1. Religion im allgemeinen
„Nun ist alle
Religion nichts anderes als die phantastische Widerspiegelung, in den
Köpfen der Menschen, derjenigen äußeren Mächte, die ihr alltägliches
Dasein beherrschen, eine Wiederspiegelung, in der die irdischen Mächte die
Form von überirdischen annehmen.
In den Anfängen der Geschichte sind es
zuerst die Mächte der Natur, die diese Rückspiegelung erfahren. ... Aber
bald treten neben den Naturmächten auch gesellschaftliche Mächte in
Wirksamkeit, Mächte, die den Menschen ebenso fremd und im Anfang ebenso
unerklärlich gegenüberstehen, sie mit derselben scheinbaren
Naturnotwendigkeit beherrschen wie die Naturmächte selbst. (z.B. Krieg,
Herrschaft, Geld, Ausbeutung, wb)...
Auf einer noch weiteren
Entwicklungsstufe werden sämtliche natürlichen und gesellschaftlichen
Attribute der vielen Götter auf Einen allmächtigen Gott übertragen, der
selbst wieder nur der Reflex des abstrakten Menschen ist. ...
In dieser
bequemen, handlichen und allem anpassbaren Gestalt kann die Religion
fortbestehen als unmittelbare, das heißt gefühlsmäßige Form des Verhaltens
der Menschen zu den sie beherrschenden fremden, natürlichen und
gesellschaftlichen Mächten, solange die Menschen unter der Herrschaft
solcher Mächte stehen.
Wir haben aber mehrfach gesehen, dass in der
heutigen bürgerlichen Gesellschaft die Menschen von den von ihnen selbst
geschaffenen ökonomischen Verhältnissen, von den von ihnen selbst
produzierten Produktionsmitteln wie von einer fremden Macht beherrscht
werden. Die tatsächliche Grundlage der religiösen Reflexion dauert also
fort und mit ihr der religiöse Reflex selbst.“ F. Engels, Anti-Dühring,
MEW 20, 294.
In der „religiösen Welt ... scheinen die Produkte
des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit
den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ K. Marx,
Kapital I., 86.
„Der
Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und
zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des
Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder
verloren hat. ... Die Religion ... ist die phantastische
Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche
Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. ...
Das religiöse
Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem
der Protest gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der
Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie
der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“
K. Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW 1, 378.
2.
Christentum im besonderen
“Für eine Gesellschaft von
Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis
darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu
verhalten und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu
beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem
Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen
Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw. die entsprechendste
Religionsform.“ K. Marx, Das Kapital I., 93.
„Mit der Entwicklung der
kapitalistischen Produktion wird ein Durchschnittsniveau der bürgerlichen
Gesellschaft und damit der Temperamente und Veranlagungen in den
verschiedensten Völkern geschaffen. Wesentlich kosmopolitisch wie das
Christentum. Christentum ist daher auch spezielle Religion des
Kapitals. In beiden gilt nur der Mensch. An und für sich ist der Mensch so
wenig und so viel wert wie der andere. In dem einen hängt alles davon ab,
ob er den Glauben, und in dem anderen, ob er Kredit hat. Außerdem kommt
bei dem einen allerdings die Gnadenwahl hinzu. Bei den anderen der Zufall,
ob er von Haus aus Geld hat oder nicht.“ K. Marx, Theorien über den
Mehrwert, 26.3, 441f.
“Der Protestantismus spielt schon durch seine
Verwandlung fast aller traditionellen Feiertage in Werktage eine wichtige
Rolle in der Genesis des Kapitals.“ K. Marx, Kapital I., 292, Anm.
124.
3. Kritik der Religion heißt heute nicht mehr Atheismus,
sondern Wissenschaft.
Atheismus ist die Kritik des Himmels. Nötig ist
aber das Verstehen und die Kritik der Erde sowie die Beherrschung der Erde
durch die Menschen.
Der Atheismus ist „kritische Religion,
... letzte Stufe des Theismus, ... negative Anerkennung Gottes.“ K.
Marx, F. Engels, Die heilige Familie, MEW 2, 116.
„Für Deutschland ist
die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik
der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. ... Die Kritik des
Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde...“ K. Marx, Kritik
der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW 1, 378 - 379.
„Erst die wirkliche
Erkenntnis der Naturkräfte vertreibt die Götter oder den Gott aus einer
Position nach der anderen ... Dieser Prozess jetzt so weit, dass er
theoretisch als abgeschlossen angesehen werden kann.“ F. Engels,
Materialien zum Anti-Dühring, MEW 20, 582f.
„Atheist zu sein, ist
heutzutage glücklicherweise keine Kunst mehr. Der Atheismus ist so
ziemlich selbstverständlich bei den europäischen Arbeiterparteien, obwohl
er in gewissen Ländern oft genug beschaffen sein mag wie der jenes
spanischen Anarchisten, der sich dahin erklärte: an Gott zu
glauben, das sei gegen allen Sozialismus, aber an die Jungfrau Maria, das
sei ganz was anderes, an die müsse ein ordentlicher Sozialist natürlich
glauben.
Von den deutschen sozialdemokratischen Arbeitern kann man
sogar sagen, dass der Atheismus bei ihnen sich schon überlebt hat; dies
rein negative Wort hat auf sie keine Anwendung mehr, indem sie nicht mehr
in einem theoretischen, sondern nur noch in einem praktischen Gegensatz
zum Gottesglauben stehen: Sie sind mit Gott einfach fertig, sie
leben und denken in der wirklichen Welt und sind daher Materialisten.
...
Aber das kann unseren Anarchisten nicht passen. Um zu
beweisen, dass sie die Allerradikalsten sind, wird Gott, wie 1793, durch
Dekret abgeschafft:
’- In der Kommune ist kein Platz für den
Pfaffen; jede religiöse Kundgebung, jede religiöse Organisation muss
verboten werden.’
Und diese Forderung, die Leute per Befehl von
oben in Atheisten zu verwandeln, ist unterzeichnet von zwei
Mitgliedern der Kommune, die doch wahrlich Gelegenheit genug hatten, zu
erfahren, dass erstens man ungeheuer viel auf dem Papier befehlen kann,
ohne dass es darum ausgeführt zu werden braucht, und zweitens, dass
Verfolgungen das beste Mittel sind, missliebige Überzeugungen zu
befördern!
Soviel ist sicher: Der einzige Dienst, den man Gott
heutzutage noch tun kann, ist der, den Atheismus zum zwangsmäßigen
Glaubensartikel zu erklären....“ F. Engels, 1874, MEW 18, 531 -
532.
„Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten der Menschen zur
Natur, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch
seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden
geistigen Vorstellungen.“ K. Marx, Kapital I, 393, Anm. 89.
„Der
religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden,
sobald die Verhältnisse des praktischen Werktagslebens den Menschen
tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur
darstellen.
Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d.h.
des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen
Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen
unter deren bewusster planmäßiger Kontrolle steht.“ K. Marx, Kapital I,
94.
„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das
höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ,
alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein
geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei.“ K. Marx,
Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 385.
(Wo es dem
Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter,
Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle eingefügten
Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver
Schrift.
Wal Buchenberg, 1.8.2001)
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