Was ist die vereinbarte Arbeitszeit in einer
flexiblen Arbeitswelt? Nur Mutti weiß es...
Vor Gericht erschienen
ist der Schornsteinfegermeister G. mit Rechtsanwältin als Kläger und der
Kleinkapitalist Geschäftsmann K. mit Rechtsanwalt als Beklagter.
Der
Schornsteinfegermeister war der erste Lohnarbeiter, den Herr K. in seiner
Karriere als hoffnungsfroher Jungkapitalist eingestellt hatte, und sein
Arbeitsverhältnis dauerte nur so lange, bis Differenzen darüber
auftauchten, was als Regel-Arbeitszeit für den Schornsteinfeger vereinbart
worden war.
Der Herr Jungkapitalist hatte durch mehrere Anrufe zu
nachtschlafender Zeit, einem persönlichen Kontrollbesuch nach 22 Uhr bei
der Wohnung seines Angestellten und weitere Anrufe am folgenden Morgen um
6.30 festgestellt, dass sein Mitarbeiter mehr oder minder regelmäßig statt
Freitags auf Kundenbesuchen mit dem Firmenwagen unterwegs zu sein,
vielmehr das Wochenende vorverlegt hatte, um in seine ostdeutsche Heimat
zu fahren.
Es gab eine Abmahnung mit folgender Kündigung von Seiten des
Kleinkapitalisten mit Gegenerklärungen und folgender Klage gegen die
Kündigung, plus strafrechtliche Anzeige wegen Betruges gegen den
Unternehmer von Seiten des Lohnarbeiters. Diese Kette von Ereignissen
lässt sich auf ein einziges Urereignis zurückführen: Das
Einstellungsgespräch in der Wohnung des Jungkapitalisten.
Der
Kleinkapitalist sagt, es habe keine einschränkenden Abmachungen bezüglich
der Arbeitszeit gegeben und verweist auf den damals abgeschlossenen
schriftlichen Arbeitsvertrag, der jedoch über die vereinbarte Arbeitszeit
keine Angaben macht.
Der Richter weist noch darauf hin, dass der
Arbeitsvertrag auch nicht die Klausel enthält: „Weitere Absprachen gelten
nicht.“
Der gekündigte Lohnarbeiter führt aus, dass bei dem
Einstellungsgespräch vereinbart worden sei, dass er Freitags häufiger frei
habe, um über das Wochenende in seine ostdeutsche Heimat zurückkehren zu
können, und er führt als Zeugin seine Ehefrau an, die bei dem
Einstellungsgespräch zugegen war.
Der Jungkapitalist bezeichnet das
alles als Lüge, hat aber das Pech, dass er bei dem Einstellungsgespräch
nicht die ganze Zeit anwesend war. Er sei ja ganz neu im Geschäft gewesen
und hätte von Personalfragen keine Ahnung gehabt, daher habe nicht er
selber die Verhandlungen geführt, sondern seine Mutti.
Mutti ist
gelernte Personalfachfrau und hat also Ahnung. Darf man Kapitalist werden,
ohne selber eine Ahnung zu haben?
Der Richter rechnet dem Unternehmer
vor, was es ihn koste, wenn die Kündigung als Maßregelung interpretiert
werde und damit unwirksam sei. Er müsse dann ein Jahr Gehalt nachzahlen.
Er schlägt einen Vergleich vor: Die Kündigung war fristgerecht wirksam und
es wird eine Abfindung von einem Monatsgehalt (5000.- DM) brutto wie netto
gezahlt.
Den Unternehmer lässt das kalt. Er habe sowieso kein Geld,
wenigstens nicht mehr, als er an Lohn zahlt und für das Geschäft braucht.
Die Rechtsanwältin des Lohnarbeiters wirft boshaft ein: Er mache im Jahr
250.000 DM Umsatz, da solle er hier nicht in zahlungsunfähig machen. Man
kann also erfolgreich Kapitalist werden, ohne selber eine Ahnung zu
haben.
Der Rechtsanwalt des Unternehmers führt aus, in der ersten
Instanz hatte der Arbeitsrichter eine Abfindung von 1000.- DM
vorgeschlagen. Das hatten sie damals als zu hoch abgelehnt. Da sollen sie
jetzt mit 5000.- einverstanden sein?
Es ist Zeit für eine
Beratungspause.
Der Schornsteinfegermeister ist mit einer Abfindung von
5000.- DM für den Verlust seines Arbeitsplatzes sichtlich
einverstanden.
Der Kleinkapitalist empört sich dagegen, dass dann Herr
G. mit seinen Lügen vor Gericht recht bekomme. Er kämpfe hier für die
Wahrheit! Sein Rechtsanwalt drückt diese Wahrheit in Zahlen aus: weniger
als 1000.- DM, dann wolle man einem Vergleich zustimmen!
Der Richter
gibt noch nicht auf. Er rechnet ihnen vor, dass jetzt Zeugen vernommen
werden müssten, das würde weitere Gerichtskosten bringen, ohne dass ein
sicheres Ende für eine Partei in Sicht wäre.
Der Richter weiß aber, mit
wem er es zu tun hat. Er vermindert die Abfindung für den gekündigten
Lohnarbeiter auf 4000.- DM. Unter Gezeter stimmt man dem
Vergleichsvorschlag zu. Der Richter reagiert auf das Kapitalistengezeter
mit dem Vorschlag einer Ratenzahlung: Zwei Raten zu je 1000 Euro, erste
Rate zahlbar am 15. Dezember. Auf seinem winzigen Kalender von der Größe
einer Visitenkarte bemerkt der Richter jedoch, dass der 15. Dezember auf
einen Sonntag fällt - also zahlbar am 16. Dezember.
Wäre der
Jungunternehmer nicht ein so schmales Hemd und der ostdeutsche
Schornsteinfegermeister nicht ein Kleiderschrank von einem Kerl, der
Kleinkapitalist hätte seinen ersten Lohnarbeiter vielleicht doch noch
verprügelt.
Wal Buchenberg, 18.11.2002
|