sich brachten und wegen eines Kriegsbundes
Verhandlungen anbahnen sollten... Die Spartaner hatten auch schon vorher
einige Gefälligkeiten von ihm genossen. Denn als sie nach Sardes schickten
um Gold zu der Bildsäule des Apollon kauften, welche zu Larnax in dem
lakedämonischen Gebiet noch steht, machte ihnen Krösus bei diesem Kauf ein
Geschenk.“ (Herodot, 1, 69)
Unter Gleichgestellten können
daher auch Geschenke erbeten werden. Einmal schien es dem Odysseus klüger,
statt sofort mit leeren Händen heimzureisen, „noch durch mehrere Länder
zu reisen und um Geschenke zu bitten.“ (Odyssee, 19, 284)
Das
griechische Wort „xenos“ bedeutete ebenso „Fremder“ und „Ausländer“
wie „Feind“ und „Gastfreund“. Es hing vom gegenseitigen Verhalten ab,
welche Rolle der Fremde übernehmen konnte oder übernehmen musste. Als
Odysseus auf seiner Irrfahrt auf den Riesen Polyphem trifft, bittet er den
Riesen um ein Geschenk als Zeichen dafür, dass er Odysseus als Gastfreund
annimmt. Darauf antwortete der spöttisch: „Ich will dich als letzten
deiner Mannschaft verschlingen, das soll mein Gastgeschenk für dich sein.“
(Odyssee, 9, 370.) In einer Welt voller Fremde und Feinde waren
Geschenke Ausdruck gegenseitigen Respekts, der erst friedlichen Verkehr
miteinander erlaubte.
Für Geschenke wurde eine Gefälligkeit oder
ein Gegengeschenk erwartet, es war also ein Güteraustausch wie ein Handel.
Bei Aristoteles heißt es, dass „man dem, der uns gefällig gewesen ist,
Gegendienste erweisen und auch seinerseits mit Freundlichkeiten begegnen
muss.“ (Nikomachische Ethik 1133a 4-5.) Bei Homer wird einer
kritisiert, der den Sohn des vermeintlich toten Odysseus reich beschenkt
hatte und damit einen „Kredit“ eingegangen war, der wahrscheinlich nicht
„zurückgezahlt“ werden konnte: „Mit den Geschenken aber, die du
zehntausendfältig dargereicht, hast du eine vergebliche Gunst erwiesen.
Ja, wenn du ihn (Odysseus) lebend im Gau von Ithaka angetroffen hättest,
dann hätte er es dir mit Geschenken gut vergolten und dich auch mit guten
Gastgeschenken hinweggeschickt, denn das ist der Brauch, wenn einer damit
vorangegangen.“ (Odysseus, 24, 283-86). Die westliche Entrüstung
über die Rolle, die Geschenke heute noch in China zur Anbahnung von
Geschäften spielen, ist Ausdruck moderner kapitalistischer Denkweise, die
vergessen hat, dass es früher auch bei uns normal und selbstverständlich
war, dass man Geschäfte nicht mit Fremden, sondern nur mit
„Geschäftsfreunden“ macht. Im Unterschied zum Handel war
es beim Schenken nicht Ziel, gleiche Werte zu tauschen. Der Wert eines
Gegengeschenks repräsentierte nicht ein bestimmtes Quantum von
Arbeitszeit, sondern den sozialen Status des Gebers und den Respekt, dem
er dem Empfänger entgegenbrachte. Der Name des Gebers blieb daher immer mit einem Geschenk verbunden
und verlieh ihm seinen Wert. (Odysseus 4, 613 ff, wiederholt 15, 113
ff) So hatte z.B. Menelaos vom
König von Sidon einen silbernen Mischkrug erhalten, den er später dem
Telemachos weiterverschenkt, indem er ihm dabei die ganze Vorgeschichte
des Kunstwerks erzählt, um seinen Wert deutlich zu machen. (Odyssee 15,
113-19)
Es war also nicht nur möglich, sondern die Regel, dass im
Wert völlig unterschiedliche Dinge ausgetauscht wurden. Als Homer von so
einem ungleichen Tausch auf dem Schlachtfeld vor Troja berichtet,
missversteht er diesen Austausch als missglückten Handel, der den Tausch
gleicher Werte zum Ziel hat. Daher lässt er sich zu einem bei ihm sonst
seltenen persönlichen Kommentar hinreißen, um sein Unverständnis
auszudrücken: „Aber dann nahm Zeus der Kronide ihm seinen Verstand,
dass er seine goldene Rüstung mit Diomedes, ... gegen eine aus Bronze
vertauschte, den Wert von hundert Ochsen gegen den Wert von neun Ochsen.“
(Ilias, 6, 234-236.)
Das Schenken konnte sogar zum
aristokratischen Wettbewerb werden: „Die eine edle Frau und Tochter
eines reichen Mannes heimführen wollen und miteinander streiten, die
bringen selber als Schuldigkeit Rinder herbei und fette Schafe zum Schmaus
für der Jungfrau Anverwandte und geben glänzende Geschenke.“ (Odyssee,
18, 274ff.) Dieser Brauch,
die Eltern der Umworbenen zu beschenken, geht im klassischen
Griechenland verloren. Statt dessen entwickelt sich der Brauch der
elterlichen Mitgift für die Braut. (vgl. Murray, S. 56.)
4.2.2.2. Geschenke unter ungleichen Partnern Geschenke
hatten nicht immer den Charakter der Freiwilligkeit. Bei Homer finden wir
auferlegte Geschenke mit einem Beigeschmack von Strafe, so das
Versöhnungsgeschenk Agamemnons für Achilles. Wir finden „Geschenke“, die
Aristokraten dem Volk als Abgaben auferlegen, um ihre Ausgaben für
Gastfreunde zu decken: „Lasst uns noch jeden ein groß dreifüßig
Geschirr und ein Becken ihm verehren. Wir fordern uns dann vom
versammelten Volke wieder Ersatz; denn einen einzelnen belästigen solche
Geschenke.“ (Odyssee 13, 13-15.) Bei Hesiod hatten wir schon gesehen,
dass er wegen solcher Bräuche die Könige als „Geschenkefresser“ verflucht.
Wir finden Geschenke, die als Darlehen gedacht sind. Als der Sohn
von Odysseus sich von Noemon ein Schiff auslieh, rechtfertigte sich der
hinterher, es wäre ja schwer, ein solches „Geschenk“ zu verweigern.
(Odyssee 4, 651) Hier ist als „Geschenk“ nicht eine dauernde
Eigentumsübertragung gemeint, sondern eine zeitlich befristete Nutzung des
Schiffes, eine Leihgabe.
Wir finden schließlich Geschenke, die als
Tribut an einen Sieger zu zahlen sind. Immer verwendet Homer dafür das
Wort „Geschenk“: So bietet Agamemnon als Versöhnungsgeschenk an: „Und
sieben gutbewohnte Städte will ich ihm geben... Und dort wohnen Männer mit
vielen Schafherden und Rinderherden, die ihn wie einen Gott mit Geschenken
ehren werden.“ (Ilias 9, 149-155, wörtlich wiederholt in 9, 291-297)
Die Geschenkkultur des frühen Griechenlands übernahm also nicht
nur soziale Funktionen, sondern erfüllte auch vielfältige wirtschaftliche
Zwecke, die später von anderen Formen der Güterübertragung, der Steuer,
dem Tauschhandel usw. übernommen worden sind. Dabei handelte sich nicht um
eine spezifisch griechische Eigenart. Über das sogenannte Wüstentor der
Stadtmauer von Ninive lesen wir in einer Keilschrift unter Sanheribs
Herrschaft: „Die Begrüßungsgeschenke von Schumuil und Tema kommen hier
herein.“ (zit. n. Scheck,
Weihrauchstraße S. 92.)
Die Ausdehnung der Geschenkkultur machte
die Griechen mit der verlockende Welt fremder Kulturen und fremder
Reichtümer in Kleinasien, Syrien und Ägypten bekannt, bevor sie in
geregelte Handelsbeziehungen, dem Tausch gleicher Werte, mit diesen
Ländern eingetreten sind. Aristokratische Raubzüge können da nur eine
vorübergehende Form der Aneignung gewesen sein. Als zusätzliches und
wichtigeres Element des Kontakts mit fremden Welten, an der sich große
Bevölkerungsteile der Griechen beteiligten, entwickelte sich die
Kolonisation. Damit machten sich die Griechen zu ständigen Nachbarn dieser
fremden Völker. Die Kolonisation ist das Erfolgsgeheimnis des
wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs des antiken
Griechenlands.
Wird
fortgesetzt, Wal Buchenberg |