2.3. Das Handwerk. Innere und äußere Faktoren seiner
Herausbildung. Homer kannte zwar verschiedene handwerkliche Berufe,
aber sie werden noch nicht als Gruppe der Handwerker den Bauern
begrifflich gegenübergestellt. Der früheste Name, der solchen Spezialisten
als Gruppe zukommt ist „Demiurgos“, „Arbeiter für die
Gemeinschaft“, die auch von der Gemeinde bezahlt wurden. Da sie nicht wie
der bäuerliche Produzent für sich selbst produzierten, standen sie in
einem Zweck-Mittel-Verhältnis zur Landwirtschaft, aber das schadete ihrem
Ansehen zunächst nicht. Ein Relikt dieses ursprünglichen Ansehens mag es
gewesen sein, dass in Korinth noch in späterer Zeit die städtischen
Oberbeamten auch "Demiurgos" genannt wurden, was Herodot besonders
hervorhebt.
Dieses Ansehen ging später verloren. Bei Aristoteles
lesen wir dann, dass es "vornehm ist, kein ... Handwerk auszuüben, da
es das Merkmal des freien Mannes ist, dass er nicht mit Rücksicht auf
einen anderen lebt" (zit. n. Hopper, S. 74). Hieraus spricht
keineswegs unsere moderne Sicht, dass alle Lohnarbeit unfreie Arbeit,
letzten Endes Zwangsarbeit ist, auch wenn sie sich auf Vertragsfreiheit
beruft. Aristoteles sprach nur die Praxis des griechischen Bürgerrechts
aus, das die Bürgerfreiheit an Bodenbesitz gebunden hatte. Ein Handwerker
ohne Bodenbesitz konnte kein Stadtbürger sein. Aristoteles beim Wort
genommen wäre jeder Warenproduzent unfrei, weil er für den Austausch und
dadurch „mit Rücksicht auf andere“ arbeitet.
Die
griechischen Handwerker selber hatten eine positivere Einstellung zu ihrer
Arbeit als der Philosoph Aristoteles. Sie verewigten z. B. ihre Namen auf
ihren Schöpfungen. Das war nicht nur der Stolz der Bildhauer, die durch
ihre Werke bekannt und berühmt wurden. Sogar so scheinbar simple Gewerke
wie die Töpfer hatten ihren Stolz. Der Keramikmaler Euthymides schrieb auf
eine rotfigurige Amphore, die in München zu sehen ist: "So etwas hat
Euphronios nie zustande gebracht." (vgl. Hopper, S. 159)
Die griechischen Handwerker entstanden aus der Bauernschaft
und ihre handwerkliche Arbeit erbrachte Serviceleistungen für die
Landwirtschaft bei der Geräteherstellung und für sonstige Gebrauchsgüter.
So lebten die Handwerker auch zunächst unter den Bauern und da ihr
Kundenkreis klein und unsicher war, waren sie, sobald sie sich vom Boden
und der Landwirtschaft gelöst hatten, in ständiger
Wanderschaft.
Wenn also bei Homer handwerkliche Erzeugnisse von
besonderer Art und Qualität mit bestimmten Orten verbunden sind, wie z. B.
Chalkidische Schwerter und Becher, Korinthische Bronze, Argivische Waffen
u. a., dann heißt das in der frühen Zeit nicht unbedingt, dass diese
fremden Produkte gewandert sind, zunächst wird ihr Produzent gereist sein
und sie bei den Konsumenten an Ort und Stelle hergestellt haben.
Da
Handwerker zunächst nicht für einen anonymen Markt, sondern auf Bestellung
für einen bestimmten Bedarf produzierten, blieben technische
Weiterentwicklungen ganz abhängig von den vorgefundenen Bedürfnissen. Der
technische und handwerkliche Fortschritt war unter diesen Umständen
langsam.
Neuartige Produkte aus fremden Ländern, ob sie nun durch
Raub, Geschenk oder Handel nach Griechenland kamen, konnten nicht einfach
von heimischen Handwerkern imitiert und nachgeschaffen werden. Techniken
wie Filigranarbeit, Granulation beim Goldschmieden, Edelsteinschneiden
oder das Wachsschmelzverfahren beim Bronzeguss waren nur durch
persönlichen Kontakt mit erfahrenen Handwerkern zu erlernen. Aber auch
ausländische Handwerker reisten auf der Suche nach Kunden und Arbeit
umher, wie sich durch Vergleich der archäologischen Funde belegen lässt.
Gegen Ende des neunten Jahrhunderts v. Chr. arbeiteten phönizische
Goldschmiede in Knossos auf Kreta und wohl auch in Athen. Die dortige
Elfenbeinschnitzerei muss ebenfalls durch orientalische Handwerker bekannt
gemacht worden sein.
Bei Aristoteles heißt es: "Früher waren in
einigen Staaten alle Handwerker Sklaven oder Fremde, und die meisten sind
es auch jetzt noch." (Aristoteles Politik 1278a.). Indem die Griechen
fremde Handwerker zu sich einluden, konnten sie importieren ohne zu
exportieren, konnten fremdländische Produkte genießen, auch wenn sie den
orientalischen Kulturnationen noch nichts außer Lebensmitteln anzubieten
hatten. Aber sie erlernten auch die neuen Techniken.
Bei Produkten
muss es uns heute fremd vorkommen, dass zunächst die Produzenten
umherreisten und nicht die fertigen Produkte transportiert wurden. Aber
bei allen Dienstleistungen ist auch heute noch offensichtlich, dass die
Leistung nicht erbracht werden kann, ohne die Gegenwart dessen, der einen
Dienst erbringt. Über solche Arbeiten im "tertiären Sektor" heißt es bei
Homer: "Denn wer geht wohl aus und ladet selber den Fremdling, wo er
nicht etwa im Volk durch nützliche Künste berühmt ist: Als den
erleuchteten Seher, den Arzt, den Meister des Baues oder den göttlichen
Sänger, der uns durch Lieder erfreut? Diese laden die Menschen aus allen
Landen der Erde." (Odyssee 17, 382 ff.) Für die alten Griechen
gehörte gewissermaßen alle spezialisierte Arbeit außerhalb der
Landwirtschaft zum Dienstleistungsbereich. Sie fassten auch später alle
diese Spezialisten, vom Arzt und Architekten über den Sänger bis zum
Schuhmacher oder Keramikmaler - ohne Rücksicht darauf, ob es sich um mehr
geistige oder mehr körperliche Arbeit handelte, in den Begriff
„Demiurgos“, was sich vielleicht am treffendsten als „Dienstleistender“
wiedergeben lässt.
Je mehr Bauern aus der Landwirtschaft
ausschieden, um als dienstleistende Demiurgoi umherzureisen, desto mehr
nahm auf der einen Seite die Zahl der landwirtschaftlichen Produzenten ab,
auf der anderen Seite wuchs die Zahl der Konsumenten, die selber keine
Lebensmittel produzierten. Die Entwicklung dieser Arbeitsteilung ist daher
unmöglich ohne eine Revolution in der landwirtschaftlichen Produktion, die
die Produktionsleistung je landwirtschaftlichen Beschäftigten hebt. Es
reichte nicht mehr aus, dass jeder Bauer genug produzierte, dass er und
seine Familie leben konnten. Eine zunehmende Zahl von Handwerkern
produzierte keine Lebensmittel, also mussten die Bauern über ihren eigenen
Bedarf hinaus einen Lebensmittelüberschuss erwirtschaften, mit dem sie die
Handwerker ernähren konnten.
Dieser landwirtschaftliche Überschuss
wird teilweise durch von den Handwerkern verbessertes Arbeitsgerät
herrühren, teilweise durch Produktion auf vergrößerten Flächen, die die
Bauern bei ihrem Übergang ins Handwerk frei gemacht haben, mit erweiterter
landwirtschaftlicher Arbeitsteilung, teils auch durch verbesserte
landwirtschaftliche Methoden. Das betraf keine grundlegenden
Veränderungen, die Zweifelderwirtschaft blieb bestimmend, aber es gab
viele landwirtschaftlichen Verbesserungen im Einzelnen, die zu einem
intensivierten Anbau führten: ein Rückgang der Weidewirtschaft, wo sie
intensiver nutzbare Flächen benötigte, eine Vervielfältigung der
angebauten Pflanzen, Ausdehnung des Weinbaus und des Olivenanbaus
u.ä.
Wo Plutarch sich mit der Wirtschaftsgesetzgebung des Atheners
Solon befasst, schreibt er: „Da er sah, wie die Stadt sich mit Menschen
füllte, die stets von allen Seiten in Attika zusammenströmten, weil man da
nichts zu fürchten hatte, dass aber das Land größtenteils karg und
unfruchtbar war ... so hielt er die Bürger zu handwerklicher Tätigkeit
an...“ (Plutarch, Solon 22.) Auf den ersten Blick scheint das ganz
vernünftig. Was Plutarch völlig außer Acht lässt, ist die Frage, wie
werden diese vielen Menschen in einem kargen Gebiet ernährt? Gleich im
folgenden verfällt er noch einmal in den Fehler zu denken, dass Handwerker
von Luft leben oder Metall und Holz essen: „Und da er sah, dass der
karge Boden mit Not denen, die ihnen bebauten, Unterhalt bot, ... so gab
er dem Handwerk Ehre....“. (Plutarch, Solon 22) Wie soll das Land denn
Handwerker ernähren, wenn es nicht einmal genug Nahrungsmittel für die
Bauern trägt? Diese Begründungen von Plutarch sind unsinnig und offenbar
verstand er im Gegensatz zu Solon weder etwas von Landwirtschaft noch von
Wirtschaft. Solon verbot nämlich als erste Maßnahme den Export aller
Lebensmittel außer von Öl. „Von den Erzeugnissen des Landes gestattete
er den Verkauf ins Ausland nur für Öl, anderes auszuführen verbot er...
Die erste Gesetzestafel enthält dieses Gesetz.“ (Plutarch, Solon 24.)
Das bewies erstens, dass Attika durchaus landwirtschaftliche Überschüsse
hatte, und zweitens, dass Solon an die Ernährung der Handwerker
dachte.
Unkenntnis ökonomischer Gesetzmäßigkeiten des Historikers
Plutarch teilen die modernen Historiker, die von der griechischen
Verstädterung behaupten: „Gleichzeitig zwingt die Landnot viele
Menschen, sich von der Landwirtschaft ab- und anderen Erwerbsarten
zuzuwenden.“ (Gschnitzer, S. 51.) Tatsächlich ermöglichten
landwirtschaftliche Überschüsse erst, dass sich viele Menschen anderen
Erwerbsarten zuwandten. Ohne diese Überschüsse wären sie
verhungert. Als Folge der wissenschaftlichen Arbeitsteilung scheint es
keine Historiker zu geben, die ausreichende ökonomische Kenntnisse und
ebenso keine Ökonomen, die ausreichende Geschichtskenntnisse
besitzen.
Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg |