Was erwartet uns in der Krise?
Gibt es eine
Vorsorge für die kommende Wirtschaftskrise? Wer diese Frage beantworten
will, muss zunächst sinnvolle Prognosen darüber haben, was uns erwartet,
dann kann man die möglichen Vorsorgemittel prüfen, was sie in den
erwarteten Szenarien taugen. Als mögliche Vorsorgemittel sehe ich drei
Arten: - (überwiegend) individuell nutzbare Vorräte und
Arbeitsmittel - (überwiegend) gemeinsam nutzbare Vorräte und
Arbeitsmittel - nicht konsumierbare Vorräte (Gold, Geld
etc.)
1. Krise und individuell nutzbare
Vorsorgemittel Jeder von uns hat einen gewissen individuell
konsumierbaren Gütervorrat, und wenn es nur die Kleider sind, die wir auf
dem Leib tragen, wenn wir aus einer brennenden Wohnung fliehen. Zu diesem
Gütervorrat zählen u.a. eigenes Haus/Eigentumswohnung, Auto,
Stoffe, individuelles Arbeitsgerät wie Nähmaschine, Werkzeug, alle
vorrätigen Nahrungsmittel und die sogenannten langlebigen
Konsumgüter. Diese individuell konsumierbaren Vorräte sind leicht
übertragbar. In Notzeiten können sie also leicht geteilt werden, sie
können aber auch leicht geraubt werden.
Historisch wurde meist im
Rahmen der (Groß)Familie für Notzeiten vorgesorgt. Die Auflösung der
traditionellen Sozialstrukturen im Kapitalismus ist inzwischen so weit
fortgeschritten, dass heute zwar „Singles“ als LohnarbeiterInnen in einem
wirtschaftlichen Kollektiv arbeiten, aber alleine leben und konsumieren.
Beides macht für Notsituationen anfälliger. In westdeutschen
Großstädten macht die Zahl der Einpersonenhaushalte mittlerweile schon die
Hälfte aller Haushalte aus. Die nächste größere Gruppe sind die
Zwei-Personen-Haushalte. Die gestiegene individuelle Unabhängigkeit von
sozialen Klein- und Mittelstrukturen (Ehe, Familie, Nachbarschaft,
Klassenmilieu etc.) verdeckt nur die gestiegene soziale Abhängigkeit von
sozialen Großstrukturen: der Volkswirtschaft und der
Weltwirtschaft.
2. Krise und nur gemeinsam nutzbare
Vorsorgemittel Dazu zähle ich zunächst alle Naturschätze wie
vorhandenes Trinkwasser, noch nicht gefördertes Öl in der Erde usw., dann
alle produzierten, aber noch nicht verteilten Waren in Produktionsstätten,
Lagerhäusern und Verkaufsstätten. In diese Kategorie der nur gemeinsam
nutzbaren Vorsorgemittel gehören aber auch die modernen Produktionsmittel
wie Fabriken, Verkehrssysteme, Kommunikationsmittel usw.
2.1.
Unser individueller Konsum hängt zunehmend vom Funktionieren dieser
gemeinschaftlich nutzbaren Anlagen und Geräte ab. In Zuständen, wo
die Leute für sich selber produzierten, gab es keine volkswirtschaftlichen
Krisen. In bäuerlichen Subsistenzwirtschaften konnten kleine Gruppen von
Menschen ihr Überleben sicherstellen, auch wenn in der Nähe große
Katastrophen hereinbrachen. Nur durch die relative Autarkie jedes
einzelnen Bauernhofs bzw. jedes einzelnen Dorfes konnte die deutsche
Bevölkerung z.B. den 30-jährigen Krieg überstehen.
In der modernen
kapitalistischen Produktionsweise wird zunehmend gleichzeitig produziert
und konsumiert, so dass sich unsere Konsumtion immer mehr auf
gleichzeitige Produktion stützt. Das hat direkte
Auswirkungen auf die Vorrathaltung. Die Vorrathaltung der Vergangenheit
hing direkt mit der Mangelhaftigkeit der Produktion zusammen. Solange Vieh
nur mühsam überwinterte, gab es kein frisches Fleisch im Winter. Sobald
die Viehzucht dies überwunden hatte, nahm automatisch der Vorrat an
gepökeltem oder geräuchertem Fleisch ab. Heute können wir das ganze
Jahr über saisonale Lebensmittel produzieren, sowohl in Gewächshäusern wie
in anderen Klimazonen rund um den Erdball. Entsprechend weniger
Lebensmittel werden vorrätig gehalten. Je mehr die Kommunikationsmittel
entwickelt werden, um so mehr kann und wird der Vorratsbestand einer
Volkswirtschaft abnehmen. Die Zutaten eines Yoghurtbechers der Firma
Südmilch legen von allen Lieferanten bis zur Produktionsstätte und zum
Verbraucher durchschnittlich 9115 km quer durch Europa zurück. Mit der
weiträumigen Vernetzung wächst aber auch die weiträumige Abhängigkeit mit
potenzierter Wirkung im Krisenfall.
2.2. Die gestiegene
Vernetzung und gegenseitige Abhängigkeit von sozialen Großstrukturen, vom
Funktionieren der ganzen Volks- und Weltwirtschaft schafft in Krisenzeiten
neuartige und zusätzliche Probleme. 2.2.1. Zerstörungskrisen
(Katastrophen, Kriege) Im Falle von Naturkatastrophen und von
Menschen verursachten Katastrophen (Kriege, Atomunfall etc) werden viele
(aber nie alle) Verkehrswege und Arbeitsstätten zerstört. Diese
Zerstörungen können nicht durch individuelle Bemühungen kompensiert werden
- einzelne Überlebenskünstler mit Outdoor-Erfahrung ausgenommen. Solche
wirtschaftlichen Schäden müssen innerhalb von Tagen durch kollektiv
organisierte Arbeit repariert und die Produktion notdürftig wieder in Gang
gesetzt werden. In der Regel bleiben jedoch in solchen
Zerstörungskrisen die staatlichen und betrieblichen Autoritätsstrukturen
intakt. Soweit diese Hierarchien etwas taugen, können und müssen sie
sofort das Krisenmanagement übernehmen.
2.2.2. Vertrauenskrisen
(moderne Wirtschaftskrisen) Moderne Wirtschaftskrisen sind jedoch
nicht durch Zerstörungen von Arbeitsstätten und Lebensmittel
gekennzeichnet, sondern durch Vertrauensverlust, Autoritätsverlust und
Managementchaos, sodass trotz intakter Produktionsstätten nicht produziert
wird, und Versorgungsprobleme auftreten, obwohl alle „Produktionsfaktoren“
weiterhin da sind - nur ihr Zusammenwirken ist gestört. Es ist zunächst
nichts materiell zerstört, dennoch sind die wirtschaftlichen Folgen
ähnlich katastrophal.
In den ersten Tagen einer schweren Krise
lassen sich noch Teile der vorhandenen Warenvorräte in Lebensmittelläden,
Lagerhallen und Produktionsstätten individuell verteilen oder individuell
plündern. Ich schätze jedoch,
dass sämtliche an einem beliebigen Tag wie heute produzierten und auf
Lager vorrätigen Lebensmittel bei einem völligen Produktionsstillstand in
Deutschland nicht einmal eine Woche reichen, um die gesamte Bevölkerung
der Bundesrepublik zu ernähren. Im Falle einer tiefen
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise muss also binnen weniger
Tage ein alternatives Wirtschaftsmanagement errichtet werden. Den
Überlebenswillen der Bevölkerung vorausgesetzt - und von polizeilichen und
militärischen Ein- und Übergriffen einmal abgesehen -, so ist sicher, dass
in den meisten Betrieben und Orten spontan Prozesse der Selbstorganisation
und Selbstverwaltung ablaufen werden. Die technischen und wirtschaftlichen
Kenntnisse dafür sind überall vorhanden. Diese betriebliche und lokale
Selbstorganisation zur Sicherstellung der lebensnotwendigen Produktion
müsste jedoch binnen weniger Wochen und Monaten zu einem großflächigen
landesweiten Netz verbunden werden. Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt
werden staatlich-diktatorische Lösungswege mit
emanzipatorisch-selbstbestimmten Lösungswegen miteinander in Konflikt
geraten.
3. Krise und Gold Von einigen Leuten wird zur Zeit
Gold als Krisenvorsorge gekauft, weil sie damit rechnen, dass in der
kommenden Verschuldungs- und Geldkrise wie in Argentinien das umlaufende
Geld seinen Wert verliert, während gleichzeitig stabilere
(Auslands)Währungen und größere Geldmengen (Kredite) knapp werden. Was
hilft Gold in der Krise? Wenn Papiergeld inflationiert wird und
damit seine Geldfunktion als Wertaufbewahrungsmittel verliert, verliert es
früher oder später auch seine Funktion als Zirkulations- und
Zahlungsmittel. Geld, das nichts wert ist, wird nicht angenommen, also
kann man nur wenig oder gar nichts mehr dafür kaufen. Die eine
Geldfunktion, dass Geld in alle möglichen Produkte und Dienstleistungen
tauschbar ist, gerät hier in Konflikt mit der zweiten wichtigen
Geldfunktion, der Werterhaltung. Inflationäres Geld wird in der Krise als
Geld unbrauchbar.
Beim Gold ist jedoch das Problem genau umgekehrt:
Was am Gold geschätzt wird, ist gerade seine Werterhaltungsfunktion. Daher
wird Gold derzeit in Japan und in Europa von Privatleuten als
Krisenvorsorge gekauft. Gold behält wie andere werthaltigen Güter eher
seinen Wert in Krisenzeiten. Gold kann aber nicht gegessen werden. Wenn
Gold nicht als Zirkulations- oder Zahlungsmittel funktioniert, konkret
gesprochen, wenn zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort
niemand Gold haben will und der hungrige Goldbesitzer sein Gold nicht in
konsumierbare Produkte und Dienstleistungen tauschen kann, dann hat Gold
für diesen Zeitpunkt auch seine Wertaufbewahrungsfunktion verloren. Es ist
tatsächlich zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort wertlos. Da geht es dem Gold
nicht anders als der wertvollen Briefmarkensammlung oder den Gemälden von
Renoir. Ihre Werterhaltungsfunktion hängt ganz von ihrer Tauschbarkeit
ab. Andererseits kann sogar die Wertaufbewahrungsfunktion von Gold
vorhanden sein, aber sie kann nicht verwirklicht werden, wenn z.B. ein
Goldbarren zu groß und zu teuer ist, so dass das „Wechselgeld“
fehlt.
Ein Goldbarren von einem Kilo repräsentiert bei dem
gegenwärtigen Preis von 300 USD pro Unze ungefähr den Gegenwert der
durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine Person in einem halben
Jahr. Sofern Gold seinen jetzigen Wert in einer Krisenzeit behalten kann,
wird dieses Kilo Gold immer noch dem Gegenwert des Lebensunterhaltes einer
Person einem halben Jahr entsprechen, auch wenn das umlaufende Papiergeld
wertlos geworden ist. Realistischerweise muss man jedoch davon ausgehen,
dass Lebensmittel und andere knappe Güter des täglichen Bedarfs in solchen
Notzeiten besonders wertvoll und teuer sein werden. Das Gold wird also
relativ zu existenznotwendigen Gütern im Wert sinken und es wird
wahrscheinlich im Wert zu nicht existenznotwendigen Gütern
steigen.
Im weltweiten Krisenfall wird Gold möglicherweise im
Geschäftsverkehr zwischen großen Unternehmen und im Verkehr zwischen
Regierungen, aber kaum zwischen Individuen (Konsumenten) eine Rolle
spielen. In schweren Not- und Krisenzeiten gelten individuell
konsumierbare Produkte (Zigaretten, Alkohol, Kleider, Lebensmittel etc.)
und individuell konsumierbare Dienstleistungen mehr als nichtkonsumierbare
Dinge wie Gold oder Diamanten. Güter, die sowohl produktiv wie konsumtiv
genutzt werden können, wie Diesel bzw. Heizöl werden wichtigere Währungen
der künftigen Großkrise sein. In Notzeiten übernehmen generell die
Produkte am ehesten Geldfunktionen, die am meisten nachgefragt werden, die
sich also am leichtesten in alle möglichen Güter und Dienstleistungen
tauschen lassen. Gold wurde auch historisch erst spät zur bevorzugten
Geldware - rund 600 vor Christus, lange nachdem sich die Warenproduktion
im Ägäischen Wirtschaftsraum etabliert hatte.
In Not- und
Krisenzeiten gelten direkt konsumierbare Güter mehr als Gold. Wir hatten
aber gesehen, dass in unserer Zeit diese individuell konsumierbaren Güter
immer weniger bevorratet werden. Desto mehr kommt es darauf an, dass in
einer kommenden schweren Krise ein alternatives Wirtschaftsmanagement
entsteht, das größere Zerstörungen an den Produktionsanlagen verhindert
und mindestens die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen
kann.
4. Staatlicher Goldschatz Ebenso wie private und
öffentliche Gütervorräte – in Relation zur Wirtschaftskraft - heute
verschwindend klein sind im Vergleich zu früheren Jahrhunderten, so sind
die heute noch privat oder öffentlich vorhandenen Gold- und anderen
Schätze winzig im Vergleich zu den aufgehäuften Schätzen der Antike oder
des Mittelalters. Welche Rolle spielt nun der Staatsschatz in der
Krise? Ist das etwa ein gesellschaftlicher Vorrat für Notzeiten? In der
Antike gab es ja die Tempelschätze als gesellschaftlicher Vorrat für
Naturkatastrophen und Kriege. Auch das römische Gemeindeland (ager
publicus) war so ein öffentlicher Vorrat. Damals hatten jedoch alle Bürger
Anrecht und Zugriff auf diese gemeinsamen Schätze. Das ist beim heutigen
Staatsschatz nicht gegeben.
Die modernen Staatsschätze dienen
keineswegs zur Erhaltung der Gesellschaft in Notzeiten, sondern nur zur
Aufrechterhaltung des Staatsapparates mit den polizeilichen und
militärischen Kernfunktionen. Je leerer die Staatskassen und
staatlichen Tresore im Krisenfall, desto besser.
Wal Buchenberg,
18.2.2002 |