Hegel Eine gewisse Marx-Tradition sieht in dem Fortschritt der Philosophie, der in der Dialektik Hegels gipfelt, ein wichtiges – wenn nicht das wichtigste – Element des Marx’schen Denkens. Tatsächlich war Hegels Philosophie nur Resultat und Reflex des vorange-gangenen wissenschaftlichen Fortschritts. Die geistige Entwicklung von Karl Marx führte weg von Hegels Philosophie, weg von jeder Philosophie hin zur Wissenschaft.
1. Hegels
Dialektik Mit der Entwicklung des Kapitalismus und der neuzeitlichen
Technologie entwickelte sich als großer wissenschaftlicher Fort-schritt
allmählich wieder die seit Platon und Aristoteles verschüttete
Erkenntnis von der ständigen Veränderung in der Natur, es entstand die
moderne Evolutionstheorie. „... Wo wäre ohne
Industrie und Handel die Naturwissenschaft? Selbst diese ‚reine‘
Wissenschaft erhält ja ihren Zweck sowohl wie ihr Material erst
durch Handel und Industrie, durch sinnliche Tätigkeit der Menschen.“
K. Marx,
Deutsche Ideologie, MEW 3, 44. „Die Entwicklung dieser Wissenschaft, besonders der Naturwissen-schaft, und mit ihr aller anderen, steht selbst wieder im Verhältnis zur Entwicklung der materiellen Produktion.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 592. Die Dialektik von Hegel ist nichts anderes als die
Übertragung der wissenschaftlichen Evolutionstheorie in die
Philosophie. „Die Hegelsche
Philosophie“ ist keineswegs unabhängig „von der Erfindung der
automatischen Spinnmaschine“ und der „Anwendung der Eisenbahnen“.
K. Marx,
Deutsche Ideologie, MEW 3, 143. In der Hegel’schen
Philosophie wurde „zum
ersten Mal – und das ist sein großer Verdienst – die ganze natürliche,
geschichtliche und geistige Welt als ein Prozess, d. h. als ein in steter
Bewegung, Veränderung, Umbildung und Entwicklung begriffen dargestellt
...“. F.
Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 22. Dass Hegel „zum ersten Mal“ die Welt als Prozess dargestellt
habe, ist für sich genommen falsch. Aber Hegel war der erste, der
versuchte, das uralte philosophische Prozessdenken mit einem modernen
wissenschaftlichen Weltbild zu verbinden. Man kann und muss jedoch diesen Begriff „Prozess“ präzisieren: Auch Hegel fasste wie Platon die Welt als ARBEITSPROZESS auf. Aber anders als Platon, der die Natur als zur Ruhe gekommenen Arbeitsprozess ansah (= Produkt), sah Hegel die Natur und die Geschichte als ständigen Arbeitsprozess in actu – als Arbeitsprozess der göttlichen Idee –, der nie zur Ruhe kommt, dessen Produkte immer nur vorläufig sind und nur zum Material eines folgenden Arbeitsprozesses werden. „Das Große an der
Hegel’schen ‚Phänomenologie‘ ... ist also einmal, dass Hegel die
Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozess fasst, ... dass er also das
Wesen der Arbeit fasst und den gegenständlichen Menschen, wahren,
weil wirklichen Menschen als Resultat seiner eigenen Arbeit
begreift. ... Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen
Nationalökonomen. Er erfasst die Arbeit als das Wesen, als
das sich bewährende Wesen des Menschen; ... Die Arbeit, welche Hegel
allein kennt und anerkennt, ist die abstrakt geistige.“
K. Marx,
Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, 574. „Für Hegel ist der
Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges
Subjekt verwandelt, der Schöpfer des Wirklichen, das nur seine
äußere Erscheinung bildet.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 27. Der Denkprozess der göttlichen Idee ist also gleichzeitig
der Arbeitsprozess, in dem die Naturwelt geschaffen und weiterentwickelt
wird. Auch im Detail finden sich bei Hegel wie bei Platon immer wieder die Elemente des menschlichen Arbeitsprozesses: Plan (Idee) – Mittel (Material und Werkzeug) – Zweck (Produkt). „Das Arbeitsmittel ist
ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Arbeiter zwischen sich und
den Arbeitsgegenstand schiebt und die ihm als Leiter seiner Tätigkeit auf
diesen Gegenstand dienen. Er benutzt die mechanischen, physikalischen,
chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andere
Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 194. Dazu merkte Marx
folgenden Gedanken Hegels an: „Die Vernunft ist ebenso listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden Tätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß aufeinander einwirken und sich aneinander abarbeiten lässt, ohne sich unmittelbar in diesen Prozess einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt.“ G. W. F. Hegel, Enzyklopädie I, zit. n. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 194. „Wichtig ist, dass
Hegel überall die Idee zum tätigen Subjekt macht und das
eigentliche, wirkliche Subjekt (die Menschheit in der Geschichte)
... zum passiven Prädikat. Die Entwicklung geht aber immer auf
Seiten des Prädikats (= der tätigen Menschen) vor.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 209. Von
Hegel
„wird die Idee zum Subjekt gemacht, die ... Wirklichkeit als ihre
Entwicklung, ihr Resultat gefasst ...“. K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 210. Hegel hat die
historischen Menschen „zu einem Produkt,
einem Prädikat der Idee gemacht, das ihr Subjekt ist“. K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 213. „Die Idee wird
versubjektiviert ... Wenn aber die Idee versubjektiviert wird, werden hier
die wirklichen Subjekte ... zu unwirklichen, anderes bedeutenden ...
Momenten der Idee.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 206. „Nachher erscheint ...
bei Hegel das wirkliche Subjekt als Resultat, während vom
wirklichen Subjekt (den historischen Menschen) auszugehen und seine
Objektivation (dauernden Resultaten mensch-lichen Handelns) zu
betrachten ist.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 224. „Was Ausgangspunkt sein sollte, wird (bei Hegel) zum mystischen Resultat, und was vernunftgemäßes Resultat sein sollte, wird zum mys-tischen Ausgangspunkt.“ K. Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 242.
1.1. Dialektik ist
eine vorwissenschaftliche Denk- und
Ausdrucksweise Solange wir von einer bestimmten Entwicklung die präzisen
Gründe ihrer Veränderung nicht haben, solange ist es gerechtfertigt zu
sagen: Die Dinge verändern und entwickeln sich durch innere Gegensätze
oder innere Widersprüche. Diese vorwissenschaftliche, philosophische
Ausdrucksweise wurde vor allem von Hegel zu einer Kunstsprache
ausgebildet, indem er alle Veränderungen in der Natur, der Geschichte und
unserem Denken auf die Entwicklung von Widersprüchen oder Gegensätzen
reduzierte. „Alle Dinge sind an
sich selbst widersprechend.“ G. W. F. Hegel, Die
Wissenschaft der Logik II, Frankfurt 1986, 74. „Alles ist
entgegengesetzt.“ G. W. F. Hegel,
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Frankfurt 1986,
246. „Alles, was irgend
ist, das ist ein Konkretes, somit in sich selbst Unterschiedenes und
Entgegengesetztes. ... Was überhaupt die Welt bewegt, das ist der
Widerspruch ...“ G. W. F. Hegel,
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Frankfurt 1986,
246f. „Jede Entwicklung, welches ihr Inhalt sei, lässt sich darstellen als eine Reihe von verschiedenen Entwicklungsstufen, die so zusammenhängen, dass die eine die Verneinung (= einen Gegensatz) der anderen bildet.“ K. Marx, Moralisierende Kritik, MEW 4, 336. Der Volksmund sagt: Alle Dinge ändern sich. Nichts bleibt,
wie es ist. Oder: Jedes Ding hat zwei
Seiten. Was der Volksmund einfach und in bekannten Worten
auszudrücken weiß, das weiß der Philosoph kompliziert und in
ungewöhnlichen Worten auszudrücken. „Das Einfachste ist
(bei Hegel) das Verwickeltste und das Verwickeltste das
Einfachste.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 242. „Die Menschen haben
dialektisch gedacht, lange ehe sie wussten, was Dialektik war, ebenso wie
sie schon Prosa sprachen, lange bevor der Ausdruck Prosa bestand.“
F.
Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 133. „Es versteht sich von selbst, dass ich über den besonderen Entwick-lungsprozess, den z. B. das Gerstenkorn von der Keimung bis zum Absterben der fruchtragenden Pflanze durchmacht, gar nichts sage, wenn ich sage, es ist Negation der Negation ...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 131.
1.2. Berechtigt ist
Dialektik gegenüber der traditionellen Ansicht von der
Unveränderlichkeit der Welt „Der Satz der Identität ... ist der Fundamentalsatz der alten Anschauung: a = a. Jedes Ding ist sich selbst gleich. Alles war permanent, Sonnensystem, Sterne, Organismen. Dieser Satz ist von der Naturforschung in jedem einzelnen Fall Stück für Stück widerlegt ..., wird jedoch von den Anhängern des Alten immer noch dem Neuen entgegengehalten: Ein Ding kann nicht gleichzeitig es selbst und ein anderes sein.“ F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, 484.
1.3. Verhältnis der
dialektischen zur klassischen Logik Die Vertreter der klassischen Logik haben mit allen ihren
Lehrsätzen Recht, insofern sie für die beobachtete Wirklichkeit die Zeit t
= 0 setzen. Unter dieser Voraussetzung stehen alle Aussagen der
klassischen Logik und unter dieser Voraussetzung sind sie auch
korrekt. Bewährt hat sich dieses Denken vor allem in der Technologie
des Arbeitsprozesses und für alle kurzen Zeiträume, in denen keine
grundlegenden Veränderungen auftreten. Für längere Zeiträume und für Entwicklungen mit
grundlegenden Änderungen werden alle Aussagen der klassischen Logik
falsch. Hier hilft nur dialektisches
Denken. „Wie die Mathematik der veränderlichen sich zu der der unveränder-lichen Größen verhält, so verhält sich überhaupt dialektisches Denken zu metaphysischem.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 113.
1.4. Wie viel
Wissenschaft steckt in Hegels Logik? Da die Hegel’sche
Philosophie auf den Entdeckungen moderner Wissenschaft, wie z. B. der
Evolutionstheorie, beruht, enthält Hegels dialektische Logik auch
wissenschaftlich nützliche Erkenntnisse: „Hier, wie in der
Naturwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner
‚Logik‘ entdeckten Gesetzes, dass bloß quantitative Veränderungen auf
einem gewissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen. ... Die in
der modernen Chemie angewandte ... Molekulartheorie beruht auf keinem
anderen Gesetze. ... Wir bemerken zur Erklärung dieser für den
Nichtchemiker ziemlich dunklen Anmerkung, dass der Verfasser hier von dem
von C. Gebhardt 1843 zuerst so benannten ‚homologen Reihen‘ von
Kohlenwasserstoff-verbindungen spricht, von denen jede eine eigene
algebraische Zusammensetzungsformel hat.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 327 und Anm. 205a. Indem jedoch Hegel
alle bisherigen philosophischen Begrifflichkeiten (Kategorien) einfach
übernahm, indem er sie miteinander verband, schuf er daraus seine
dialektische Logik, einen „Wunderapparat“ (K. Marx, Hl. Familie,
MEW 2, 145), mit dem sich scheinbar
alle Fragen beantworten ließen. „Die spekulative Philosophie, namentlich die Hegel’sche Philosophie, musste alle Fragen aus der Form des gesunden Menschenverstandes in die Form der spekulativen Vernunft übersetzen und die wirkliche Frage in eine spekulative Frage verwandeln, um sie beantworten zu können. Nachdem die Spekulation mir meine Frage im Munde verdreht und mir, wie der Katechismus, ihre Frage in den Mund gelegt hatte, konnte sie natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner Fragen ihre Antwort bereithalten.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 95
Die Hegel’sche dialektische Logik ist so viel wert wie die
Fingerübungen für einen Klavierspieler oder das Training in einem Studio
für einen Sportler. Hegel selber bestritt, dass man durch Studium der
Logik richtig denken lerne: „Dass man durch sie
denken lerne, was sonst für ihren Nutzen und damit für den Zweck
derselben galt – gleichsam als ob man durch das Studium der Anatomie und
Physiologie erst verdauen und sich bewegen lernen soll – dies Vorurteil
hat sich längst verloren ...“ G. W. F. Hegel,
Wissenschaft der Logik I, Frankfurt 1986, 14. Während Marx an seinem
„Kapital“ arbeitete, schrieb er an Engels: „Übrigens finde ich
hübsche Entwicklungen. Z. B. die ganze Lehre vom Profit, wie sie bisher
war, habe ich über den Haufen geworfen. In der Methode
des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, dass ich durch
bloßen Zufall – Freiligrath fand einige, ursprünglich dem Bakunin
gehörige Bände Hegels und schickte sie mir als Präsent – Hegels ‚Logik‘
wieder durchgeblättert hatte.“ K. Marx, Brief an
Engels (1858), MEW 29, 260. „Die Mystifikation,
welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner
Weise, dass er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und
bewusster Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muss
sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu
entdecken. In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Gräuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 27f.
Wie viel rationellen Kern enthält also die Hegel’sche
Dialektik? Marx schrieb an
Engels: „Wenn je wieder Zeit
für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbögen
das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich
mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen.“
K. Marx,
Brief an Engels (1858), MEW 29, 260. Rechnet man den Druckbogen mit 16 Buchseiten, dann passt das
Rationelle an Hegels Dialektik nach Marx’ Meinung auf knapp 50 Buchseiten.
Hegels Dialektik umfasst aber rund 1.000 Buchseiten. 50 Buchseiten machen
im Vergleich zu 1.000 Seiten gleich 5 % Rationelles zu 95 %
Mystifikation. Wer die wichtigsten Hegel’schen Begrifflichkeiten kennen lernen will, findet – auf 22 Buchseiten – eine brauchbare Darstellung von F. Engels in: Anti-Dühring, MEW 20, 111–133.
2. Was unterscheidet
Marx von Hegel? Diese Frage ist dieselbe wie die Frage: Was unterscheidet
die Philosophie von Wissenschaft? Der Unterschied zwischen der philosophischen Methode und
jeder wissenschaftlichen Methode ist leicht zu begreifen: Philosophie
heißt, in allen Dingen ewige Wahrheiten und ewige Kategorien wie
„Gattung“, „Gegensatz“ und „Widerspruch“ zu
suchen. Wissenschaft heißt, die eigentümliche Logik des
eigentümlichen Gegenstands zu fassen.
2.1. Die Methode von
Marx 2.1.1. Wissenschaft geht
von nachprüfbaren Tatsachen aus, bleibt aber nicht
dabei stehen Wissenschaft führt
zu einer Wesenserkenntnis, die die Tatsachen scheinbar hinter sich lässt
und dadurch die Tatsachen verstehbar macht. „Wissenschaftliche
Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des
Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper
nur dem verständlich ist, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht
wahrnehmbare Bewegung kennt.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 335. „... Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen ...“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 825.
2.1.2. Die Methode von
Marx unterscheidet sich nicht von den modernen
wissenschaftlichen Forschungsmethoden Marx ging – wie fast alle modernen Wissenschaftler – von den
sich verändernden Tatsachen aus, von dem historischen Gegenstand, nicht
von einem feststehenden – wenn auch sehr flexiblem –
Begriffs-apparat. „Hegel
entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den
Gegenstand nach einem mit sich fertigen und in der abstrakten Sphäre der
Logik mit sich fertig gewordenen Denken.“ K. Marx, MEW I,
213. „Dies Begreifen
besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen
Begriffs überall wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des
eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 296. „Es kommt überall
nicht mehr darauf an, Zusammenhänge im Kopf auszudenken, sondern sie in
den Tatsachen zu entdecken.“ F. Engels, Ludwig
Feuerbach, MEW 21, 306. „Alle Definitionen
sind wissenschaftlich von geringem Wert.“ F. Engels,
Anti-Dühring, MEW 20, 77. „Definitionen sind für
die Wissenschaft wertlos, weil stets unzulänglich. Die einzig reelle
Definition ist die Entwicklung der Sache selbst, und diese ist aber keine
Definition mehr.“ F. Engels,
Anti-Dühring, MEW 20, 578. Es gibt
das
„Missverständnis, dass Marx da definieren will, wo er entwickelt, und dass
man überhaupt bei Marx nach fix und fertigen, ein für allemal gültigen
Definitionen suchen dürfe. Es versteht sich ja
von selbst, dass da, wo die Dinge und ihre gegenseitigen Beziehungen nicht
als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst werden, auch ihre
Gedankenabbilder nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst
werden, auch ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, ebenfalls der
Veränderung und Umbildung unterworfen sind; dass man sie nicht in starre
Definitionen einkapselt, sondern in ihrem historischen bzw. logischen
Bildungsprozess entwickelt.“ F. Engels, Vorwort zu
Kapital III, MEW 25, 20. „,Für Marx ist nur
eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung
er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie
beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang
stehen, wie er in einer gegebenen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist
noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung,
d. h. der Übergang aus einer Form in die andere, aus einer Ordnung
des Zusammenhangs in eine andere. ... Die Kritik
(kann), ... weniger als irgendetwas anderes, irgendeine Form oder
irgendein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben ... Das heißt,
nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als
Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die
Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee,
sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide
Tatsachen möglichst genau untersucht werden ...‘ (Der russ. Rezensent
I. I. Kaufmann über das ‚Kapital‘.) Indem I. I.
Kaufmann das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und,
soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so
wohlwollend schildert, was anderes hat er geschildert als die dialektische
Methode?“ K. Marx, Nachwort zur
2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 25ff. „Die Forschung hat den
Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu
analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit
vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden.“
K. Marx, Nachwort
zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 27. „Bei der Analyse
ökonomischer Formen kann außerdem weder das Mikroskop dienen noch
chemische Reagenzien. Die Abstraktionskraft muss beide ersetzen.“
K. Marx,
Kapital I, MEW 23, 12. „Übrigens löst sich in
dieser Auffassung der Dinge, wie sie wirklich sind und geschehen sind ...
jedes tiefsinnige philosophische Problem ganz einfach in ein empirisches
Faktum auf.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 43. „Nur dadurch, dass man an die Stelle der sich widersprechenden Dogmen die sich widersprechenden Tatsachen und die realen Gegensätze stellt, die ihren verborgenen Hintergrund bilden, kann man die politische Ökonomie in eine positive Wissenschaft verwandeln.“ K. Marx, Brief an Engels (1868), MEW 32, 181.
2.3. Die Verwendung
einer fremdartigen philosophischen Terminologie ist nicht hilfreich,
sondern störend „Da die unpersönliche
Vernunft der Hegel’schen Philosophie außer sich weder einen Boden
hat, auf den sie sich stellen kann, noch ein Objekt, dem sie sich
entgegenstellen kann, noch ein Subjekt, mit dem sie sich verbinden kann,
sieht sie sich gezwungen, einen Purzelbaum zu schlagen und sich selbst zu
ponieren (zu setzen), zu opponieren (entgegenzusetzen) und
zu komponieren – Position (Satz), Opposition (Gegensatz),
Komposition. Um griechisch zu
sprechen, haben wir These, Antithese und Synthese. Für die, welche die
Hegel’sche Sprache nicht kennen, lassen wir die Weihungsformel folgen:
Affirmation, Negation, Negation der Negation. Das nennt man reden. Es ist
zwar kein Hebräisch ....; aber es ist die Sprache dieser reinen, vom
Individuum getrennten Vernunft. An Stelle des gewöhnlichen Individuums mit
seiner gewöhnlichen Art zu reden und zu denken, haben wir lediglich diese
gewöhnliche Art an sich, ohne das Individuum. ... ... Einmal dahin
gelangt, sich als These zu setzen, spaltet sich diese These, indem sie
sich selbst entgegenstellt, in zwei widersprechende Gedanken, in Positiv
und Negativ, in Ja und Nein. Der Kampf dieser
beiden gegensätzlichen ... Elemente bildet die dialektische Bewegung. Das
Ja wird Nein, das Nein wird Ja, das Ja wird gleichzeitig Ja und Nein, das
Nein wird gleichzeitig Nein und Ja; auf diese Weise halten sich die
Gegensätze die Waage, neutralisieren sich, heben sie sich
auf. Die Verschmelzung
dieser beiden widersprechenden Gedanken bildet einen neuen Gedanken, die
Synthese derselben. Dieser neue Gedanke spaltet sich wiederum in zwei
widersprechende Gedanken, die ihrerseits wiederum eine neue Synthese
bilden. Aus dieser Zeugungsarbeit erwächst eine Gruppe von Gedanken.
... Man wende diese
Methode auf die Kategorien der politischen Ökonomie an, und man hat ...
die aller Welt bekannten ökonomischen Kategorien in eine wenig bekannte
Sprache übersetzt, in der sie aussehen, als seien sie soeben funkelneu
einem reinen Vernunftskopf entsprungen...“ K. Marx, Elend der
Philosophie, MEW 4, 127ff. „Die
spekulative Philosophie, namentlich die Hegelsche
Philosophie, musste alle Fragen aus der Form des gesunden
Menschenverstandes in die Form der spekulativen Vernunft übersetzen und
die wirkliche Frage in eine spekulative Frage verwandeln, um sie
beantworten zu können. Nachdem die Spekulation mir meine Frage im
Munde verdreht und mir, wie der Katechismus, ihre Frage in den Mund
gelegt hatte, konnte sie natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner
Fragen ihre Antwort bereit halten.“ K. Marx, Hl. Familie,
MEW 2, 95. Dass Marx die Sprache
Hegels als schwer verständliche „Lyrik“ ansah, geht auch aus seiner
Paraphrasierung von Hegelzitaten hervor: „Übersetzen wir
diesen Satz in Prosa, so folgt: ...“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 205. und:
„Übersetzen wir nun diesen ganzen Paragrafen zu deutsch.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 215. Hegel, „der mit der Zeit zur allgemeinen Eselsbrücke, zum Konversa-tionslexikon aller neuen deutschen Prinzipspekulanten und System-fabrikanten geworden ist“. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 155.
2.4. Als „gelernter
Philosoph“ war auch Marx versiert in dieser
ungewöhnlichen, hegelianischen Sprache 2.4.1. Über eine Behauptung
in einem seiner Zeitungsartikel schrieb Marx in einem Brief an
Engels: „Es ist möglich, dass
ich mich blamiere. Indes ist dann immer mit einiger Dialektik wieder zu
helfen. Ich habe natürlich meine Aufstellungen so gehalten, dass ich im
umgekehrten Fall auch recht habe.“ K. Marx, Brief an
Engels (1857), MEW 29, 161. Bei Karl Marx finden
sich geheimnisvoll-hegelianische Sätze: „Das einfache Faktum, dass die Ware doppelt existiert, einmal als bestimmtes Produkt, das seinen Tauschwert in seiner natürlichen Daseinsform ideell enthält (latent enthält), und dann als manifestierter Tauschwert (Geld), der wieder allen Zusammenhang mit der natürlichen Daseinsform des Produkts abgestreift hat, diese doppelt verschiedene Existenz muss zum Unterschied, der Unterschied zum Gegensatz und Widerspruch fortgehen.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 65. 2.4.2. Bei Marx finden sich
Sätze wie aus einem Philosophielehrbuch: „Es ist z. B. ein
Widerspruch, dass ein Körper beständig in einen anderen
fällt und ebenso beständig von ihm wegflieht. Die Ellipse ist
eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich ebenso sehr
verwirklich als löst.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 118f. „Wenn ein Verhältnis
Gegensätze einschließt, so ist es also nicht nur Gegensatz, sondern
Einheit von Gegensätzen.“ K. Marx, Theorien über
den Mehrwert III, MEW 26.3, 96. Aber solche philosophischen Sätze stehen am Rande und nicht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Analysen von Marx.
3. Wissenschaft statt
Philosophie „Das Hegel’sche System war die letzte, vollendete Form der Philosophie, insofern diese als besondere, allen anderen Wissen-schaften überlegene besondere Wissenschaft vorgestellt wird. Mit ihm scheiterte die ganze Philosophie.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 23 Anm. „Wie kam es, dass die
Menschen sich diese Illusionen ‚in den Kopf setzten‘? Diese Frage bahnte
... für die deutschen Theoretiker (wie Marx u. a.) den Weg zur
materialistischen, nicht voraussetzungslosen, sondern die
wirklichen materiellen Voraussetzungen als solche empirisch beobachtenden
und darum erst wirklich kritischen Anschauung der Welt. Dieser Gang
war schon angedeutet in den ‚Deutsch-Französischen Jahrbüchern‘ in der
‚Einleitung der Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie‘ und ‚Zur
Judenfrage‘. Da dies damals noch in
philosophischer Phraseologie geschah, so gaben die hier traditionell
unterlaufenden philosophischen Ausdrücke wie ‚menschliches Wesen‘,
‚Gattung‘ usw. den deutschen Theoretikern die erwünschte Veranlassung, die
wirkliche Entwicklung zu missverstehen und zu glauben, es handle sich hier
wieder nur um eine neue Wendung ihrer abgetragenen theoretischen Röcke
... Man muss ‚die
Philosophie beiseite liegen lassen‘ ... man muss aus ihr herausspringen
und sich als ein gewöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit
geben, wozu auch ... ein ungeheures, den Philosophen natürlich unbekanntes
Material vorliegt. ... Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Sex.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 217f. „Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht, ... beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit (= Wahrheit) oder Nichtwirklichkeit (= Unwahrheit) des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 5. „Die Empirie der
Beobachtung allein kann nie die Notwendigkeit genügend beweisen. ... Dies
ist so sehr richtig, dass aus dem steten Aufgehen der Sonne des Morgens
nicht folgt, sie werde morgen wieder aufgehen, und in der Tat wissen wir
jetzt, dass ein Moment kommen wird, wo die Sonne eines Morgens nicht
aufgeht. Aber der Beweis der
Notwendigkeit liegt in der menschlichen Tätigkeit, im Experiment, in der
Arbeit ...“ F. Engels,
Naturdialektik, MEW 20, 497. „Da, wo die
Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche,
positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des
praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom
Bewusstsein hören auf, wirkliches Wissen muss an ihre Stelle
treten. Die selbständige
Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr
Existenzmedium.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 27. Wenn wir die Welt verstehen wollen, „so brauchen wir dazu keine Philosophie, sondern wirkliche Kenntnisse von der Welt und was in ihr vorgeht; ...“. F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 34. „Sobald an jede
einzelne Wissenschaft die Forderung herantritt, über ihre Stellung im
Gesamtzusammenhang der Dinge und der Kenntnis von den Dingen sich klar zu
werden, ist jede besondere Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang
überflüssig. Was von der ganzen bisherigen Philosophie dann noch
selbständig bestehen bleibt, ist die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen
– die formelle Logik und die Dialektik. Alles andere geht auf in die
positive Wissenschaft von Natur und Geschichte.“ F. Engels,
Anti-Dühring, MEW 20, 24. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 7.
Anmerkung: „Das Wort ...
‚wissenschaftlicher Sozialismus‘ ist gebraucht worden nur im
Gegensatz zum utopischen Sozialismus, der neue Hirngespinste dem Volk
aufheften will, statt seine Wissenschaft auf die Erkenntnis der vom
Volk selbst gemachten sozialen Bewegung zu beschränken; ...“ K. Marx, Konspekt zu
Bakunin, MEW 18, 635f. Der Begriff „dialektischer Materialismus“ wurde von Karl
Marx oder Friedrich Engels nie verwendet. Er ist – vgl. das
„Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus“, Band 2, 696 – eine
Erfindung des deutschen Sozialdemokraten Josef Dietzgen von
1887. Über diesen Dietzgen schrieb Marx an Engels: „Aus dem einliegenden Brief von Dietzgen wirst du sehen, dass der Unglückliche rückwärts ‚vorangegangen‘ und richtig bei der ‚Phänomenologie‘ (von Hegel) ‚angekommen‘ ist. Ich halte den Fall für unheilbar.“ K. Marx, 5.1.1882, MEW 35, 31.
Siehe auch die Artikel:
|
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |