Rückständigkeit und Unterentwicklung
Rückständigkeit auf dem Weltmarkt hat keine anderen Ursachen und keine anderen Auswirkungen als auf jedem nationalen Markt: Wer profitabel produziert, gewinnt – wer nicht profitabel produziert, verliert.
1. Die ökonomischen
Gesetze auf dem Weltmarkt unterscheiden sich nicht wesentlich von den
Gesetzen jedes nationalen Marktes „Die tiefe Heuchelei
der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei
liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer
Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien
wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen.
... Die verheerenden
Wirkungen der englischen Industrie auf Indien, ein Land von der Größe
Europas ... treten erschütternd zutage. Wir dürfen jedoch nicht vergessen,
dass sie nur das natürliche Ergebnis des gesamten
Produktionssystems sind, so wie es heute besteht. Grundlage dieser
Produktion ist die absolute Herrschaft des Kapitals. Wesentlich für die
Existenz des Kapitals als einer unabhängigen Macht ist die Zentralisation
des Kapitals. Der zerstörende
Einfluss dieser Zentralisation auf die Märkte der Welt enthüllt nur in
gigantischem Ausmaß die immanenten Gesetze der politischen Ökonomie, die
heute in jedem zivilisierten Gemeinwesen wirksam sind.“ K. Marx, Britische
Herrschaft in Indien, MEW 9, 225f. „Es versteht sich,
dass die große Industrie nicht an jedem Ort eines Landes zu
derselben Höhe der Ausbildung kommt ... , und ... die von der großen,
modernen Industrie ausgeschlossenen Arbeiter (werden) durch
diese große Industrie in eine noch schlechtere Lebenslage versetzt ... als
die Arbeiter der großen modernen Industrie
selbst. Ebenso wirken die
Länder, in denen eine große Industrie entwickelt ist, auf die mehr oder
minder nicht industriellen Länder, sofern diese durch den Weltverkehr
in den universellen Konkurrenzkampf hereingerissen sind.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 61. „Die auf das Kapital
gegründete Produktion setzt sich nur in ihren adäquaten Formen
durch, sofern und soweit sich die freie Konkurrenz entwickelt, denn
sie ist die freie Entwicklung der auf das Kapital gegründeten
Produktionsweise, die freie Entwicklung seiner Bedingungen... Solange die
auf dem Kapital ruhende Produktion die notwendige, daher die angemessenste
Form für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft, erscheint
das Bewegen der Individuen innerhalb der reinen Bedingungen des Kapitals
als ihre Freiheit; die aber dann auch dogmatisch als solche
Freiheit behauptet wird durch beständige Reflexion auf die
von der freien Konkurrenz nieder-gerissenen
Schranken. Die freie Konkurrenz
ist die verwirklichte Entwicklung des Kapitals. Durch sie wird als
äußerliche Notwendigkeit für das einzelne Kapital durchgesetzt, was
der Natur des Kapitals entspricht ... Der wechselseitige Zwang, den in ihr
die Kapitalien aufeinander und auf die Lohnarbeiter etc.
ausüben (die Konkurrenz der Arbeiter unter sich ist nur eine andere Form
der Konkurrenz der Kapitalien), ist die freie, zugleich
reale Entwicklung des Reichtums als Kapital. So sehr ist dies der
Fall, dass die tiefsten ökonomischen Denker, wie Ricardo z. B. die
absolute Herrschaft der freien Konkurrenz voraus-setzen, um die
adäquaten Gesetze des Kapitals ... studieren und formulieren zu
können. Die freie Konkurrenz
ist aber die adäquateste Form des produktiven Prozesses des Kapitals. Je
weiter sie entwickelt ist, um so reiner treten die Formen seiner Bewegung
hervor. ... Die Herrschaft des
Kapitals ist die Voraussetzung der freien Konkurrenz
... Was in der Natur des
Kapitals liegt, wird nur reell herausgesetzt, als äußere
Notwendigkeit; durch die Konkurrenz, die weiter nichts ist, als dass die
vielen Kapitalien die immanenten Bestimmungen des Kapitals einander
aufzwingen und sich selbst aufzwingen.“ K. Marx, Grundrisse
der Kritik der politischen Ökonomie, 542–545. Siehe auch den Artikel: Konkurrenz
2. Extraprofit ist das
Hauptinstrument der nationalen wie internationalen
Konkurrenz Entwicklung heißt auf dem Weltmarkt nichts anderes als profitablere Produktionsweise mit Extraprofit und Unterentwicklung nichts anderes als rückständige Produktionsweise mit geringerer Profitrate als der Weltdurchschnitt.
2.1. Wie entsteht ein
Extraprofit? „Der
Extraprofit, den ... ein individuelles Kapital in einer besonderen
Produktionssphäre realisiert ... entspringt, von den nur zufälligen
Abweichungen abgesehen, aus einer Verminderung des Kostpreises, also der
Produktionskosten, die entweder dem Umstand geschuldet ist, dass Kapital
in größeren als den durchschnittlichen Massen angewandt wird und sich
daher die toten Kosten der Produktion vermindern, während die
allgemeinen Ursachen der Steigerung der Produktivkraft der Arbeit
(Kooperation, Teilung etc.) in höherem Grade, mit mehr Intensität, weil
auf größerem Arbeitsfeld, wirken können; oder aber dem Umstand, dass,
abgesehen vom Umfang des fungierenden Kapitals, bessere Arbeitsmethoden,
neue Erfindungen, verbesserte Maschinen, chemische Fabrikgeheimnisse etc.,
kurz neue, verbesserte, über dem Durchschnitts-niveau stehende
Produktionsmittel und Produktionsmethoden angewandt
werden. Die Verminderung des
Kostpreises und der daraus entfließende Extraprofit entspringen
hier aus der Art und Weise, wie das fungierende Kapital angelegt
wird. Sie entspringen
entweder daraus, dass es in besonders großen Massen in einer Hand
konzentriert ist ... oder dass Kapital von bestimmter Größe in besonders
produktiver Weise fungiert ... Die Ursache des
Extraprofits entspringt hier also aus dem Kapital selbst (worin die
davon in Bewegung gesetzte Arbeit einbegriffen ist); sei es aus
einem Größenunterschied des angewandten Kapitals, sei es aus
zweckmäßigerer Anwendung desselben; ...“ K. Marx, Kapital
III, MEW 25, 657. Beispiel:
Der Kostpreis einer
Ware sei 100, bestehend aus konstantem Kapital (= Maschinerie, Rohstoffe
etc.) c = 70 plus variablem Kapital (= Lohn) v =
30. Der
Durchschnittsprofit sei 15 %, dann ist der kapitalistische
Produktionspreis dieser Ware = 115. Nehmen wir an, die große Masse
Anbieter produziere unter diesen Bedingungen, und es existiere keine große
Differenz zwischen Angebot und Nachfrage, dann wird dieser
durchschnittliche Produktionspreis von 115 zum Marktpreis, zu dem die Ware
angeboten und verkauft wird. Falls nun ein
Kapitalist X geschicktere, gesündere und fleißigere Lohnarbeiter als seine
Konkurrenten beschäftigt, dann braucht er zur Produktion dieser Ware
weniger Lohnarbeiter und sein Kostpreis ist vielleicht c = 70 plus v = 25,
macht zusammen 95. Der individuelle Produktionspreis dieser Ware
wäre: Kostpreis 95 +
Durchschnittsprofit 15 = 110. Ein anderer Kapitalist
Y wendet vielleicht bessere Technologie als der Durchschnitt seiner
Konkurrenten an, die mit weniger Arbeitseinsatz dasselbe Ergebnis
liefert. Sein Kostpreis für
diese Ware ist vielleicht: c = 80 plus v = 15, macht ebenfalls 95. Sein
individueller Produktionspreis ist ebenfalls: Kostpreis 95 +
Durchschnittsprofit 15 = 110. Wenn die Kapitalisten
X und Y mit ihren individuellen Produktionspreisen von 110 ihre Ware zum
Preis von 115 verkaufen, verkaufen sie die Ware zum allgemein üblichen
Marktpreis. In diesem Fall machen sie aber den Durchschnittsprofit von 15
plus einen Extraprofit von 5. Selbst wenn sie die Ware z. B. für 111,
112, 113 oder 114 verkaufen, bleibt ihnen immer noch ein Extraprofit von
1, 2, 3 oder 4 und sie hätten noch die Chance, ihre Marktanteile
auszuweiten, weil sie dieselbe Ware billiger anbieten als die
Konkurrenz. Kapitalisten machen
einen Extraprofit, „nicht weil sie ihre
Ware über, sondern weil sie sie zu dem allgemeinen Produktionspreis
verkaufen, während ihre Waren produziert werden oder ihr Kapital
fungiert unter ausnahmsweise günstigen Bedingungen ...“. K. Marx, Kapital
III, MEW 25, 654. „Hieraus erklären sich
... alltägliche Erscheinungen der Konkurrenz, wie z. B. gewisse Fälle
der Preisunterbietung (underselling), ...“ K. Marx, Kapital III,
MEW 25, 47. Siehe auch den Artikel: Extraprofit
2.2. „Ungleicher
Tausch“ ist die notwendige Konsequenz des
Wertgesetzes Auf dem nationalen
wie internationalen Markt treten sich ungleiche Produzenten mit gleichen
Waren gegenüber. In der profitabler produzierten Ware steckt immer weniger
Wert als in der rückständig produzierten, trotzdem sind in der Regel ihre
Preise annähernd gleich. „Der Wert der Waren
steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit.“
K. Marx,
Kapital I, MEW 23, 338. Beispiel: Ein Schuster arbeitet
10 Stunden an einem Paar Schuhe, ein anderer braucht für dasselbe Produkt
nur 5 Stunden. Auf dem Markt haben aber beide Schuhe nur einen Preis, der
der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität entspricht. Nehmen wir an,
dieser Schuhpreis entspricht dem Wert von 6 Arbeitsstunden, dann verkauft
der eine Schuster das Produkt seiner 10 Stunden Arbeit und erhält dafür
nur Waren im Wert von 6 Stunden zurück, der andere verkauft sein Produkt
von 5 Stunden Arbeit und erhält dafür Waren im Wert von 6 Stunden
zurück. Der produktivere Schuster hat sich von allen weniger produktiven Konkurrenten eine Stunde Arbeit angeeignet. 4 Stunden von den 10 Arbeitsstunden des unproduktiven Schusters sind jedoch verschwendet und verloren und gehen nicht in den Wert des Gesamtprodukts aller produzierten Schuhe ein.
„Der individuelle Wert
der produktiver produzierten Ware steht ... unter ihrem
gesellschaftlichen Wert, d. h. sie kostet weniger Arbeitszeit als der
große Haufen derselben Artikel, produziert unter den gesellschaftlichen
Durchschnittsbedingungen. ... Der wirkliche Wert
einer Ware ist aber nicht ihr individueller, sondern ihr
gesellschaftlicher Wert, d. h. er wird nicht durch die Arbeitszeit
gemessen, die sie im einzelnen Fall dem Produzenten tatsächlich kostet,
sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion nötige
Arbeitszeit. Verkauft also der
Kapitalist, der eine neue produktivere Methode anwendet,
seine Ware zu ihrem gesellschaftlichen Wert ..., so verkauft er sie ...
über ihrem individuellen Wert und realisiert so einen Extramehrwert von
... Unter sonst gleich bleibenden Umständen erobern seine Waren ...
größeren Marktraum durch Senkung ihrer Preise. Er wird sie daher
über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Wert
verkaufen.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 336. Dies gilt natürlich umgekehrt auch für rückständige Kapitalisten, die weniger produktiv arbeiten lassen als der Durchschnitt. Sie müssen ihre Waren unter ihrem individuellen Wert verkaufen und realisieren dann einen geringeren Mehrwert als der Durchschnitt der Kapitalisten. Das trifft auf alle Warenproduzenten zu, die unter rückständigen Verhältnissen produzieren, im eigenen Land wie in der Dritten Welt.
„Der Wert ...
einer Ware ist kleiner, falls zu ihrer Produktion eine
kleinere Gesamtmenge Arbeit erforderlich ist, nämlich weniger
Arbeit, die ... als Teil des konstanten Kapitals eingeht. Die hier
angewandte Arbeit ist produktiver, ihre individuelle Produktivkraft ist
größer als die in der Masse derselben Art Fabriken angewandten Arbeit. ...
Diese größere individuelle Produktivkraft der angewandten Arbeit
vermindert den Wert, aber auch den Kostpreis und damit den
Produktionspreis der Ware. Für den Industriellen stellt sich dies so dar, dass für ihn der Kostpreis der Ware geringer ist. ... Da der Kostpreis seiner Ware geringer ist, ist auch sein individueller Produktionspreis geringer.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 654f.
„Im Maß, wie in einem
Lande die kapitalistische Produktion entwickelt ist, im selben Maß erheben
sich dort auch die nationale Intensität und Produktivität der Arbeit über
das internationale Niveau. Die verschiedenen
Warenmengen derselben Art, die in verschiedenen Ländern in gleicher
Arbeitszeit produziert werden, haben also ungleiche internationale Werte,
die sich in verschiedenen Preisen ausdrücken, d. h. in je nach den
internationalen Werten verschiedenen Geldsummen. Der relative Wert des
Geldes wird also kleiner sein bei der Nation mit entwickelterer
kapitalistischer Produktionsweise als bei der mit wenig entwickelter.“
K. Marx, Kapital
I, MEW 23, 584. Auf dem Weltmarkt werden diese ungleichen Werte, die ungleiche Arbeitsmengen re-präsentieren, jedoch mehr oder minder zu einem Preis verkauft. Dabei gewinnt der Produktivere, der Unproduktive verliert.
„In Ländern von
verschiedener Entwicklungsstufe der kapitalistischen Produktion und daher
von verschiedener organischer Zusammensetzung des Kapitals kann die Rate
des Mehrwerts (der eine Faktor, der die Profitrate bestimmt) höher stehen
in dem Lande, wo der normale Arbeitstag kürzer ist, als in dem, wo er
länger ist. Erstens: Wenn der englische
Arbeitstag von 10 Stunden seiner höheren Intensität wegen gleich ist einem
rückständigeren österreichischen Arbeitstag von 14 Stunden, können
bei gleicher Teilung des Arbeitstags 3 Stunden Mehrarbeit dort einen
höheren Wert auf dem Weltmarkt darstellen als 7 Stunden
hier. Zweitens aber kann dort ein größerer Teil des Arbeitstags Mehrarbeit bilden als hier.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 225.
„Daraus, dass der
Profit unter dem Mehrwert stehen kann, also das Kapital sich
profitlich austauschen kann, ohne sich zu verwerten (vermehren) im
strikten Sinn, folgt, dass nicht nur individuelle Kapitalisten, sondern
Nationen fortwährend miteinander austauschen können, auch fortwährend den
Austausch auf stets wachsender Stufenleiter wiederholen, ohne dass sie
deswegen gleichmäßig zu gewinnen brauchen. Die eine kann sich fortwährend
einen Teil der Mehrarbeit der anderen aneignen, für den sie nichts
im Austausch zurückgibt, bloß dass hier das Maß nicht wie im Austausch
zwischen Kapitalist und Arbeiter.“ K. Marx, Grundrisse
der Kritik der politischen Ökonomie, 755. Im Austausch
zwischen Kapitalist und Arbeiter zahlt der Kapitalist für die Nutzung der
Arbeitskraft eine bestimmbare Summe für die Reproduktion der Arbeitskraft.
Das darüber hinausgehende Arbeitsprodukt fällt insgesamt als Mehrwert an
ihn. Im Austausch zwischen Kapitalisten wird kein neuer Reichtum
geschaffen, aber es wird geschaffener Mehrwert umverteilt, wenn der Profit
des Zulieferers kleiner ist als der bei ihm geschaffene Mehrwert. Diese
Differenz zwischen Profit und Mehrwert eignet sich ein kapitalistischer
Käufer an, der diese Ware weiterverarbeitet oder
weiterverkauft. Siehe auch den Artikel: Ungleicher Tausch
2.3. Neben „ungleichem
Tausch“ gibt es auch Betrug, Bestechung oder blanke Erpressung auf den
nationalen Märkten wie auf dem Weltmarkt Politisch und
militärisch Stärkere können für sich günstigere Vertragsbedingungen
erpressen. „A verkauft Wein zum
Wert von 4.000 Euro an B und erwirbt im Austausch Getreide zum Wert
von 5.000 Euro. A hat seine 4.000 Euro in 5.000 Euro
verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht und seine Ware in Kapital
verwandelt. Sehen wir näher zu.
Vor dem Austausch hatten wir für 4.000 Euro Wein in der Hand von A
und für 5.000 Euro Getreide in der Hand von B, Gesamtwert von
9.000 Euro. Nach dem Austausch haben wir denselben Gesamtwert von 9.000 Euro. Der zirkulierende Wert hat sich um kein Atom vergrößert, seine Verteilung zwischen A und B hat sich verändert. Auf der einen Seite erscheint als Mehrwert, was auf der anderen Seite Minderwert ist, auf der einen Seite als Plus, was auf der anderen als Minus. Derselbe Wechsel hätte sich ereignet, wenn A, ohne die verhüllende Form des Austausches, dem B 1.000 Euro direkt gestohlen hätte.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 177.
2.4. In der Konkurrenz
der Produktionsweisen auf dem Weltmarkt setzt sich die profitablere
Produktionsweise durch „Nach der Einführung
des Dampfwebstuhls in England z. B. genügte vielleicht halb so viel Arbeit
als vorher, um ein gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der
traditionelle englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung in
der Tat nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner
individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe
gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die Hälfte seines
früheren Werts.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 53. Der Handweber musste
wegen der Fabrikkonkurrenz seine Ware, die ihn immer noch gleich viel
Arbeit kostete, für weniger Geld verkaufen. Über kurz oder lang wurde er
durch diese Konkurrenz ruiniert. „Sie klagen darüber, dass die maschinell produzierten Waren die Produktion der Hausindustrie verdrängen und so eine ergänzende Produktion zerstören, ohne die der Bauer nicht leben kann. Aber das ist eine absolut notwendige Folge der kapitalistischen Großindustrie...“ F. Engels, Brief an Danielson (1892), MEW 38, 468f.
„Solange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf Kosten des überlieferten Handwerks ... ausdehnt, sind seine Erfolge so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem Zündnadelgewehr bewaffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschützen wäre. Diese erste Periode, worin die Maschine erst ihren Wirkungskreis erobert, ist entscheidend wichtig wegen der außerordentlichen Profite, die sie produzieren hilft.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 474.
„Wo die alte Methode ... der Handkattundruckerei durch Maschinen-druck verdrängt ist, druckt eine einzige Maschine mit dem Beistand eines Mannes oder Jungen so viel vierfarbigen Kattun in einer Stunde wie früher 200 Männer.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 413.
„Ein englischer und
ein chinesischer Spinner z. B. mögen dieselbe Stundenzahl mit
derselben Intensität arbeiten, so werden beide in einer Woche gleiche
Werte erzeugen. Trotz dieser Gleichheit besteht ein ungeheurer Unterschied
zwischen dem Wert des Wochenprodukts des Engländers, der mit einem
gewaltigen Automaten arbeitet, und des Chinesen, der nur ein Spinnrad
hat. In derselben Zeit, wo
der Chinese ein Pfund Baumwolle, verspinnt der Engländer mehrere hundert
Pfund.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 632f.
Das bedeutet, dass die Kosten für Rohstoffe und Maschinerie unge-heuer ansteigen. Trotzdem wird jede einzelne Einheit Maschinengarn billiger hergestellt als dieselbe Einheit handgesponnenes Garn. Das handgesponnene Garn und sein Produzent werden unweigerlich vom Markt verdrängt.
„In einem europäischen
Land sei die Rate des Mehrwerts 100 %, d. h., der Arbeiter arbeite den
halben Tag für sich und den halben Tag für seinen Beschäftiger; in
einem asiatischen Land (oder einem anderen Land der Dritten Welt
mit einheimischem Kapital) sei sie = 25 %, d. h., der Arbeiter arbeite
4/5 des Tages für sich und 1/5 für seinen
Beschäftiger. In dem europäischen
Land aber sei die Zusammensetzung des nationalen Kapitals 84 c + 16 v, und
im asiatischen Land, wo wenig Maschinerie etc. angewandt und in einer
gegebenen Zeit von einer gegebenen Menge Arbeitskraft relativ wenig
Rohmaterial produktiv konsumiert wird, sei die Zusammensetzung 16 c + 84
v. Wir haben dann
folgende Rechnung: Im europäischen
Land Produktwert = 84 c + 16 v + 16 m = 116; Profitrate =
... 16 %.
Im asiatischen
Land Produktwert = 16 c + 84 v + 21 m = 121; Profitrate =
... 21 %. Die Profitrate ist
also im asiatischen Land um mehr als 25 % größer als im europäischen,
obgleich die Mehrwertrate in jenem viermal kleiner ist als in diesem.“
K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 160. Trotz niedriger
Profitrate produziert jedoch das europäische Kapital kostengünstiger als
die Konkurrenz in der Dritten Welt. Sein individueller Produktenwert ist 116, der des asiatischen Landes 121. Falls das europäische Produkt zu 117, 118, 119 oder 120 verkauft wird, wird die rückständigere Konkurrenz der Dritten Welt im Preis unterboten und gleichzeitig noch ein Extraprofit von 1, 2, 3 oder 4 realisiert.
„Und was diese Seite der Frage – die Zerstörung der Hausindustrie und der ihr zugrunde liegenden Zweige der Landwirtschaft durch Import billiger Industriewaren ins rückständige Russland – angeht, so scheint mir der springende Punkt der zu sein, dass die Russen entscheiden mussten, ob ihre eigene Großindustrie ihre Hausindustrie zerstören oder ob der Import englischer Waren dies vollbringen sollte. Mit Schutzzoll haben das die Russen selbst besorgt, ohne Schutzzoll hätten es die Engländer getan.“ F. Engels, Brief an Danielson (22.9.1892), MEW 38, 468f.
„England hat in Indien
eine doppelte Mission zu erfüllen: eine zerstörende und eine erneuernde –
die Zerstörung der alten asiatischen Gesellschaftsordnung und die
Schaffung der materiellen Grundlagen einer westlichen Gesellschaftsordnung
in Asien. ... Alle Maßnahmen, zu denen die englische Bourgeoisie möglicherweise genötigt sein wird, werden der Masse des Volkes weder die Freiheit bringen noch seine soziale Lage wesentlich verbessern, denn das eine wie das andere hängt nicht nur von der Entwicklung der Produktivkräfte ab, sondern auch davon, dass das Volk sie selbst in Besitz nimmt. Auf alle Fälle aber wird die Bourgeoisie die materiellen Voraussetzungen für beides schaffen. Hat die Bourgeoisie jemals mehr geleistet? Hat sie je einen Fortschritt zuwege gebracht, ohne Individuen wie ganze Völker durch Blut und Schmutz, durch Elend und Erniedrigung zu schleifen?“ K. Marx, Britische Herrschaft in Indien, MEW 9, 221-224. „So sehr es nun auch
dem menschlichen Empfinden widerstreben mag, Zeuge zu sein, wie
Tausende betriebsamer patriarchalischer und harmloser sozialer
Organisationen zerrüttet und in ihre Einheiten aufgelöst werden ..., so
dürfen wir doch darüber nicht vergessen, dass diese idyllischen
Dorfgemeinschaften, so harmlos sie auch aussehen mögen, seit jeher die
feste Grundlage des orientalischen Despotismus gebildet haben, dass sie
den menschlichen Geist auf den denkbar engsten Gesichtskreis beschränkten,
ihn zum gefügigen Werkzeug des Aberglaubens, zum unterwürfigen Sklaven
traditioneller Regeln machten und ihn jeglicher Größe und geschichtlicher
Energien beraubten. .... Gewiss war schnödester Eigennutz die einzige Triebfeder Englands, als es eine soziale Revolution in Indien auslöste, und die Art, wie es seine Interessen durchsetzte, war stupid. Aber nicht das ist hier die Frage. Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in Asien. Wenn nicht, so war England, welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewusste Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte.“ K. Marx, Britische Herrschaft in Indien, MEW 9, 133.
Die rückständigen
Nationen quält „nicht nur die
Entwicklung der kapitalistischen Produktion, sondern auch der Mangel ihrer
Entwicklung. Neben den modernen Notständen drückt sie eine ganze
Reihe vererbter Notstände, entspringend aus der Fortvegetation
altertümlicher, überlebter Produktionsweisen, mit ihrem Gefolge von
zeitwidrigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Sie
leiden nicht nur von den Lebenden, sondern auch von den Toten.“
K. Marx,
Kapital I, MEW 23, 12f. „Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eigenen Zukunft.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 12.
3. Einmal rückständig
– immer rückständig? Diese Ansicht steht im
Widerspruch zur historischen Realität (vgl.
Deutschland, Japan, China etc.) und im Widerspruch zur Theorie von
Marx. „Keine Nation (kann) mit den anderen kulturell Schritt halten ..., wenn sie ihrer Industrie beraubt und damit auf das Niveau eines Haufens von Bauerntölpeln herabgedrückt wird.“ F. Engels, Handelsvertrag mit Frankreich, MEW 19, 263.
„Sie werden ferner zugeben, dass heutzutage ein großes Volk wie die Amerikaner nicht ewig bloß ackerbauend bleiben kann, dass das eine Verurteilung zu ewiger Barbarei und Unterordnung wäre; heutzutage kann kein großes Volk bestehen ohne eigene Industrie.“ F. Engels, Schutzzoll und Freihandel, MEW 21, 365.
„Kein Kapitalist wendet eine neue Produktionsweise ... freiwillig an, sobald sie seine Profitrate vermindert. Aber jede solche neue Produktionsweise verbilligt die Waren. Er verkauft sie daher ursprünglich über ihrem Produktionspreis, vielleicht über ihrem Wert. Er steckt die Differenz ein, die zwischen ihren Produktionskosten und dem Marktpreis der übrigen, zu höheren Produktionskosten produzierten Waren besteht. Er kann dies, weil der Durchschnitt der zur Produktion dieser Waren gesellschaftlich nötigen Arbeitszeit größer ist als die mit der neuen Produktionsweise nötigen Arbeitszeit. Seine Produktions-prozedur steht über dem Durchschnitt der gesellschaftlichen. Aber die Konkurrenz verallgemeinert sie und unterwirft sie dem allgemeinen Gesetz. Dann tritt das Sinken der Profitrate ein – ...“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 275.
4. Nützt politische und ökonomische Abhängigkeit
der Entwicklung? Jede Kolonialmacht hat
behauptet, sie handele im Interesse der von ihr Abhängigen – auch die
Sowjetunion verhielt sich da nicht anders gegenüber ihren
Satellitenstaaten. Kautsky schrieb am 11.5.1882 in einem Brief an Engels: „Ich glaube der Besitz Indiens durch das englische Proletariat wäre von Vorteil für beide. Für dieses, als Bezugsquelle von Rohstoffen. Für jenes aber insofern, als das indische Volk, wenn sich selbst überlassen, dem ärgsten Despotismus anheim fallen würde ... Unter der Leitung des europäischen Proletariats dagegen könnte Indien meiner Ansicht nach ganz gut zum modernen Sozialismus überführt werden, ohne das Zwischenstadium des Kapitalismus durchmachen zu müssen ....“ K. Kautsky, Brief an Engels (1882), MEW 35, 518f. Anm. 406.
Engels antwortete erst
am 12.9.1882 darauf: „Und da Sie mir mit
Ihrer Kolonialfrage eine Aufgabe stellten, die gar nicht so
leicht zu lösen ist ... Meiner Ansicht nach
werden die eigentlichen Kolonien, d. h. die von europäischer
Bevölkerung besetzten Länder, Kanada, Kap (= Südafrika),
Australien, alle selbständig werden; dagegen die bloß beherrschten, von
Eingeborenen bewohnten Länder, Indien, Algier, die holländischen,
portugiesischen und spanischen Besitzungen, vom Proletariat vorläufig
übernommen werden und so rasch wie möglich der Selbständigkeit
entgegengeführt werden müssen. Wie sich dieser
Prozess entwickeln wird, ist schwer zu sagen. Indien macht vielleicht
Revolution, sogar sehr wahrscheinlich, und da das sich befreiende
Proletariat keine Kolonialkriege führen kann, würde man es gewähren lassen
müssen, wobei es natürlich nicht ohne allerhand Zerstörung abgehen würde
... Dasselbe könnte sich auch noch anderwärts abspielen, z. B. in
Algier und Ägypten, und wäre für uns sicher das beste. Wir werden
genug zu Hause zu tun haben. Ist Europa erst reorganisiert und
Nordamerika, so gibt das eine so kolossale Macht und ein solches Exempel,
dass die halbzivilisierten Länder ganz von selbst ins Schlepptau kommen;
das besorgen allein schon die ökonomischen
Bedürfnisse. Welche sozialen und
politischen Phasen aber diese Länder dann durchzumachen haben, bis sie
ebenfalls zur sozialistischen Organisation kommen, darüber, glaube ich,
können wir heute nur ziemlich müßige Hypothesen
aufstellen. Nur das eine ist
sicher: das siegreiche Proletariat kann keinem fremden Volk irgendwelche
Beglückung aufzwingen, ohne damit den eigenen Sieg zu untergraben.“
F.
Engels, Brief an Kautsky (1882), MEW 35, 356f.
|
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |