Kritik

 

1. Kritik befasst sich mit Gedanken, statt mit der Wirklichkeit

Es ist die Kritik, die die einzelne Existenz am Wesen, die besondere Wirklichkeit an der Idee misst. K. Marx, Dissertation, MEW 40, 327f.

Es ist die alte Illusion, dass es nur vom guten Willen der Leute abhängt, die bestehenden Verhältnisse zu ändern ... Die Veränderung des Bewusstseins, abgetrennt von den Verhältnissen, wie sie von den Philosophen als Beruf, d. h. als Geschäft, betrieben wird, ist selbst ein Produkt der bestehenden Verhältnisse und gehört mit zu ihnen. Diese ideelle Erhebung über die Welt ist der ideologische Ausdruck der Ohnmacht der Philosophen gegenüber der Welt. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 363.

 

Die Gedanken-Kritiker stellen an die Menschen das Postulat, ihr gegenwärtiges Bewusstsein mit dem menschlichen, kritischen ... Bewusstsein zu vertauschen und dadurch ihre Schranken zu beseitigen. Diese Forderung das Bewusstsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d. h. es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen. ... Die Kritiker haben den richtigen Ausdruck für ihre Tätigkeit gefunden, wenn sie behaupten, nur gegen Phrasen zu kämpfen. Sie vergessen nur, dass sie diesen Phrasen selbst nichts als Phrasen entgegensetzen, und dass sie die wirkliche Welt keineswegs bekämpfen, wenn sie nur die Phrasen dieser Welt bekämpfen. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 20.

 

Der Kritiker bildet sich ... ein, dass seine moralische Forderung an die Menschen, ihr Bewusstsein zu verändern, dies veränderte Bewusstsein zustande bringen werde, und er sieht in den durch veränderte empirische Verhältnisse veränderte Menschen, die nun auch natürlich ein anderes Bewusstsein haben, nichts Anderes, als ein verändertes Bewusstsein. ... Diese ganze Trennung des Bewusstseins von den ihm zugrunde liegenden Individuen und ihren wirklichen Verhältnissen ... ist nur eine alte Philosophenmarotte. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 232f.

 

 

2. Karl Marx kritisierte Verhältnisse, nicht Ideen

Nur wer aus dem Reich der Spekulation in das der Wirklichkeit herabsteigt, aus dem, was die Menschen sich einbilden, zu dem, was sie sind, aus dem, was sie sich vorstellen, zu dem, wie sie sich betätigen, und unter bestimmten Umständen betätigen müssen, nur wer das tut, begreift, dass tatsächlich ,Produkt des Lebens ist, was als Produkt des Denkens erscheint. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 228.

 

Indessen ist das gerade wieder der Vorzug der neuen Richtung, dass wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der alten Welt die neue finden wollen. Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme ... Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen. ...

Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.

Ich bin nicht dafür, dass wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. ...

Es fragt sich, wie ist das anzustellen? ... Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an jede Form des theoretischen und praktischen Bewusstseins anknüpfen und aus den eigenen Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck entwickeln. ...

Es hindert uns also nichts, unsere Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Lass ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewusstsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muss, wenn sie auch nicht will. Die Reform des Bewusstseins besteht nur darin, dass man die Welt ihr Bewusstsein innewerden lässt, dass man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, dass man ihre eigenen Aktionen erklärt. ...

Wir können also die Tendenz ... in ein Wort fassen: Selbst-verständigung ... der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. Dies ist eine Arbeit für die Welt und für uns. Sie kann nur das Werk vereinter Kräfte sein. Karl Marx, Briefe aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, MEW 1, 344ff.

 

Die Analyse (ist) aber die notwendige Voraussetzung ... des Begreifens des wirklichen Gestaltungsprozesses in seinen verschiedenen Phasen. Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Beilagen, MEW 26.3, 491.

 

Die Arbeit, um die es sich beim Kapital zunächst handelt, ist Kritik der ökonomischen Kategorien oder, if you like, das System der bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung des kapitalistischen Systems und durch die Darstellung Kritik desselben. K. Marx, Brief an F. Lassalle (1858), MEW 29, 550.

 

1867 ... erschien in Hamburg: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band. Dies Werk enthält die Resultate des Studiums eines ganzen Lebens. Es ist die politische Ökonomie der arbeitenden Klasse, auf ihren wissenschaftlichen Ausdruck reduziert. Hier handelt es sich nicht um agitatorische Phrasen, sondern um streng wissen-schaftliche Deduktionen. Mag man sich zum Sozialismus verhalten, wie man will, man wird immerhin anerkennen müssen, dass hier derselbe zuerst wissenschaftlich dargestellt ist...

Das Marxsche Buch hat aber auch noch nach anderer Seite hin ein Interesse. Es ist die erste Schrift, in der die tatsächlichen Verhältnisse, die zwischen Kapital und Arbeit bestehen, in ihrer klassischen Form, wie sie solche in England erlangt haben, vollständig und übersichtlich geschildert werden. F. Engels, Karl Marx, MEW 16, 365.

 

Niemand ist näher an die bestimmten konkreten Verhältnisse der Gesellschaft herangetreten als Marx im Kapital. Er hat 25 Jahre darauf verwandt, sie nach allen Seiten hin zu untersuchen, und die Resultate seiner Kritik enthalten überall ebenfalls die Keime der so genannten Lösungen, soweit solche überhaupt heutzutage möglich sind. F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 286.

 

I. I. Kaufmann schrieb über Das Kapital von Marx: ,Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehen, wie er in einer gegebenen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d. h. der Übergang aus einer Form in die andere, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andere. ...

Die Kritik (kann), ... weniger als irgendetwas anderes, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben ... Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden ... Zit. nach K. Marx, Kapital I, MEW 23, 25f.

Zu dieser Darstellung seiner Methode schrieb Karl Marx: Indem I. I. Kaufmann das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was anderes hat er geschildert als die dialektische Methode? Karl Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 25ff.

Siehe auch die Artikel:

Bewusstsein

Philosophie

 

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.