Gott 1. Religion
ist die Verhimmelung der Menschenwelt In der Religion
machen die Menschen ihre empirische Welt zu einem nur gedachten,
vorgestellten Wesen, das ihnen fremd gegenübertritt. K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 143. 1.1. In den
Anfängen wurden die Naturmächte
vergöttlicht (Naturreligion,
Pantheismus) Nun ist alle Religion
nichts anderes als die phantastische Widerspiegelung, in den Köpfen der
Menschen, derjenigen äußeren Mächte, die ihr alltägliches Dasein
beherrschen, eine Wiederspiegelung, in der die irdischen Mächte die Form
von überirdischen annehmen. In den Anfängen der
Geschichte sind es zunächst die Mächte der Natur, die diese Rückspiegelung
erfahren und in der weiteren Entwicklung bei den verschiedenen Völkern die
mannigfachsten und buntesten Personifikationen durchmachen. F. Engels,
Anti-Dühring, MEW 20, 294. 1.2. Mit
zunehmender Macht der Stämme und ihrer patriarchalen Repräsentanten treten
neben die Naturgötter Götter in
Menschengestalt (Polytheismus) Bald treten neben den
Naturmächten auch gesellschaftliche Mächte in Wirksamkeit
... Die
Phantasiegestalten, in denen sich anfangs nur die geheimnisvollen Kräfte
der Natur widerspiegelten, erhalten damit gesellschaftliche Attribute,
werden Repräsentanten gesellschaftlicher Mächte. F.
Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 294. In dieser Gestalt
teils als patriarchale Großfamilie, teils als Dorfgemeinschaft mit
gemeinsamen Mahlzeiten, d. h. mit Gemeineigentum treten uns die
griechischen Götter bei Homer entgegen. 1.3. Mit dem
Übergang zur Warenproduktion wurde die Intelligenz und die Schöpferkraft
aller Menschen konzentriert und personifiziert in einem Handwerkergott
(Monotheismus) Auf einer noch weiteren
Entwicklungsstufe werden sämtliche natürlichen und gesellschaftlichen
Attribute der vielen Götter auf Einen allmächtigen Gott übertragen, der
selbst wieder nur der Reflex des abstrakten Menschen ist. F.
Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 294. 1.3.1. Platon
wurde zum philosophischen Vater des
Christentums Wie zum Beispiel ...
gibt es doch viele Bettgestelle und Tische? ... Aber Begriffe gibt es doch
nur zwei für diese Geräte, einen des Bettes und einen des Tisches. Ja.
Und pflegen wir nicht
zu sagen, dass die Verfertiger jedes dieser Geräte, auf den Be-griff
sehend, so der eine die Bettgestelle macht, der andere die Tische, deren
wir uns bedienen, und ebenso alles andere? Denn den Begriff
selbst verfertigt doch keiner von diesen Meistern; wie sollte er auch?
Auf keine Weise. Aber sieh einmal zu,
nennst du auch diesen einen Meister? Welchen doch? Der alles macht,
was jeder einzelne von diesen Handwerkern verfertigt. Das ist ja ein
außerordentlicher und wundervoller Mann! ... Denn dieser selbe
Handwerker ist imstande, nicht nur alle Geräte zu machen, sondern auch
alles insgesamt, was aus der Erde wächst, macht er, und alle Tiere
verfertigt er, die anderen wie auch sich selbst, und außerdem noch den
Himmel und die Erde und die Götter, und alles im Himmel und unter der Erde
im Hades insgesamt verfertigt er. Platon,
Politeia 596 b-d. Also diese
Betten machen zusammen drei Bettgestelle: Erstens das
(begrifflich Allgemeine, den Allgemeinbegriff Bett) von Natur
seiende, von dem wir, denke ich, sagen würden, Gott habe es gemacht. Wer
denn sonst? Eines aber habe der
Tischler gemacht (das konkret-einzelne Bett)
... Und eines macht der
Maler (das bildlich dargestellte Bett, das Bild eines Bettes).
... Der Maler also, der
Tischler und Gott, diese drei sind also Schöpfer dreierlei
Betten. ... (So haben wir drei
Schöpfer: einen göttlichen, der die Idee schafft (Begriff Bett), einen
irdischen, der die göttliche Idee als Sache nachbildet (hölzernes Bett)
und einen zweiten irdischen Schöpfer, der die göttliche Idee bzw. die
Sache im Bild darstellt.) Gott aber, ob er nun
nicht wollte oder ob eine Notwendigkeit für ihn da war, nicht mehr als ein
einziges Bettgestell (als Allgemeinbegriff) zu machen, so machte er
auch nur eines allein, jenes selbst, das das Bettgestell (seinem
Begriff nach) ist. Zwei solche aber oder mehrere sind von Gott nicht
erzeugt worden und werden es auch nicht werden. Platon, Politeia 597
b. Sollen wir diesen
Gott also den Wesensbildner hiervon nennen oder ungefähr so? ... Und den
Tischler nicht den Werkbildner des Bettgestells? ... Und den Maler ...
nennen wir Nachbildner dessen, was die Werkbildner verfertigen. So sei
es! Platon,
Politeia 597 d. 1.3.2. Der
allmächtige Planer und Handwerker wird auch zum
Herrscher Das griechische kyrios wie auch das lateinische domi-nus
(Herr) bezeichnete den Herrn von Sklaven. Der Planer- und Schöpfer-Gott
war der Gott der herrschenden Klasse, der Herrgott ist der Gott fürs
einfache Volk. Wie denn auch dieses
... mir ganz richtig gesprochen scheint, dass die Götter unsere Hüter und
wir Menschen eine von den Herden der Götter sind. Platon, Phaidon 62
b. Neben diesem
Allherrscher wird dem einfachen Volk auch der Wunder- und Heiligenglaube
als Rest des alten Polytheismus erlaubt: Es versteht sich,
dass der ganze himmlische Hofstaat von Ältesten, Cherubim, Engeln und
Heiligen nicht fehlt. Der Monotheismus, um eine Religion zu werden, hat
von jeher dem Polytheismus Konzessionen machen müssen ... F. Engels,
Urchristentum, MEW 22, 471. 2. Atheismus
war teils traditionelles Festhalten an der Naturreligion teils Spott über
die menschenähnlichen Götter Xenophanes (geboren
ca. 570 v. Chr.): Wenn die Rinder,
Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen Händen malen könnten und
Bildwerke schaffen wie wir Menschen, so würden die Pferde Götter abbilden
und malen in der Gestalt von Pferden und die Rinder mit dem Aussehen von
Rindern. Sie würden gerade solche Götterstatuen meißeln, die ihrer eigenen
Körpergestalt entsprechen. DK 21 B
15. Platon über den
Atheismus seiner Zeit: Falls dergleichen
(gottlose) Reden nicht fast unter allen Menschen verbreitet wären,
bedürfte die Behauptung, dass Götter sind, keiner Verteidigungsgründe; nun
aber sind diese notwendig. Platon, Nomoi 891
b. Jetzt dagegen, wo,
unserer Behauptung nach, ein Teil der Menschen durchaus nicht an Götter
glaubt, andere meinen, diese bekümmern sich nicht um uns, die Meinung der
meisten und Schlechtesten aber darin besteht, dass die Götter, gegen den
Empfang geringfügiger Opfer und Huldigungen, sie beim Raube großer Güter
unterstützen und von großen Strafen ... befreien ... Platon,
Nomoi 948 c. 3. Atheismus
ist die Kritik des Himmels. Nötig ist aber die Kritik der
Erde. Kritik der
Religion heißt nicht Atheismus, sondern
Wissenschaft Der Atheismus ist
kritische Religion, ... letzte Stufe des
Theismus, ... negative Anerkennung Gottes. K. Marx, Hl.
Familie, MEW 2, 116. ... Der Atheismus,
als bloße Negation der Religion und stets sich auf
Religion beziehend, (ist) ohne sie selbst nichts, und (ist) daher selbst
noch eine Religion ... F. Engels an Bernstein
(1884), MEW 36, 186. Für Deutschland ist
die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die
Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. ... Die Kritik des
Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde ... K. Marx, Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 378f. Die Kritik der
Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den
Menschen sei ... K. Marx, Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 385. In dem Aufsatz Zur Judenfrage zeigte Marx, dass, wie der Staat sich von der Religion emanzipiert, indem er sich von der Staatsreligion emanzipiert, innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft aber die Religion sich selbst überlässt, so der einzelne Mensch sich politisch von der Religion emanzipiert, indem er sich zu ihr nicht mehr als zu einer öffentlichen Angelegenheit, sondern als zu seiner Privatange-legenheit verhält. K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 118. Atheist zu sein, ist
heutzutage glücklicherweise keine Kunst mehr. Der Atheismus ist so
ziemlich selbstverständlich bei den europäischen Arbeiterparteien, obwohl
er in gewissen Ländern oft genug beschaffen sein mag wie der jenes
spanischen Anarchisten, der sich dahin erklärte: an Gott zu
glauben, das sei gegen allen Sozialismus, aber an die Jungfrau Maria, das
sei ganz was anderes, an die müsse ein ordentlicher Sozialist natürlich
glauben. Von den deutschen
sozialdemokratischen Arbeitern kann man sogar sagen, dass der Atheismus
bei ihnen sich schon überlebt hat; dies rein negative Wort hat auf sie
keine Anwendung mehr, indem sie nicht mehr in einem theoretischen, sondern
nur noch in einem praktischen Gegensatz zum Gottesglauben stehen: Sie sind
mit Gott einfach fertig, sie leben und denken in der
wirklichen Welt und sind daher Materialisten. ... Aber das kann unseren
Anarchisten nicht passen. Um zu beweisen, dass sie die
Allerradikalsten sind, wird Gott, wie 1793, durch Dekret abgeschafft: ...
,In der Kommune ist kein Platz für den Pfaffen; jede religiöse Kundgebung,
jede religiöse Organisation muss verboten werden. Und diese Forderung,
die Leute per Befehl von oben in Atheisten zu verwandeln, ist
unterzeichnet von zwei Mitgliedern der Kommune, die doch wahrlich
Gelegenheit genug hatten, zu erfahren, dass erstens man ungeheuer viel auf
dem Papier befehlen kann, ohne dass es darum ausgeführt zu werden braucht,
und zweitens, dass Verfolgungen das beste Mittel sind, missliebige
Überzeugungen zu befördern! Soviel ist sicher: Der einzige Dienst, den man Gott heutzutage noch tun kann, ist der, den Atheismus zum zwangsmäßigen Glaubensartikel zu erklären ... F. Engels, Flüchtlingsliteratur, MEW 18, 531f. Erst die wirkliche Erkenntnis der Naturkräfte vertreibt die Götter oder den Gott aus einer Position nach der anderen ... Dieser Prozess ist jetzt so weit, dass er theoretisch als abgeschlossen angesehen werden kann. F. Engels, Materialien zum Anti-Dühring, MEW 20, 582f. Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten der Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 393, Anm. 89. Der religiöse
Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald
die Verhältnisse des praktischen Werktagslebens den Menschen tagtäglich
durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur
darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiel-len Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewusster planmäßiger Kontrolle steht. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 94. Die tatsächliche
Grundlage der religiösen Wiederspiegelung dauert also fort und mit
ihr der religiöse Reflex selbst. F. Engels,
Anti-Dühring, MEW 20, 295. Siehe auch die Artikel:
|
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |