Entwicklung & Unterentwicklung

1. Die Menschen entwickeln sich mit ihren sachlichen Lebensbedingungen...
„Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 195.

„Die Natur baut keine Maschinen, keine Lokomotiven, Eisenbahnen, Telegraphen, Spinnautomaten. Sie sind Produkte der menschlichen Industrie; natürliches Material, verwandelt in Organe des menschlichen Willens über die Natur oder seiner Betätigung in der Natur. Sie sind von der menschlichen Hand geschaffene Organe des menschlichen Hirns; vergegenständliche Wissenskraft. Die Entwicklung des fixen Kapitals zeigt an, bis zu welchem Grad das allgemeine gesellschaftliche Wissen, zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist und daher die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter die Kontrolle des allgemeinen Intellekts gekommen, und ihm gemäß umgeschaffen sind.
Die Entwicklung des fixen Kapitals (d. h. der Maschinerie und Technologie) zeigt an, bis zu welchem Grad die gesellschaftlichen Produktivkräfte produziert sind, nicht nur in der Form des Wissens, sondern als unmittelbare Organe der gesellschaftlichen Praxis; des realen Lebensprozesses.“ K. Marx, Grundrisse, 594

„Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsform.“  K. Marx, Kapital III., 269.

„Es ist eine der zivilisatorischen Seiten des Kapitals, dass es diese Mehrarbeit in einer Weise und unter Bedingungen erzwingt, die der Entwicklung der Produktivkräfte, der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Schöpfung der Elemente für eine höhere Neubildung vorteilhafter sind als unter den früheren Formen der Sklaverei, Leibeigenschaft usw.
Es führt so einerseits eine Stufe herbei, wo der Zwang und die Monopolisierung der gesellschaftlichen Entwicklung (einschließlich ihrer materiellen und intellektuellen Vorteile) durch einen Teil der Gesellschaft auf Kosten des anderen wegfällt;
andererseits schafft sie die materiellen Mittel und den Keim zu Verhältnisses, die in einer höheren Form der Gesellschaft erlauben, diese Mehrarbeit zu verbinden mit einer größeren Beschränkung der materiellen Arbeit überhaupt gewidmeten Zeit.“ K. Marx, Kapital III., 827.

„Alle bisherigen Gesellschaftsformen gingen unter an der Entwicklung des Reichtums - oder, was dasselbe ist, der gesellschaftlichen Produktivkräfte.“ K. Marx, Grundrisse, 438.

2. Entwicklung und Unterentwicklung in der Welt
„Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 12.

„England hat in Indien eine doppelte Mission zu erfüllen: eine zerstörende und eine erneuernde - die Zerstörung der alten asiatischen Gesellschaftsordnung und die Schaffung der materiellen Grundlagen einer westlichen Gesellschaftsordnung in Asien. ...
Alle Maßnahmen, zu denen die englische Bourgeoisie möglicherweise genötigt sein wird, werden der Masse des Volkes weder die Freiheit bringen noch seine soziale Lage wesentlich verbessern, denn das eine wie das andere hängt nicht nur von der Entwicklung der Produktivkräfte ab, sondern auch davon, dass das Volk sie selbst in Besitz nimmt. Auf alle Fälle aber wird die Bourgeoisie die materiellen Voraussetzungen für beides schaffen. Hat die Bourgeoisie jemals mehr geleistet? Hat sie je einen Fortschritt zuwege gebracht, ohne Individuen wie ganze Völker durch Blut und Schmutz, durch Elend und Erniedrigung zu schleifen?“ K. Marx, Britische Herrschaft in Indien, MEW 9, 221-224.

„So sehr es nun auch dem menschlichen Empfinden widerstreben mag, Zeuge zu sein, wie Tausende betriebsamer patriarchalischer und harmloser sozialer Organisationen zerrüttet und in ihre Einheiten aufgelöst werden..., so dürfen wir doch darüber nicht vergessen, dass diese idyllischen Dorfgemeinschaften, so harmlos sie auch aussehen mögen, seit jeher die feste Grundlage des orientalischen Despotismus gebildet haben, dass sie den menschlichen Geist auf den denkbar engsten Gesichtskreis beschränkten, ihn zum gefügigen Werkzeug des Aberglaubens, zum unterwürfigen Sklaven traditioneller Regeln machten und ihn jeglicher Größe und geschichtlicher Energien beraubten. ....
Gewiss war schnödester Eigennutz die einzige Triebfeder Englands, als es eine soziale Revolution in Indien auslöste, und die Art, wie es seine Interessen durchsetzte, war stupid. Aber nicht das ist hier die Frage. Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in Asien. Wenn nicht, so war England, welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewusste Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte.“ K. Marx, Britische Herrschaft in Indien, MEW 9, 133.

„Sie klagen darüber, dass die maschinell produzierten Waren die Produktion der Hausindustrie verdrängen und so eine ergänzende Produktion zerstören, ohne die der Bauer nicht leben kann. Aber das ist eine absolut notwendige Folge der kapitalistischen Großindustrie...
Und was diese Seite der Frage - die Zerstörung der Hausindustrie und der ihr zugrunde liegende Zweige der Landwirtschaft - angeht, so scheint mir der springende Punkt der zu sein, dass die Russen entscheiden mussten, ob ihre eigene Großindustrie ihre Hausindustrie zerstören oder ob der Import englischer Waren dies vollbringen sollte. Mit Schutzzoll haben das die Russen selbst besorgt, ohne Schutzzoll hätten es die Engländer getan.“ F. Engels an Danielson, 22.9.1892, MEW 38, 468f.

„Keine Nation (kann) mit den anderen kulturell Schritt halten ..., wenn sie ihrer Industrie beraubt und damit auf das Niveau eines Haufens von Bauerntölpeln herabgedrückt wird.“ F. Engels, Handelsvertrag mit Frankreich, MEW 19, 263.

„Sie werden ferner zugeben, dass heutzutage ein großes Volk wie die Amerikaner nicht ewig bloß ackerbauend bleiben kann, dass das eine Verurteilung zu ewiger Barbarei und Unterordnung wäre; heutzutage kann kein großes Volk bestehen ohne eigene Industrie.“ F. Engels, Schutzzoll und Freihandel, MEW 21, 365.

3. Sozialimperialismus mit „sozialistischen“ Kolonien?
Kautsky schrieb am 11.5.1882 in einem Brief an Engels: „Ich glaube der Besitz Indiens durch das englische Proletariat wäre von Vorteil für beide. Für dieses, als Bezugsquelle von Rohstoffen. Für jenes aber insofern, als das indische Volk, wenn sich selbst überlassen, dem ärgsten Despotismus anheimfallen würde... Unter der Leitung des europäischen Proletariats dagegen könnte Indien meiner Ansicht nach ganz gut zum modernen Sozialismus überführt werden, ohne das Zwischenstadium des Kapitalismus durchmachen zu müssen ....“ Kautsky an Engels, MEW 35, 518f. Anm. 406.
Engels antwortete erst am 12. Sept. 82 darauf: „Und da Sie mir mit Ihrer Kolonialfrage eine Aufgabe stellten, die gar nicht so leicht zu lösen ist...
Meiner Ansicht nach werden die eigentlichen Kolonien, d.h. die von europäischer Bevölkerung besetzten Länder, Kanada, Kap (= Südafrika), Australien, alle selbständig werden; dagegen die bloß beherrschten, von Eingeborenen bewohnten Länder, Indien, Algier, die holländischen, portugiesischen und spanischen Besitzungen, vom Proletariat vorläufig übernommen werden und so rasch wie möglich der Selbständigkeit entgegengeführt werden müssen.
Wie sich dieser Prozess entwickeln wird, ist schwer zu sagen. Indien macht vielleicht Revolution, sogar sehr wahrscheinlich, und da das sich befreiende Proletariat keine Kolonialkriege führen kann, würde man es gewähren lassen müssen, wobei es natürlich nicht ohne allerhand Zerstörung abgehen würde ... Dasselbe könnte sich auch noch anderwärts abspielen, z.B. in Algier und Ägypten, und wäre für uns sicher das beste. Wir werden genug zu Hause zu tun haben. Ist Europa erst reorganisiert und Nordamerika, so gibt das eine so kolossale Macht und ein solches Exempel, dass die halbzivilisierten Länder ganz von selbst ins Schlepptau kommen; das besorgen allein schon die ökonomischen Bedürfnisse.
Welche sozialen und politischen Phasen aber diese Länder dann durchzumachen haben, bis sie ebenfalls zur sozialistischen Organisation kommen, darüber, glaube ich, können wir heute nur ziemlich müßige Hypothesen aufstellen.
Nur das eine ist sicher: das siegreiche Proletariat kann keinem fremden Volk irgendwelche Beglückung aufzwingen, ohne damit den eigenen Sieg zu untergraben.“ F. Engels an Kautsky, MEW 35, 356- 357.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 1.10.2001