Ungleicher Tausch 1. Ungleicher Tausch
ist eine Alltagserscheinung, die bei jedem
Warenaustausch notwendig aus den Wertgesetzen
folgt „So sehr die
kapitalistische Aneignungsweise also den ursprünglichen Gesetzen der
Warenproduktion ins Gesicht zu schlagen scheint, so entspringt sie doch
keineswegs aus der Verletzung, sondern im Gegenteil aus der Anwendung
dieser Gesetze.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 610. Auf dem nationalen wie internationalen Markt treten sich ständig ungleiche Produzenten mit gleichen Waren gegenüber. In der profitabler produzierten Ware steckt aber weniger Wert als in einer rückständig produzierten Ware, trotzdem sind in der Regel ihre Preise mehr oder minder gleich. „Der Wert der Waren steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 338. „Der Wert ...
einer Ware ist kleiner, falls zu ihrer Produktion eine
kleinere Gesamtmenge Arbeit erfordert ist ... Die hier angewandte
Arbeit ist produktiver, ihre individuelle Produktivkraft ist größer als
die in der Masse derselben Art Fabriken angewandten Arbeit. ... Diese
größere individuelle Produktivkraft der angewandten Arbeit vermindert den
Wert, aber auch den Kostpreis und damit den Produktionspreis
der Ware. Für den Industriellen stellt sich dies so dar, dass für ihn der Kostpreis der Ware geringer ist. ... Da der Kostpreis seiner Ware geringer ist, ist auch sein individueller Produktionspreis geringer.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 654f. „Im Maß, wie in einem
Lande die kapitalistische Produktion entwickelt ist, im selben Maß erheben
sich dort auch die nationale Intensität und Produktivität der Arbeit über
das internationale Niveau. Die verschiedenen
Warenmengen derselben Art, die in verschiedenen Ländern in gleicher
Arbeitszeit produziert werden, haben also ungleiche ... (individuelle)
Werte, ...“ K. Marx, Kapital
I, MEW 23, 584. 2. Der unprofitabel
produzierende Warenproduzent macht beim Verkauf seiner Ware einen
Minderprofit oder gar Verlust, weil der Marktpreis seiner Ware unter
seinem individuellen Warenwert steht „Der individuelle Wert
der produktiver produzierten Ware steht ... unter ihrem
gesellschaftlichen Wert, d. h. sie kostet weniger Arbeitszeit als der
große Haufen derselben Artikel, produziert unter den gesellschaftlichen
Durchschnittsbedingungen. ... Der wirkliche Wert
einer Ware ist aber nicht ihr individueller, sondern ihr
gesellschaftlicher Wert, d. h., er wird nicht durch die Arbeitszeit
gemessen, die sie im einzelnen Fall dem Produzenten tatsächlich kostet,
sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion nötige
Arbeitszeit. Verkauft also der
Kapitalist, der eine neue produktivere Methode anwendet,
seine Ware zu ihrem gesellschaftlichen Wert ..., so verkauft er sie ...
über ihrem individuellen Wert und realisiert so einen Extramehrwert ...
Unter sonst gleich
bleibenden Umständen erobern seine Waren ... größeren Marktraum durch
Senkung ihrer Preise. Er wird sie daher über ihrem individuellen,
aber unter ihrem gesellschaftlichen Wert verkaufen.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 336. Beispiel:
Der Kostpreis einer
Ware sei 100, bestehend aus konstantem Kapital (= Maschinerie, Rohstoffe
etc.) c = 70 plus variablem Kapital (= Lohn) v =
30. Der Durchschnittsprofit sei 15 %, dann ist der
kapitalistische Produktionspreis dieser Ware = 115. Nehmen wir an, die
große Masse Anbieter produziere unter diesen Bedingungen, und es existiere
keine große Differenz zwischen Angebot und Nachfrage, dann wird dieser
durchschnittliche Produktionspreis von 115 zum Marktpreis, zu dem die Ware
angeboten und verkauft wird. Falls nun ein Kapitalist X geschicktere, gesündere und
fleißigere Lohnarbeiter als seine Konkurrenten beschäftigt, dann braucht
er zur Produktion dieser Ware weniger Lohnarbeiter und sein Kostpreis ist
vielleicht c = 70 plus v = 25, macht zusammen 95. Der individuelle
Produktionspreis dieser Ware wäre: Kostpreis 95 + Durchschnittsprofit 15 =
110. Ein anderer Kapitalist Y wendet vielleicht bessere
Technologie als der Durchschnitt seiner Konkurrenten an, die mit weniger
Arbeitseinsatz dasselbe Ergebnis liefert. Sein Kostpreis für diese Ware ist vielleicht: c = 80 plus v
= 15, macht ebenfalls 95. Sein individueller Produktionspreis ist
ebenfalls: Kostpreis 95 + Durchschnittsprofit 15 =
110. Wenn Kapitalisten die X und Y mit ihren individuellen
Produktionspreisen von 110 ihre Ware zum Preis von 115 verkaufen,
verkaufen sie die Ware zum allgemein üblichen Marktpreis. In diesem Fall
machen sie aber den Durchschnittsprofit von 15 plus einen Extraprofit von
5. Selbst wenn sie die Ware z. B. für 111, 112, 113 oder 114
verkaufen, bleibt ihnen immer noch ein Extraprofit von 1, 2, 3 oder 4 und
sie hätten noch die Chance, ihre Marktanteile auszuweiten, weil sie
dieselbe Ware billiger anbieten als die
Konkurrenz. Ist der Marktanteil der profitableren Anbieter groß genug, dann zwingen sie die traditionellen Anbieter, ihre Ware unter 115 zu verkaufen. Diese Anbieter bekommen dann nicht den Durchschnittsprofit. „Wird die Ware ... zu
ihrem Wert verkauft, so wird ein Profit realisiert, der gleich dem
Überschuss ihres Werts über ihren Kostpreis ist, also gleich dem ganzen im
Warenwert steckenden Mehrwert. Aber der Kapitalist
kann die Ware mit Profit verkaufen, obgleich er sie unter ihrem Wert
verkauft. Solange ihr Verkaufspreis über ihrem Kostpreis, wenn auch unter
ihrem Wert steht, wird stets ein Teil des in ihr enthaltenen Mehrwerts
realisiert, also stets ein Profit gemacht. ... Angenommen
ein
Warenwert ist = 600 Euro, der Kostpreis 500 Euro.
Wird die Ware zu 510, 520, 530, 560, 590 Euro verkauft, so wird sie
jeweils zu 90, 80, 70, 40, 10 Euro unter ihrem Wert verkauft
und dennoch ein Profit von je 10, 20, 30, 60, 90 Euro aus ihrem
Verkauf herausgeschlagen. Zwischen dem Wert der Ware und ihrem Kostpreis
ist offenbar eine unbestimmte Reihe von Verkaufspreisen möglich. Je größer
das aus Mehrwert bestehende Element des Warenwerts, desto größer der
praktische Spielraum dieser Zwischenpreise. Hieraus erklären sich
... alltägliche Erscheinungen der Konkurrenz, wie z. B. gewisse Fälle
der Preisunterbietung (underselling) ...“ K. Marx, Kapital III,
MEW 25, 47. 2.1. Durch den
Austausch ungleicher Produzenten verliert der Unproduktivere
unter Umständen mehr, als der Produktivere
gewinnt Beispielsweise arbeitet ein Schuster 10 Stunden an einem
Paar Schuhe, ein anderer braucht für dasselbe Produkt nur 5 Stunden. Auf
dem Markt haben aber beide Schuhe nur einen Preis, der der
durchschnittlichen Arbeitsproduktivität
entspricht. Nehmen wir an, dieser Marktpreis für Schuhe entspricht dem
Wert von 6 Arbeitsstunden, dann verkauft der rückständige Schuster das
Produkt seiner 10 Stunden Arbeit und erhält dafür nur Waren (oder Geld) im
Wert von 6 Stunden zurück, der produk-tivere Schuster verkauft sein
Produkt von 5 Stunden Arbeit und erhält dafür Waren (oder Geld) im
Wert von 6 Stunden zurück. Der produktivere Schuster hat sich gleichsam von seinen
weniger produktiven Konkurrenten eine Stunde Arbeit angeeignet. 4 von 10
Arbeitsstunden des unproduktiven Schusters sind jedoch verschwendet und
verloren und gehen nicht in den Wert des Gesamtprodukts aller
produzierten Schuhe ein. „Daraus, dass der
Profit unter dem Mehrwert stehen kann ... folgt, dass nicht nur
individuelle Kapitalisten, sondern Nationen fortwährend miteinander
austauschen können, auch fortwährend den Austausch auf stets wachsender
Stufenleiter wiederholen, ohne dass sie deswegen gleichmäßig zu gewinnen
brauchen. Die eine Nation
kann sich fortwährend einen Teil der Mehrarbeit der anderen aneignen, für
den sie nichts im Austausch zurückgibt ...“ K. Marx, Grundrisse
der Kritik der politischen Ökonomie, 755. 2.2. Die „Ausbeutung“
der unproduktiven Warenproduzenten durch die produktiveren berührt in
keiner Weise die Ausbeutung der Lohnarbeit Sobald Waren auf dem Markt verkauft werden, ist der in ihnen
steckende Lohnanteil schon bezahlt. Beim Verkauf unter Wert („ungleicher
Tausch“) kann nur Verlust für die kapitalistischen Warenbesitzer
eintreten, nicht für deren Lohnarbeiter. Die Lohnarbeiter haben einerseits
keinen Grund, in das Jammern ihrer nicht konkurrenzfähigen Kapitalisten
mit einzustimmen. Andererseits nützt es ihnen auch nichts, wenn sie
zugunsten des Profits ihres Kapitalisten auf Lohn
verzichten. „Von allen Profiten,
die das Kapital, i. e. die Gesamtmasse der Kapitalisten macht, geht ab 1)
der konstante Teil des Kapitals; 2) der Arbeitslohn, oder die
vergegenständlichte Arbeitszeit, notwendig, um das lebendige
Arbeitsvermögen zu reproduzieren. Sie können also nichts unter sich teilen als den Mehrwert. Die Proportionen – gerechte oder ungerechte –, worin sie diesen Mehrwert unter sich verteilen, ändern absolut nichts an dem Austausch und dem Verhältnis des Austausches zwischen Kapital und Arbeit.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 327. „Da der Profit des
Kapitals sich nur realisiert im Preise, der für ... den von ihm
geschaffenen Gebrauchswert gezahlt wird, so ist der Profit also bestimmt
durch den Überschuss des erhaltenen Preises über den Preis,
der die Auslagen deckt. Da ferner diese Realisation nur im
Austausch (d. h. auf dem Markt) vor sich geht, so ist für
das einzelne Kapital der Profit nicht notwendig beschränkt durch seinen
Mehrwert, ... sondern steht im Verhältnis zu dem Überschuss des
Preises, den es im Austausch erhält. Es kann mehr als sein Äquivalent (gleichen Gegenwert) austauschen, und dann ist der Profit größer als sein Mehrwert. Es kann dies nur der Fall sein, soweit der andere Austauschende nicht ein Äquivalent (gleichen Gegenwert) erhält. Der Gesamtmehrwert, ebenso wie der Gesamtprofit ... kann nie durch diese Operation wachsen, noch abnehmen; nicht er selbst, sondern nur seine Verteilung unter den verschiedenen Kapitalisten wird dadurch modifiziert.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 646. „Die allgemeine Rate des Profits kann also in dem einen oder anderen Geschäftszweig fallen dadurch, dass Konkurrenz etc. den Kapitalisten zwingt, unter dem Wert zu verkaufen, d. h. einen Teil der Mehrarbeit nicht für sich, sondern für seine Käufer zu verwerten.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 338. „Es folgt hieraus,
dass, wenn der Kapitalist ... seine Waren zu den Produktionskosten
verkaufte, die sie ihm machten, und sein Gesamtprofit = 0 wäre,
dies nur ein Transfer des Mehrwerts oder Mehrarbeitszeit von
Kapitalisten A auf B, C, D etc. wäre und in Bezug auf seinen Arbeiter im
besten Fall der Gewinn ... sich beschränken würde auf den Teil des
Lohns, den er konsumiert in der verbilligten Ware;
... In Bezug auf die fremden Arbeiter ist der Fall ganz derselbe; sie gewinnen an der verbilligten Ware nur in dem Verhältnis 1) worin sie dieselbe konsumieren; 2) im Verhältnis zur Größe ihres Lohns, das bestimmt ist durch die notwendige Arbeit.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 343. Siehe auch die Artikel:
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Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |