2.2. Landwirtschaftliche Arbeit als Quelle der Handwerks. Feld- und Hausarbeit bei Hesiod
Zu einer Zeit, als das Wort „König“ im Griechischen einen politisch-herrschaftlichen Inhalt bekommen hatte, soll Alexander der Große gesagt haben, Homer sei „der Dichter für Könige, Hesiod einer für Bauern“ (Dion Chrysostomos 2,8.). Hesiod, der um 740 bis 670 v. Chr. lebte - eine oder zwei Generationen nach Homer -,  wurde neben Homer zum antiken Schulbuchautor. Hängt bei Homer das abenteuerliche Schicksal der Menschen von ihrer List und ihrem Kampfesmut und ansonsten von den Göttern, bzw. den Naturgewalten ab, so gründen die Bauern in Hesiods Lehrgedicht „Werke und Tage“ (Landarbeit und ihre saisonalen Zeiten) ihr Glück eher auf gutes Sozialverhalten in einer stabilen Gemeinschaft und auf eigene Arbeit.

Von den rund 825 Zeilen Hesiods beschreiben den Einfluss der Götter auf das Glück der Menschen: rund 200 Zeilen. Am bekanntesten davon ist Hesiods Mythos vom verschwundenen „goldene Zeitalter“, das nach einem silbernen und bronzenen schließlich von dem „eisernen Zeitalter“ seiner Gegenwart abgelöst wurde: Im goldenen Zeitalter aber lebten die Menschen „wie Götter,.... blieben frei von Not und Jammer; nicht drückte sie schlimmes Alter...; sie .... lebten heiter in Freuden ...von selbst trug ihnen die kornspendende Erde Frucht in Hülle und Fülle. Sie aber taten ihre Feldarbeit nach Gefallen und gemächlich und waren mit Gütern gesegnet.“ (Hesiod, 112f.).

Den Einfluss des Menschen auf sein eigenes Glück beschreibt Hesiod mit rund 625 Zeilen. Der größte Raum wird dabei seinem Sozialverhalten eingeräumt (400 Zeilen), dann folgt die Bedeutung der eigenen Arbeit: 225 Zeilen. Innerhalb der Zeilen, die sich mit der bäuerlichen Arbeit befassen, beschreiben die eigentliche Feldarbeit: 65 Zeilen, die Vorbereitung der Feldarbeit durch Geräteherstellung usw. 40 Zeilen, die Aufbereitung und Verwahrung der Feldfrüchte, Versorgung des Viehs und der Menschen: 35 Zeilen. Größeren Raum nimmt auch ein Abschnitt über die Seefahrt mit 85 Zeilen ein.

Ein guter Landwirt musste nicht nur Boden, Pflanzen und Klima kennen, sondern auch ein guter Werkzeugmacher und guter Verwalter der Ernte sein. Es gab einen gewachsenen Kreislauf der Arbeiten auf dem Feld und der Arbeiten im Haus: Herstellung von landwirtschaftlichem Gerät und von Essen und Kleidung als Vorbereitung der Feldarbeit, Nutzung der Geräte auf dem Feld und Nachbereitung und Lagerung der Ernte für den Konsum von Vieh und Menschen, was gleichzeitig wieder auf die verschiedenen Arbeiten vorbereitete.

Hesiod berichtet davon, dass der Bauer in der landwirtschaftlichen Vor- und Nachsaison seine Pflüge, Hammerstiele und einen Wagen und ein Boot selber baut:  „schickt der machtvolle Zeus Herbstregen ..., da bleibt mit der Axt geschlagenes Holz am ehesten wurmfrei...; da nun fälle das Holz und denke an zeitgerechte Arbeit. Haue einen Mörser, drei Fuß hoch, die Keule drei Ellen lang, sieben Fuß lang aber die Achse, denn so nur stimmen die Maße. Hast du aber ein Achtfuß-Stück, hau dir noch einen Hammerstiel davon. Drei Spannen im Durchmesser muss du das Rad für den zweieinhalb Fuß langen Wagen hauen. Vieles Holz ist auch krumm; nimm gefundenes Krummholz zum Pflug nach Hause, wenn du die Berge durchstöberst... eines aus Steineiche; denn das hält beim Pflügen mit Rindern am meisten aus... Zwei Pflüge stelle dir hin und baue sie sorgsam im Hause, einen von selbst gekrümmten und einen gestückten... Bricht nämlich der eine, lässt du die Rinder den anderen aufs Feld holen. Lorbeer- oder Ulmendeichseln sind vor Wurmfraß am sichersten; der Scharbaum sei aus Eiche, aus Steineiche das Krummholz.“ (Hesiod, 414ff.)

Zu anderen Zeiten pflügt, sät und erntet dieser Handwerkerbauer oder bäuerliche Handwerker, schneidet die Weinstöcke und sorgt für den Winter vor. Erst aus diesem saisonalen Nacheinander wechselnder bäuerlicher und handwerklicher Arbeiten derselben Person entstand das Nebeneinander verschiedener Arbeit verschiedener Personen, so vertiefte sich die Arbeitsteilung zu einer Trennung von Bauer und Handwerker.

Die früheste Arbeitsteilung hatte sich zwischen Frauen und Männer entwickelt: Die Frauen arbeiteten im Umkreis von Haus und Hof. Sie spannen und webten, versorgten Vieh und Gemüsegarten und kochten das Essen. Die Männer arbeiteten auf dem Feld, gingen in die Volksversammlung, fuhren zur See und zogen in den Krieg. Nun wurde die landwirtschaftliche Arbeit der Männer weiter aufgeteilt. Als die ältesten nichtlandwirtschaftlichen Berufe sind der Schmied und der Zimmermann etymologisch bei den Griechen nachweisbar. Als Waffenschmied war der Schmied den Griechen so wichtig, dass sie ihn in der Gestalt des hinkenden Hephaistos zum Gott erhoben. Diese Auszeichnung gaben sie dem Zimmermann nicht. Dessen technische Fertigkeiten beherrschte ursprünglich jeder Bauer, später noch jeder geschickte Bauer: „Meint ein Siebengescheiter: ‚Ich baue mir leicht einen Wagen‘, ist er ein Tor, der nichts davon versteht, denn es gibt hundert Hölzer für Wagen, die man vorher beschaffen und im Haus bereitlegen muss.“ (Hesiod, 453ff.). Das Ansehen des Zimmermanns litt wohl auch darunter, dass er zunächst nur die schwersten Vorbereitungsarbeiten beim Haus- und Schiffsbau erledigte, der eigentliche Bau blieb noch in Händen des Bauern. Dieser Handwerker war zunächst nur ein Hilfsarbeiter: „... und der Zimmermann haue die Balken zum Gemach, dazu viele Bootshölzer, die zum Schiffbau taugen. Am vierten Tag aber beginne den Bau schlanker Schiffe.“ (Hesiod, 805f.)

Ganz anders der frühe Schmied, dem göttliche Fähigkeiten zugetraut wurden. Der Schmied war anfangs nur ein Gold- und Silberschmied, der neben Kleingerät auch Schmuck herstellte. Später schied sich der Grobschmied, der mit Bronze und später mit Eisen Waffen und Gerät herstellte, vom Feinschmied, der weiter mit Gold und Silber arbeitete. Ebenso teilten sich allmählich die Tätigkeiten des Zimmermanns in Stellmacher (Wagenmacher) und Bootsbauer.

Genau wie bei der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau blieb auch zwischen Bauern, Schmied und Zimmermann das Zusammenwirken der Menschen in ihren Tätigkeiten durchsichtig und überschaubar: Bauersfrau und Bauersmann arbeiteten für sich und ihre Familie, der Zimmermann arbeitete für die Bauern. Der Schmied arbeitete für den Bauern, wenn er eisernes Gerät schuf, und er arbeitete für die Gemeinschaft, wenn er Waffen und Rüstungen zum Schutz oder für einen Beutezug schmiedete. Gleichzeitig hatten die Bauern für Schmied und Zimmermann gearbeitet, wenn sie die Handwerker mit Essen und Kleidung entlohnten. Alle Beteiligten arbeiteten für ihnen bekannte Menschen, nicht für einen Markt mit anonymen Abnehmern. Soweit diese Produktion für einen vorher überschaubaren Bedarf von bekannten Personen bestimmt war, wurden nur Gebrauchswerte hergestellt, keine Waren. Und weil alle wirtschaftlichen Beziehungen noch persönliche Beziehungen waren und keine anonymen Geldbeziehungen, legte Hesiod auch soviel Wert auf die richtigen Umgangsformen miteinander. Hing der Erfolg des Landwirts abgesehen vom Boden und vom Klima ab von der Mithilfe familiärer und außerfamiliärer Arbeitskräfte ab, so der Erfolg des Handwerkers - abgesehen von seinem eigenen Arbeitsgeschick - von seinem guten Verhältnis zu den Kunden. Das ist der soziale Boden für die Weisheitslehren des Hesiods, die den Großteil seines Lehrgedichts ausmachen.

Solange die Bauern für sich selbst und ihre Mitwirkenden unter den Bauern und Handwerkern produzieren und nicht für einen anonymen Markt, solange gibt es unter ihnen zwar ein Wettstreit, wo mit dem eigenen Reichtum geprunkt wird, aber keine antagonistische Konkurrenz, wo der Erfolg des einen der Misserfolg des anderen ist. Anders für die Handwerker, die für eine begrenzte Nachfrage arbeiten. Für sie schafft die Beschäftigung des einen Mangel an Beschäftigung für den anderen. Daher sagt Hesiod über sie: „und so grollt der Töpfer dem Töpfer und der Zimmermann dem Zimmermann, der Bettler neidet dem Bettler, und der Sänger dem Sänger.“ (Hesiod, Werke und Tage 25-26.)





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