Babeuf (1760 - 1797)
Gütergemeinschaft im autoritären Staatssozialismus

„(...) Nach dem Sturz Robespierres im Juli 1794 drängten die Thermidorianer der mittleren und der Großbourgeoisie die (durch das Bündnis mit der sansculottischen Volksbewegung in ihren Augen kompromittierten) Jakobiner schrittweise zurück. Während dieser Zeit erkannten Babeuf und seine Mitstreiter, daß das Ackergesetz gegen die wirtschaftliche Konzentrationsbewegung unwirksam sein würde, eine Erkenntnis, die zu der entscheidenden Zäsur in Babeufs Entwicklung führte. Hinfort projektierte er die künftige Gesellschaft als eine Gütergemeinschaft, die mit revolutionärer Gewalt verwirklicht werden müsse. Seine an der Verteilung orientierte, nicht auf die Produktionsweise bezogene Analyse des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses versprach einen erfolgreichen Ausgang des Unternehmens: Babeuf stellte den 24 Millionen, welche die nützlichste und zahlreichste Klasse bildeten, die eine Million jener «Agioteure, Wucherer, Preistreiber, unersättlichen Blutsauger und Halsabschneider, gierigen Spekulanten aller Art» gegenüber, welche die Gesellschaft auspreßten.

Die Idee der Gütergemeinschaft («Communauté des biens») hat eine lange Tradition. Politisches Potential als tatsächliche Alternative zum Bestehenden errang sie jedoch erstmals während der Jakobinerdiktatur. Deren reglementierte, «moralische» ‘Wirtschaft hatte eine über sie selbst hinausgehende Vorstellung als realisierbar erscheinen lassen, nämlich die, wie Buonarroti sie später nannte, «gesellschaftliche Wirtschaft» (économie sociale). Das Programm einer Gütergemeinschaft wurde freilich von keiner sozial konfliktfähigen Gruppierung politisch vertreten, massenwirksam war es schon gar nicht. Selbst bei den Abonnenten der babouvistischen Publikationen — überwiegend selbständige Handwerker und Kleinhändler sowie eine gewisse Zahl von Freiberuflern — wird man eine durchweg positive Resonanz kaum unterstellen können. Dem politischen Bündnis zwischen Babouvismus und (Links-)Jakobinismus korrespondierte ebensowenig eine gemeinsame theoretische Position, wie sich die babouvistischen mit den sansculottischen Zielen deckten — das verhinderten die jeweiligen gesellschaftlichen Interessenslagen.

Die Babouvisten umschrieben mit «Gütergemeinschaft» ganz allgemein eine Gesellschaft, in der die Früchte der Arbeit allen, die Erde (Inbegriff der Produktionsmittel) aber niemandem, sondern der «Republik» gehörte. In einer solchen Gesellschaftsordnung würde es über den kostenfreien Besuch berufsbildender Schulen grundsätzlich jedem möglich sein, denjenigen Beruf zu ergreifen, der seinen individuellen Fähig­keiten und Neigungen entspräche. Im Konfliktfalle hätten sich die persönlichen Präferenzen den gesellschaftlichen Erfordernissen zu beugen, gleiches gälte für die Wahl des Arbeitsplatzes. Die Produzenten verwalteten sich berufsspezifisch über eigene, gewählte Magistrate auf der untersten, lokalen Ebene selbst, wären jedoch der Kommunalverwaltung verantwortlich. Diese bildete einen Teil der öffentlichen Verwaltung, die, zentralistisch in drei Stufen hierarchisiert, der Regierung unterstünde.

Die Verwaltungsangehörigen würden durch periodische Wahlen bestimmt. Der repräsentativ-demokratisch verfaßte Staatsapparat bliebe als besondere Macht bestehen. Direkte Demokratie, die von S. Maréchal geforderte Aufhebung der Trennung von «Regierenden» und «Regierten», fand unter den Babouvisten keine Mehrheit - sie fürchteten die Verführbarkeit der Volksmassen.

Diese Einschätzung wie natürlich auch die objektiven Bedingungen in Gestalt der politischen Repression veranlaßten die Babouvisten, ihre Revolution als ein avantgardistisches Unternehmen zu planen. Es war zentriert um den Aufbau einer konspirativen Kaderorganisation, welche die politische Macht durch einen Umsturz übernehmen und sodann mit einer zeitlich begrenzten «Aufstandsdiktatur» die gesellschaftliche Umwälzung innerhalb einer Generation organisieren sollte. Diese Übergangsdiktatur war zwar nach dem Bilde der jakobinischen «revolutionären Regierung» gedacht, aber ihr bewußter Entwurf als Instrument sozialer Transformation war ein Novum.

Über die Organisationsform der Landwirtschaft finden sich ebensowenig eingehende Angaben wie über Art und Weise der nicht-agrarischen Produktion, deren Stätten über das Land verteilt gedacht wurden und die ihre Erzeugnisse den Bedürfnissen der Ackerbevölkerung anzupassen hätte. Das darin sich ausdrückende Übergewicht der Landwirtschaft wird gleichfalls in der Absicht der Babouvisten deutlich, die Städte überhaupt im Lande aufgehen zu lassen.

In der Tat gab das Entwicklungsniveau der Produktivkräfte im damaligen Frankreich den babouvistischen Vorstellungen einer bewußt vergesellschafteten Wirtschaft eine spezifische Gestalt: Da Arbeitspflicht bestünde, würde sich der Arbeitsanteil derjenigen, die immer schon für ihren Lebensunterhalt gearbeitet hätte, zwar spürbar verringern, die Form der Arbeit sich aber kaum verändern. Das zeigt exemplarisch Babeufs Brief an Charles Germain vom 10. Thermidor des Jahres III, in dem Babeuf auch die künftige gewerbliche Wirtschaft erwähnt. Ähnlich — freilich gerade dagegen gerichtet — der zunächst formellen Subsumtion der handwerklichen Produzenten unter das Handelskapital, erfolge die angestrebte Vergesellschaftung, durch die «jedes einzelne Gewerbe seinen privaten Charakter verlieren würde», nicht durch eine unmittelbare Kollektivierung der Arbeit, sondern durch die Unterordnung der individuellen Produzenten unter (am Wohle aller orientierte) zentrale Planvorgaben. Deren Verbindlichkeit wäre gewährleistet durch die Verteilung der Ressourcen und der Ausbildungsplätze auf die einzelnen Gewerbe.

Charakteristisch für diese von der Distributionsseite her strukturierte Vorstellung einer, wie Buonarroti sie später genannt hat, «gesellschaftlichen Wirtschaft» (économie sociale), die den im wesentlichen noch handwerklichen Produktionsmitteln entsprach, ist die Figur des gemeinschaftlichen Depots, des magasin commun.  Sie findet sich sowohl in den utopieliterarischen Entwürfen vorangegangener Zeiten wie in den frühsozialistischen Schriften des 19.Jahrhunderts: Die weiterhin überwiegend individuell oder in vergleichsweise überschaubaren Werkstätten arbeitenden Produzenten lieferten ihre Erzeugnisse in nationalen Lagerhäusern ab und bezögen von dort zugleich alle von ihnen zum Leben und Arbeiten benötigten Dinge. Die gemeinschaftlichen Speicher unterstünden der staatlichen Wirtschaftsverwaltung, deren wesentliche Aufgabe mithin in der direkten Verteilung aller Stoffe und Erzeugnisse für die produktive und die individuelle Konsumtion läge. Monetäre Mittel gäbe es nur noch für den Außenhandel. Der private Handel wäre abgeschafft — was die Babouvisten in ihren Propagandaschriften verschwiegen, bildeten doch die boutiquiers, also die kleinen Einzelhändler, einen entscheidenden Teil der städtischen Volksklassen. Die individuellen Konsumtionsmittel würden gemäß gewissenhaftester Gleichheit, der «plus scrupuleuse égalité», verteilt.

Im Horizont seines landwirtschaftlichen Pessimismus, der von einer generell nicht steigerungsfähigen, die Grundversorgung aller aber gewährleistenden Agrarproduktion ausging, setzte Babeuf dabei quantitative mit qualitativer Gleichheit in eins. D. h. er begriff Bedürfnisbefriedigung tendenziell als Sättigung der Primärbedürfnisse; nur wenn das —nicht vernunftgestützte — subjektive Anspruchsniveau die Sättigung der einfachen, physischen Bedürfnisse, die «Magenkapazität», nicht übersteige, könne deren Erfüllung individuelle Bedürfnisbefriedigung insgesamt und damit eben Gleichheit bewirken. Insofern stelle Gleichheit auf der konsumtiven — nicht auf der produktiven — Seite, wie Babeuf bereits 1786 dargelegt und unverändert durchgehalten hat, eine «Egalisierung», eine «Nivellierung» dar.

Deren Rechtfertigung vermag ihm freilich naturalistisch gerade nicht zu gelingen - folgerichtig brachte Babeuf die «Religion der reinen Gleichheit» in Anschlag. In dieser idealistischen Verkehrung seiner Argumentation manifestiert sich der Überhang von Verhältnissen, die durch die Knappheitsökonomie einer vorindustriellen Agrargesellschaft bestimmt waren. (...)“

Aus: Ralf Bambach: Gracchus Babeuf. In: Walter Euchner (Hrsg.): Klassiker des Sozialismus. Erster Band. Von Gracchus Babeuf bis Georgi W. Plechanow. München 1991: 46 – 49.