Praxis und Theorie

1. Praxis umfasst alle gesellschaftliche Tätigkeiten.

Die wichtigste menschliche Praxis ist die Arbeit

„Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien ... finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 7.

 

„Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut.

Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht dass er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muss.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 193.

 

„Wie aber der Mensch eine Lunge zum Atmen braucht, braucht er ein ‚Gebilde von Menschenhand‘, um Naturkräfte produktiv zu konsumieren. Ein Wasserrad ist nötig, um die Bewegungskraft des Wassers, eine Dampfmaschine, um die Elastizität des Dampfs auszubeuten.

Wie mit den Naturkräften verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal entdeckt, kostet das Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im Wirkungskreise eines elektrischen Stroms oder über die Erzeugung von Magnetismus im Eisen, um das ein elektrischer Strom kreist, keinen Deut. Aber zur Ausbeutung dieser Gesetze für Telegrafie usw. bedarf es eines sehr kostspieligen und weitläufigen Apparats.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 407.

 

2. Richtige Ideen stammen aus der gesellschaftlichen Praxis

und verändern sich mit ihr

„Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der so genannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln ...

Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden:

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesell-schaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseins-formen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess über-haupt.

Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein (ihre Praxis), sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein (ihre Praxis), das ihr Bewusstsein (ihre Theorie) bestimmt.“ K. Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, 8f.

 

„... Ehe die Menschen argumentierten, handelten sie.“ F. Engels, Entwicklung des Sozialismus, MEW 19, 296.

 

„Wie die Menschen ursprünglich aus dem Tierreich – im engeren Sinne – heraustreten, so treten sie in die Geschichte ein: noch halb Tiere, roh, noch ohnmächtig gegenüber den Kräften der Natur, noch unbekannt mit ihren eigenen; daher arm wie die Tiere und kaum produktiver als sie.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 166.

 

„Die praktische Entdeckung der Verwandlung mechanischer Bewegung in Wärme ist so uralt, dass man von ihr den Anfang der Menschheits-geschichte datieren könnte. ... Es war das Reibfeuer, wodurch die Menschen zum ersten Mal eine leblose Naturkraft in ihren Dienst pressten. ...

Allerdings ist der Prozess beim Reibfeuer noch einseitig. Es wird mechanische Bewegung in Wärme verwandelt. Um den Vorgang zu vervollständigen, muss er umgekehrt, muss Wärme in mechanische Bewegung verwandelt werden. ...

Der Zeitraum muss nach Jahrtausenden zu messen sein, der seit der Entdeckung des Reibfeuers verfloss, bis Hero von Alexandrien (gegen -120) eine Maschine erfand, die durch den von ihr ausströmenden Wasserdampf in rotierende Bewegung versetzt wurde. Und wieder verflossen fast 2000 Jahre, bis die erste Dampfmaschine, die erste Vorrichtung zur Verwandlung von Wärme in wirklich nutzbare mecha-nische Bewegung, hergestellt wurde. ...

Die Praxis hatte also in ihrer Weise die Frage von den Beziehungen zwischen mechanischer Bewegung und Wärme gelöst. ... Wie aber sah es mit der Theorie aus? Kläglich genug. ... Im 18. Jahrhundert trat mehr und mehr die Auffassung in den Vordergrund, die Wärme sei wie auch das Licht, die Elektrizität, der Magnetismus, ein besonderer Stoff, und alle diese eigentümlichen Stoffe unterschieden sich von der alltäglichen Materie dadurch, dass sie kein Gewicht hätten ...“ F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, 391ff.

 

„Die Entwicklung der Wissenschaft, besonders der Naturwissenschaft, und mit ihr aller anderen, steht selbst wieder im Verhältnis zur Entwicklung der materiellen Produktion.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 592.

 

„Gerade die Veränderung der Natur durch den Menschen, nicht die Natur als solche allein, ist die wesentlichste und nächste Grundlage des menschlichen Denkens, und im Verhältnis, wie der Mensch die Natur verändern lernte, in dem Verhältnis wuchs seine Intelligenz.“ F. Engels, Naturdialektik, MEW 20, 498.

 

„... Wo wäre ohne Industrie und Handel die Naturwissenschaft? Selbst diese ‚reine‘ Wissenschaft erhält ja ihren Zweck sowohl wie ihr Material erst durch Handel und Industrie, durch sinnliche Tätigkeit der Menschen.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 44.

 

„Die Tatsache, dass unser subjektives Denken und die objektive Welt denselben Gesetzen unterworfen sind und daher auch beide in ihren Resultaten sich schließlich nicht widersprechen können, sondern übereinstimmen müssen, beherrscht absolut unser gesamtes theore-tisches Denken. Sie ist seine unbewusste und unbedingte Voraussetzung. ... Andererseits hat die moderne Naturwissenschaft den Satz vom erfahrungsmäßigen Ursprung alles Denkinhalts in einer Weise erweitert, die seine alte metaphysische Begrenzung und Formulierung über den Haufen wirft. Indem sie die Vererbung erworbener Eigenschaften anerkennt, erweitert sie das Subjekt der Erfahrung vom Individuum auf die Gattung; es ist nicht mehr notwendig das einzelne Individuum, das erfahren haben muss, seine Einzelerfahrung kann bis auf einen gewissen Grad ersetzt werden durch die Resultate der Erfahrungen einer Reihe seiner Vorfahren. Wenn bei uns z. B. die mathematischen Axiome jedem Kind von acht Jahren als selbstverständlich, keines Erfahrungsbeweises bedürftig erscheinen, so ist das lediglich Resultat ‚gehäufter Ver-erbung‘.“ F. Engels, Naturdialektik, MEW 20, 529.

 

„Bedarf es tiefer Einsicht, um zu begreifen, dass mit den Lebens-verhältnissen der Menschen, mit ihren gesellschaftlichen Beziehungen, mit ihrem gesellschaftlichen Dasein, auch ihre Vorstellungen, Anschauungen und Begriffe, mit einem Worte auch ihr Bewusstsein sich ändert? Was beweist die Geschichte der Ideen anderes, als dass die geistige Produktion sich mit der materiellen umgestaltet?“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 480.

 

„Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften. Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesell-schaftlichen Verhältnisse.

Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampf-mühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten. ...

Wir leben inmitten einer beständigen Bewegung des Anwachsens der Produktivkräfte, der Zerstörung sozialer Verhältnisse, der Bildung von neuen Ideen; ...“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 130.

 

„Es kommt überall nicht mehr darauf an, Zusammenhänge im Kopf auszudenken, sondern sie in den Tatsachen zu entdecken.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 306.

 

„Wie die medizinischen Wundermänner und Wunderkuren auf der Unbekanntschaft mit den Gesetzen der natürlichen, so fußen die sozialen Wundermänner und Wunderkuren auf der Unbekanntschaft mit den Gesetzen der sozialen Welt ...“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 523.

 

Zunächst werden Sie zugeben, dass ein Mensch, der die gegenwärtige Gesellschaftsordnung nicht begriffen hat, noch weniger imstande ist, die Bewegung, die sie umwälzen will, und den literarischen Ausdruck dieser revolutionären Bewegung zu begreifen.“ K. Marx, Brief an Annenkow (1846), MEW 27, 461.

 

 

3. Ideen ohne nachfolgende Praxis bewirken nichts

Ideen können nie über einen alten Weltzustand, sondern immer nur über die Ideen des alten Weltzustandes hinausführen. Ideen können überhaupt nichts ausführen. Zum Ausführen der Ideen bedarf es der Menschen, welche eine praktische Gewalt aufbieten.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 126.

 

„... Man sieht, wie die Lösung der theoretischen Gegensätze selbst nur auf eine praktische Art, nur durch die praktische Energie der Menschen möglich ist und ihre Lösung daher keineswegs nur eine Aufgabe der Erkenntnis, sondern eine wirkliche Lebensaufgabe ist, welche die Philosophie nicht lösen konnte, eben weil sie dieselbe als nur theoretische Aufgabe fasste.“ K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manus-kripte, MEW 40, 542.

 

„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 5.

 

„Die bloße Erkenntnis, und ginge sie weiter und tiefer als die der bürgerlichen Ökonomie, genügt nicht, um gesellschaftliche Mächte der Herrschaft der Gesellschaft zu unterwerfen. Dazu gehört vor allem eine gesellschaftliche Tat.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 295.

 

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 7.

 

„Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produk-tionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.

Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.“ K. Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, 9.

 

„Es ist die alte Illusion, dass es nur vom guten Willen der Leute abhängt, die bestehenden Verhältnisse zu ändern ... Diese ideelle Erhebung über die Welt ist der ideologische Ausdruck der Ohnmacht der Philosophen gegenüber der Welt. Ihre ideologischen Prahlereien werden jeden Tag durch die Praxis Lügen gestraft.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 363.

 

Siehe auch die Artikel:

Arbeit

Denken

Erfindungen

Ideal (Idee)

Ideologie

Kommunistische Theorie

Kritik

 

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.