Zusammenbruch

 

1. Äußerungen von Friedrich Engels

lassen einen Zusammenbruch des Kapitalismus erwarten

Der Mensch hat aufgehört, Sklave des Menschen zu sein und ist Sklave der Sache geworden; die Verkehrung der menschlichen Verhältnisse ist vollendet; die Knechtschaft der modernen Schacherwelt, die ausge-bildete, vollkommene, universelle Verkäuflichkeit ist unmenschlicher und allumfassender als die Leibeigenschaft der Feudalzelt; ... Höher kann der christliche Weltzustand nicht getrieben werden; er muss in sich selbst zusammenbrechen und einem menschlichen, vernünftigen Zustande Platz machen. F. Engels, Lage Englands, MEW 1, 557.

 

Entweder müssen wir an übernatürliche Offenbarung glauben oder zugeben, dass keine religiösen Predigten eine zusammenbrechende Gesellschaft zu stützen imstande sind. Und in der Tat, auch in England haben die Arbeiter wieder angefangen sich zu bewegen. F. Engels, Entwicklung des Sozialismus, MEW 22, 310.

 

Aber seit ... Anfang des 19. Jahrhunderts hat die große Industrie die Widersprüche, die in der kapitalistischen Produktionsweise schlummerten, zu so schreienden Gegensätzen entwickelt, dass der herannahende Zusammenbruch dieser Produktionsweise sozusagen mit Händen zu greifen ist; ... F. Engels: Anti-Dühring, MEW 20, 248.

 

In den Trusts schlägt die freie Konkurrenz um ins Monopol, kapituliert die planlose Produktion der kapitalistischen Gesellschaft vor der planmäßigen Produktion der hereinbrechenden sozialistischen Gesellschaft. Allerdings zunächst noch zu Nutz und Frommen der Kapitalisten. Hier aber wird die Ausbeutung so handgreiflich, dass sie zusammenbrechen muss. Kein Volk würde eine durch Trusts geleitete Produktion, eine so unverhüllte Ausbeutung der Gesamtheit durch eine kleine Bande von Kuponabschneidern sich gefallen lassen. F. Engels, Entwicklung des Sozialismus, MEW 19, 221.

 

Nach den Gesetzen der bürgerlichen Ökonomie gehört der größte Teil des Produkts nicht den Arbeitern, die es erzeugt haben. Sagen wir nun: das ist unrecht, das soll nicht sein, so geht das die Ökonomie zunächst nichts an. Wir sagen bloß, dass diese ökonomische Tatsache unserm sittlichen Gefühl widerspricht. Marx hat daher nie seine kommunis-tischen Forderungen hierauf begründet, sondern auf den notwendigen, sich vor unsern Augen täglich mehr und mehr vollziehenden Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise; ... F. Engels, Vorwort zu Marx: Das Elend der Philosophie, MEW 4, 561.

 

Der Krisis von 1866 folgte in der Tat ein kurzer und leichter Geschäftsaufschwung gegen 1873, aber er dauerte nicht. Wir haben in der Tat zu der Zeit, wo sie fällig war, 1877 oder 1878, keine volle Krisis durchgemacht, aber wir leben seit 1876 in einem chronischen Versumpfungszustand aller herrschenden Industriezweige. Weder will der vollständige Zusammenbruch kommen noch die langersehnte Zeit der Geschäftsblüte, auf die wir ein Recht zu haben glaubten sowohl vor wie nach dem Krach. F. Engels, Vorwort von 1892 zur Lage der arbeitenden Klasse in England, MEW 2, 646.

 

Aber was wird das Ende von alledem sein? Die kapitalistische Produktion kann nicht stabil werden, sie muss wachsen und sich ausdehnen, oder sie muss sterben. Schon jetzt, die bloße Einschränkung von Englands Löwenanteil an der Versorgung des Weltmarkts, heißt Stockung, Elend, Übermaß an Kapital hier, Übermaß an unbeschäftigten Arbeitern dort. Was wird es erst sein, wenn der Zuwachs der jährlichen Produktion vollends zum Stillstand gebracht ist? Hier ist die ver-wundbare Achillesferse der kapitalistischen Produktion. Ihre Lebensbe-dingung ist die Notwendigkeit fortwährender Ausdehnung, und diese fortwährende Ausdehnung wird jetzt unmöglich. Die kapitalistische Produktion läuft aus in eine Sackgasse. F. Engels, Vorwort von 1892 zur Lage der arbeitenden Klasse in England, MEW 2, 647.

 

 

2. Zurückhaltender äußerte sich Karl Marx über einen Zusammenbruch

Hinter der Gefährdung des politischen Status quo verbirgt sich die Gefahr des Zusammenbrechens der ganzen bürgerlichen Gesellschaft. Die einzig mögliche Lösung im Sinne der Bourgeoisie ist die Aufschiebung der Lösung. K. Marx, Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 7, 105.

Der Kongress in Den Haag hat drei wichtige Ergebnisse gezeitigt: Er hat die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse proklamiert, die alte, zusammenbrechende Gesellschaft auf dem politischen wie auf dem sozialen Boden zu bekämpfen; und wir beglückwünschen uns dazu, von nun an in unsere Statuten diesen Beschluss der Londoner Konferenz aufgenommen zu sehen. K. Marx, Rede über den Haager Kongress, MEW 18, 159.

Die Arbeiterklasse verlangte keine Wunder ... Sie hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluss einzuführen. Sie weiß, dass, um ihre eigene Befreiung und mit ihr jene höhere Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigene ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, dass sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben. K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 343.

 

 

3. Zusammenbruchstheorie bei Karl Marx?

1) Zunächst ist festzuhalten, dass Karl Marx in seinen politischen Schriften Zusammenbruch nicht in der Bedeutung eines mechanischen Zusammenbrechens benutzte. Im Deutschen Wörterbuch wird dazu ausgeführt: Zusammenbruch ... weniger im eigentlichen sinne, etwa zusammenbruch einer brücke, wo man lieber das zusammenbrechen sagt, als politisch und militärisch ... (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 32, Leipzig 1954, 740).

Das Wort Zusammenbruch wurde eher wie im folgenden Text als bildhafte Metaphorik benutzt:

Die Nachrichten, welche die zwei in dieser Woche eingetroffenen Dampfer aus Europa mitgebracht haben, scheinen offenbar den endgültigen Zusammenbruch der Spekulation und des Börsenspiels zu verschieben, dem die Menschen auf beiden Seiten des Ozeans instinktiv wie in furchtsamer Erwartung eines unvermeidlichen Schicksals entgegensehen. Dieser Zusammenbruch ist trotz der Verzögerung gewiss; in der Tat kündigt der chronische Charakter, den die gegenwärtige Finanzkrise angenommen hat, nur einen heftigeren und unheilvolleren Ausgang dieser Krise an. Je länger die Krise andauert, um so schlimmer wird die Abrechnung. Europa befindet sich augenblicklich in der Lage eines Menschen am Rande des Bankrotts, der gezwungen ist, zugleich alle Unternehmungen weiter zu betreiben, die ihn ruiniert haben, und zu allen möglichen verzweifelten Mitteln zu greifen, mit denen er den letzten furchtbaren Krach aufzuschieben und zu verhindern hofft. K. Marx, Krise in Europa, MEW 12, 80.

In solchen und ähnlichen Darstellungen ist vom Bankrott oder Zusammenbruch in einem übertragenen, metaphorischen Sprachgebrauch die Rede. Es handelt sich um politisch-agitatorische Sprache, nicht um wissenschaftliche Aussagen.

 

2) In seinem wissenschaftlichen Hauptwerk, dem Kapital, sprach Marx nur ausnahmsweise und nur sehr einschränkend von einem Zusammenbruch:

Die Profitrate fällt, nicht weil der Arbeiter weniger ausgebeutet wird, sondern weil im Verhältnis zum angewandten Kapital überhaupt weniger Arbeit angewandt wird.

Fällt, wie gezeigt, sinkende Profitrate zusammen mit Steigen der Profitmasse, so wird ein größerer Teil des jährlichen Produkts der Arbeit vom Kapitalisten unter der Kategorie Kapital angeeignet (als Ersatz von verbrauchtem Kapital) und ein verhältnismäßig geringerer unter der Kategorie Profit. ... Übrigens wächst ja die Masse des Profits, auch bei kleinerer Rate, mit der Größe des ausgelegten Kapitals. Dies bedingt jedoch zugleich Konzentration des Kapitals, da jetzt die Produktionsbedingungen die Anwendung von massenhaftem Kapital gebieten. Es bedingt ebenso dessen Zentralisation, d. h. Verschlucken der kleinen Kapitalisten durch die großen ... Dieser Prozess würde bald die kapitalistische Produktion zum Zusammenbruch bringen, wenn nicht widerstrebende Tendenzen beständig wieder dezentralisierend neben der zentripetalen Kraft wirkten. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 256.

 

3) Wo Karl Marx von den Schranken der kapitalistischen Produk-tionsweise sprach, bleibt immer eindeutig, dass diese Schranken nicht durch irgendeinen Automatismus verschwinden.

Die Schranke der kapitalistischen Produktionsweise tritt hervor:

1. Darin, dass die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit im Fall der Profitrate ein Gesetz erzeugt, das ihrer eigenen Entwicklung auf einen gewissen Punkt feindlichst gegenübertritt und daher beständig durch Krisen überwunden werden muss.

2. Darin, dass ... der Profit und das Verhältnis dieses Profits zum ange-wandten Kapital, also eine gewisse Höhe der Profitrate über Ausdehnung und Beschränkung der Produktion entscheidet, statt des Verhältnisses der Produktion zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen, zu den Bedürfnissen gesellschaftlich entwickelter Menschen. ...

Die Produktion kommt zum Stillstand, nicht wo die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern wo die Produktion und Realisierung von Profit diesen Stillstand gebietet. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 268f.

 

Die Krisen sind immer nur momentane gewaltsame Lösungen der vorhandenen Widersprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht für den Augenblick wiederherstellen.

Der Widerspruch ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, dass die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehen vom Wert und dem in ihm eingeschlossenen Mehrwert, auch abgesehen von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistische Produktion stattfindet; während sie andererseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß (d. h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werts) zum Ziel hat.

Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandenen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandenen Kapitals und Entwicklung der Produktiv-kräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte. ...

Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch Mittel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerem Maßstab entgegenstellen.

Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: dass das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; dass die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. ... Das Mittel unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapitals.

Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 259f.

Der fehlerhafte kapitalistische Kreislauf muss notwendig und immer wieder ins Stocken geraten. In solchen Krisen werden massenhaft Gebrauchsgüter und Kapital vernichtet, womit sich die Profitwirtschaft wieder regeneriert. Nirgendwo gibt Marx die kleinste Andeutung, dass durch eine kapitalistische Krise die Schranken des Kapitalismus quasi automatisch überwunden werden.

 

4) Gerade in Deutschland gibt es historische Erfahrungen mit einem solchen Zusammenbruch des Kapitalismus: Nach dem Ersten Weltkrieg, in der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1936 und nach dem Zweiten Weltkrieg war in Deutschland der Kapitalismus zusammen-gebrochen. Die Folge war nicht ein Schritt zu einer höheren Wirtschaftsform, sondern ein Rückschritt zu vorkapitalistischen Wirtschaftsformen:

- weitgehender Ersatz des Geldes durch Naturallieferung;

- weitgehender Ersatz der Warenzirkulation durch einfachen Produktentausch;

- weitgehender Ersatz der arbeitsteilig-gesellschaftlichen Großproduktion durch kleine Handwerksproduktion;

- weitgehender Ersatz des zivilisierten Rechtssystem, das auf gegenseitigem Treu und Glauben der Warenbesitzer beruht, durch das Recht des Stärkeren, durch Erpressung, Nötigung, Raub usw.

Die Zerstörungen, die kapitalistische Krisen und Kriege hervor-brachten, waren der Jungbrunnen, um eine stockende Profit-produktion wieder in Gang zu bringen.

 

Alle bisherigen Zusammenbrüche des Kapitalismus führten nicht in eine bessere Zukunft, sondern in die schlechtere Vergangenheit.

 

Siehe auch die Artikel:

Krisen

Revolution

-> Diskussionsforum

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.