4. Entwicklung des Handels
4.1. Wer treibt zuerst Handel: Griechischer Krämer oder griechischer Aristokrat?
Zunächst brauchte niemand einen Händler. Der homerische Ausdruck „prekter“ unterschied noch nicht zwischen dem Handwerker und dem Händler (Heichelheim I., S. 245). Zum Teil musste der Auftraggeber die Rohstoffe stellen, die der dienstleistende Handwerker verarbeitete, zum Teil hatte der auch selber Rohstoffe bei sich.
So hat man im Donaugebiet das Gepäck eines reisenden Schmiedes ausgegraben und neben seinem Werkzeug auch Rohmetallstücke und Altwaren gefunden, die er repariert hatte oder einschmolz. Auch nachdem die überwiegende Zahl der Handwerker sesshaft geworden war, wurde das meiste auf Bestellung gefertigt und beim Produzenten gekauft. Händler, die Rohstoffe an Handwerker verkaufen oder Handwerksprodukte anbieten, die sie nicht selber gefertigt hatten, sind an eine gewisse Absatzgröße gebunden, die allerdings durch die griechischen Städte bald erreicht war. Solche Kleinhändler standen im Ansehen noch unter dem der Handwerker.

Wie aber sah es mit dem Fernhandel aus? Manche Historiker wollen den regelmäßigen Fernhandel bis ins 7. Jahrtausend und früher zurückverlegen: „Schließlich hat es Fernhandel schon seit der Steinzeit immer gegeben.“ (Finley, Antike; S. 208.) „Güterumlauf gegen Entgeld ist seit ca. 30.000 v. Chr. ... archäologisch nachweisbar. Schmuck- und Werkzeugmaterialien wandern z. B. vom Ind. Ozean in die Alpen.“ (Der kleine Pauly, Stichwort „Handel“).
Mit Sicherheit muss man annehmen, dass jede Form von Handel als geplante Wirtschaftstätigkeit an dauersesshafte Lebensweise und Ackerbau gebunden ist. Was Nomadenstämmen auf ihren Wanderungen an fremden Produkten in die Hände fiel, war von vielen Zufällen abhängig. Wie auch immer diese Produkte ihre Besitzer gewechselt haben mögen. Ich denke, solchen zufälligen Gütertausch oder Güterraub darf man nicht „Handel“ nennen, weil dieser Zufallserwerb nicht in die damalige Lebensplanung und Wirtschaftsweise eingehen konnte.

Gold und auch Silber wurde verstreut und in reiner Form überall in der Welt gefunden. Spätestens mit Herausbildung der Bronzekulturen mussten Kupfer und Zinn, die nur an relativ wenigen Orten gefunden wurden, aus der Ferne beschafft werden. Das Zinn wurde vermutlich schon sehr früh aus Britannien in den Orient gebracht. Herodot wusste nicht, wo der Ursprungsort des Zinns lag: „Ich weiß auch nicht, wo die kassiterischen Inseln liegen, aus welchen das Zinn zu uns kommt.“ (Herodot 3, 110)

In der Zeit um 1000 v. Chr. verbreitete sich in Griechenland der Gebrauch des Eisens. Vgl. Ilias 23, 833 ff, wo Achilles einen Klumpen Eisen als Preis eines Wettkampf anbot, wo das Eisen gleichzeitig das Sportgerät für einen Weitwurf war. Achilles bot es dem Sieger an: „zum Gebrauch für fünf volle Jahre, denn weder der Hirt noch der Pflüger brauchen aus Mangel an Eisen in die Stadt zu gehn, aber dies wird sie versorgen.“ Das Eisen wurde nur für zeitweilige Nutzung, nicht für dauerhaftes Eigentum vergeben.

Es gab zwar in Griechenland verstreut einzelne Eisen-Lagerstätten, aber die hat man wohl erst in späterer Zeit entdeckt. Die Hauptquellen für die Versorgung lagen im westlichen Asien und in Zentraleuropa (Finley, Odysseus, S. 61) und wahrscheinlich brachte der Kontakt mit Zypern die Eisentechnologie aus Asien nach Griechenland.

Die ältesten Eisenspieße in Griechenland, die in einem Grab aus dem zehnten Jahrhundert in Knossos gefunden wurden, hatten eine typisch zyprische Form (Boardman, S. 38). Um diese Anfangszeit der griechischen Eisenverwendung wird auch die Wanderungsbewegung der ionischen Griechen nach Kleinasien angesetzt, ohne dass wir bis jetzt den genauen Zusammenhang zwischen diesem wichtigen Technologiewechsel und den Wanderungsbewegungen im Einzelnen verstehen können. Unstrittig ist, dass die Technologie und Rohstoff des Eisens nicht bei den griechischen Völkern ihren Ursprung hatte.
Wie lässt sich dann erklären, dass die Helden Homers, dessen historisches Umfeld im 8. Jahrhundert v. Chr. zu suchen ist, zwar Eisen und Eisenhandel kannte, aber der Händler oder Kaufmann ihnen so wenig galt? Es kann nur heißen, dass das Eisen nicht über kleine, private Händler getauscht und vermittelt wurde.

An einer viel zitierten Stelle wird Odysseus als fahrender Kaufmann bezeichnet, was er als Beleidigung ansieht: „Ich halte dich ... für einen, der mit einem vielrudrigen Schiff fährt, für einen Herrn von Schiffsleuten, die Handel treiben, einen, der an die Ladung denkt, und dem Waren anvertraut sind, und der den Gewinn heftig ersehnt.“(Odyssee 8, 145-164.)
Finley zieht daraus den Schluss, dass der griechische Fernhandel in früher Zeit ganz in phönizischen Händen lag: „Aufs Ganze gesehen, lag die Versorgung der griechischen Welt mit allem, was sie auf friedlichem Weg von außen erhielt, in den Händen von Nichtgriechen, besonders von Phöniziern....“ (Finley, Odysseus, S. 71). Damit werden sicherlich zu weitgehende Schlussfolgerungen auf eine einzige Textstelle gegründet. Vor allem, weil es eine andere Textstelle gibt, wo sich nicht nur Homers höchste Helden sondern sogar eine Göttin speziell am Eisenhandel beteiligen: Als die Göttin Athene unerkannt Ithaka besuchen will, verkleidet sie sich als der Aristokrat Mentes und tritt als Herr der ‚ruderliebenden Taphier‘ auf, der mit seinem Schiff ‚schimmerndes Eisen‘ nach Temesa bringe, um es dort gegen Kupfererz einzutauschen: „Mentes, Anchialos‘ Sohn, des kriegserfahrenen Helden, rühm ich mich und beherrsche die ruderliebende Taphos. Jetzt schifft ich hier an, denn ich steuere mit meinen Genossen über das dunkle Meer zu unverständlichen Völkern, mir in Temesa Kupfer für blinkendes Eisen zu tauschen.“ (Odyssee, 1, 180-85)

Die Vorstellung, dass Handel sich für Aristokraten nicht schicke, ist nicht frühgriechisch und deshalb nicht historisch. Von anderen Völkern wie den Ägyptern wissen wir, dass gerade der Außen- oder Fernhandel ein Privileg des Königs, des Herrschers war und ägyptische Expeditionen ins Ausland, um Gold, Bauholz oder Sklaven zu holen, wurden entweder vom König selber angeführt oder von seinem Beauftragten. Der Erfolg einer solchen Expedition ist es wert, in der königlichen Vita festgehalten zu werden. Auch der König der griechischen Kolonie Kyrene beanspruchte in der Frühzeit das Handelsmonopol für das seltene Gemüse und Heilkraut Silphion (Murray, S. 158).

„Der Produktentausch (entspringt) an den Punkten, wo verschiedene Familien, Stämme, Gemeinwesen in Kontakt kommen, denn nicht Privatpersonen, sondern Familien, Stämme usw. treten sich in den Anfängen der Kultur selbständig gegenüber.
Verschiedene Gemeinwesen finden verschiedene Produktionsmittel und verschiedene Lebensmittel in ihrer Naturumgebung vor. Ihre Produktionsweise, Lebensweise und Produkte sind daher verschieden. Es ist diese naturwüchsige Verschiedenheit, die bei dem Kontakt der Gemeinwesen den Austausch der wechselseitigen Produkte und daher die allmähliche Verwandlung dieser Produkte in Waren hervorruft. Der Austausch schafft nicht den Unterschied der Produktionssphären, sondern setzt die unterschiedenen Sphären in Beziehung und verwandelt sie so in mehr oder minder voneinander abhängige Zweige einer gesellschaftlichen Gesamtproduktion.“
(K. Marx, Kapital I. MEW 23, 372.)

Der aristokratische „Handel“ der griechischen Frühzeit war einerseits halb militärischer Beutezug, halb freundschaftlicher Austausch von Geschenken zwischen königlichen Partnern, die keineswegs nur „privat“ für sich selber eintauschen oder raubten, sondern sowohl für das Gefolge, mit dem sie reisten, wie für die heimatliche Gemeinschaft von der sie ausgezogen waren.

Viele Indizien der Frühzeit Griechenlands sprechen für diese These: Schon die Bauart der Schiffe machte keinen Unterschied zwischen friedlichem Handel und kriegerischem Raubzug. Nur wohlhabende Aristokraten konnten zunächst die Zeit und die Mannschaften aufbringen für solche Seefahrten. Längere Seefahrten waren den Griechen nur in den Sommermonaten möglich, das heißt nur anstelle der landwirtschaftlichen Arbeit.

Das zweite Epos des Homer handelt hauptsächlich von den jahrelangen Irrfahrten des Helden Odysseus, der allerdings selber in der Lage ist, wenn nicht ein Schiff, so doch ein Floß zu bauen. Und ihre erfolgreichen Raubzüge bilden den beliebten Gesprächsstoff, wenn sich Homers Helden zu Gelagen treffen. Wie sonst lässt sich der frühe Erfolg Euboias oder Korinths als griechische Seemächte erklären, wenn nicht dadurch, dass die dort herrschenden Aristokraten reges Interesse am Seehandel hatten? „Die Koloniegründungen und die Außenpolitik Korinths lassen sich ... kaum anders erklären als dadurch, dass man eine Führungsschicht annimmt, die sich der Bedeutung von Handelsverbindungen vollkommen bewusst war.“ (Murray, S. 278.)

Erst im 5. Jahrhundert begannen die griechischen Stadtstaaten, Übereinkünfte ‚Symbola‘ genannt, zwischen den Städten und Staaten zu schließen, die für rechtmäßige Verfahren bei Streitigkeiten zwischen Privatbürgern ihrer Städte, also den Kaufleuten und Händlern, sorgten. (Finley, Antike; S. 189.)

Wie wurde dann vorher die Sicherheit des Außenhandels gewährleistet? Da der Fernhandel in früher Zeit in aristokratischer Hand lag, war er ein Teil offizieller Außenpolitik, die durch Bündnisse mit fremden Herrschern geschlossen und durch häufige gegenseitige Geschenke erneuert und bekräftigt wurden. In seiner Biographie über den athenischen Staatsmann Solon, der „einer der ersten Familien angehörte“, berichtet Plutarch, dass sich Solon als junger Mann dem Handel zugewandt hatte und er überliefert dessen Gedichtzeilen: „Reichtum begehre ich wohl, doch unrechtmäßig erwerben will ich ihn nicht...“ (Plutarch, Solon 1-2.)
Zu Solons Zeiten hat seine Handelstätigkeit ihm politisch nicht geschadet, und Plutarch fragt sich erst aus seiner späteren Sicht, die die kaufmännische Tätigkeit als niedere Arbeit verachtete, ob nicht die Tätigkeit Solons im Fernhandel ehrenrührig gewesen sei.

Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg