verfasst im alten Marx-Forum von Wal Buchenberg, 27.05.2009, 16:14
Die Vergrößerung des Kapitals ist ein alltäglicher Vorgang, aber er geschieht nicht gleichmäßig und harmonisch, sondern voll innerer Konflikte. Die einzelnen Bestandteile des Kapitals verändern sich ungleich schnell und geraten miteinander in Widerspruch.
Die Produktionsmittel (Rohstoffe, Energie, Halbzeuge, Maschinerie, Gebäude etc.), die im Arbeitsprozess konsumiert werden (= konstantes Kapital), steigen schneller im Wert und in der Masse als das das variable Kapital - die lebendige Arbeitskraft, die die sachlichen Produktionsmittel in Bewegung setzt.
Dieser Prozess hat eine doppelte Wirkung: Einerseits wird Arbeitskraft tendenziell überflüssig gemacht, andererseits schwindet die Profitrate, das kapitalistische Lebenselixier schlechthin.
Von allen Marx-Kritikern und Marx-"Modernisierern" wird daher die Zwangsläufigkeit bestritten, mit der sich die Kapitalzusammensetzung mit der Entwicklung des Kapitals und des Kapitalismus verändert.
Allerdings bewegen sich die Kritiker wie die "Modernisierer" dabei nur im luftleeren Raum mathematischer Formeln und versäumen den Blick auf die tatsächlichen ökonomischen Verhältnisse. Die Verhältnisse während 30 Jahre bundesrepublikanischer Entwicklung (am Beispiel des produzierenden Gewerbes, das 1990 rund 30% der Gesamtwirtschaft ausmachte) sehen allerdings so aus:
In Verhältniszahlen ausgedrückt war die Kapitalzusammensetzung
1960: 62c + 21v + 17m;
1990: 66c + 25v + 9m;
Durch diese scheinbar geringfügige prozentuale Änderung der Kapitalzusammensetzung sank bis 1990 die Arbeitsnachfrage im produzierenden Gewerbe der BRD um 2,2 Millionen Lohnarbeiter gegenüber dem Höchsstand von 1970. (Es zeigt sich aber auch zwischen 1960 und 1970, dass zeitweilig die Nachfrage nach lebendiger Arbeit absolut steigen kann, während sie relativ zum eingesetzten Kapital schon abnimmt.)
Gleichzeitig sanken zwischen 1960 und 1990 die Profitrate und die Rate des Mehrwerts deutlich (hier spielt wohl Produktwechsel aus dem Niedriglohnbereich in den Hochlohnbereich ebenfalls eine Rolle), wenn auch die Masse des Mehrwerts stieg. 1960 machten die Kapitalisten in diesem Sektor 86 Mrd. insgesamt Profit, im Jahr 1990 waren es 219 Mrd.
Die kapitalistische Profitrate m : (c + v) betrug in dieser Branche 1960 stolze 20% (17m : (62c + 21v)) und sank bis 1990 auf noch 10% (9m : (66c + 25v)).
Karl Marx beschrieb und interpretierte die sich verändernde Zusammensetzung des Kapitals folgendermaßen:
„Die Akkumulation des Kapitals ... vollzieht sich, wie wir gesehen, in fortwährendem qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in beständiger Zunahme seines konstanten auf Kosten seines variablen Bestandteils.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 657f.
„Mit dem Fortgang der Akkumulation wandelt sich also das Verhältnis von konstantem zu variablem Kapitalteil, wenn es ursprünglich 1:1 war, in 2:1, 3:1, 4:1, 5:1, 7:1 usw., so dass, wie das Kapital wächst, statt 1/2 seines Gesamtwerts progressiv nur 1/3, 1/4, 1/5, 1/6, 1/8 usw. in Arbeitskraft, dagegen 2/3, 3/4, 4/5, 5/6, 7/8 usw. in Produktionsmittel umgesetzt wird.
Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesamtkapitals, sondern durch den seines variablen Bestandteils bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem Wachstum des Gesamtkapitals, statt, wie vorhin unterstellt, verhältnismäßig mit ihm zu wachsen.
Sie fällt relativ zur Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum dieser Größe.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 658.
„Die kapitalistische Akkumulation produziert vielmehr, und zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d. h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuss-Arbeiterbevölkerung.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 658.
„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die überall einsetzbare Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums.
Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die chronische Arbeiter-Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Armenschicht in der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer die offizielle Zahl der Armen.
Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen anderen Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 673f.
Anm. 88: „,Von Tag zu Tag wird es somit klarer, dass die Produktionsverhältnisse, in denen sich die Bourgeoisie bewegt, nicht einen einheitlichen, einfachen Charakter haben, sondern einen widersprüchlichen; dass in denselben Verhältnissen, in denen der Reichtum produziert wird, auch das Elend produziert wird; ...; dass diese Verhältnisse den bürgerlichen Reichtum ... nur erzeugen unter fortgesetzter Vernichtung des Reichtums einzelner Glieder dieser Klasse und unter Schaffung eines stets wachsenden Proletariats.‘ K. Marx, ‚Das Elend der Philosophie‘.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 675.
Siehe im Karl-Marx-Lexikon: Kapitalzusammensetzung
Und: Fall der Profitrate
Gruß Wal Buchenberg, 27.05.2009