Fiktives Kapital
1. Auch ohne Kapital kann jede regelmäßige
Geldeinnahme als „Verzinsung“ eines (fiktiven) Kapitals angesehen
werden „...
Jede bestimmte und regelmäßige Geldeinnahme (erscheint) als Zins
eines Kapitals ..., sie mag aus einem Kapital entspringen oder
nicht. Erst
wird das Geldeinkommen in Zins verwandelt, und mit dem Zins findet sich
dann auch das Kapital, woraus es entspringt.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 482. „Die
Bildung des fiktiven Kapitals nennt man kapitalisieren. Man kapitalisiert
jede regelmäßig sich wiederholende Einnahme, indem man sie nach dem
Durchschnittszinsfuß berechnet, als Ertrag, den ein Kapital zu diesem
Zinsfuß ausgeliehen, abwerfen würde; ...“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 484. „Die
Sache ist einfach: Gesetzt,
der Durchschnittszinsfuß sei 5 % jährlich. Eine Summe von 500.000 Euro würde also jährlich, wenn in
zinstragendes Kapital verwandelt, 25.000 Euro
einbringen. Jede
feste jährliche Einnahme von 25.000 Euro wird daher als Zins eines
Kapitals von 500.000 Euro
betrachtet. Dies ist
und bleibt jedoch eine rein illusorische Vorstellung, außer in dem Fall,
dass die Quelle der 25.000 Euro ... direkt übertragbar ist
oder eine Form erhält, worin sie übertragbar wird. Nehmen
wir als Beispiele Staatsschuld und Arbeitslohn.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 482. 2.
Beispiele 2.1.
Staatsanleihen als fiktives Kapital „Der
Staat hat seinen Gläubigern jährlich ein gewisse Summe Zins für das
geborgte Kapital zu zahlen. Der Gläubiger kann hier nicht seinem
Schuldner aufkündigen, sondern nur die Forderung, seinen Besitztitel
darüber, verkaufen. Das Kapital selbst ist aufgegessen, verausgabt vom
Staat. Es existiert nicht mehr. Was der
Staatsgläubiger besitzt, ist 1. ein
Schuldschein auf den Staat, sage von 100.000 Euro; 2. gibt
dieser Schuldschein ihm den Anspruch auf die jährlichen Staatseinnahmen
... für einen gewissen Betrag, sage
5.000 Euro oder 5 %; 3. kann
er diesen Schuldschein von 100.000 Euro beliebig an andere Personen
verkaufen. Ist der Zinsfuß 5 %, und dazu die Sicherheit des Staats
vorausgesetzt, so kann der Besitzer A den Schuldschein in der Regel zu 100.000 Euro an B verkaufen; denn für
B ist es dasselbe, ob er 100.000 Euro zu 5 % jährlich ausleiht,
oder ob er durch Zahlung von 100.000 Euro sich einen jährlichen Tribut
vom Staat zum Betrage von 5.000
Euro sichert. Aber in
allen diesen Fällen bleibt das Kapital, als dessen Abkömmling (Zins) die
Staatszahlung betrachtet wird, illusorisch, fiktives
Kapital. Nicht
nur, dass die Summe, die dem Staat geliehen wurde, überhaupt nicht mehr
existiert. Sie war überhaupt nie bestimmt, als Kapital verausgabt,
angelegt zu werden, und nur durch ihre Anlage als Kapital hätte sie in
einen sich erhaltenden Wert verwandelt werden können. ...
... das
Kapital der Staatsschuld bleibt ein rein fiktives, und von dem Moment an,
wo die Schuldscheine unverkaufbar würden, fiele der Schein dieses Kapitals
weg.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 482f. 2.2.
Arbeitslohn als fiktives Kapital „Im
Gegensatz nun zum Kapital der Staatsschuld, wo ein Minus als Kapital
erscheint ... wollen wir nun die Arbeitskraft
betrachten. Der
Arbeitslohn wird hier als Zins aufgefasst und daher die Arbeitskraft als
Kapital, das diesen Zins abwirft. Ist z.
B. der Arbeitslohn eines Jahrs =
50.000 Euro und steht der Zinsfuß auf 5 %, so gilt die jährliche
Arbeitskraft als gleich einem Kapital von 1.000.000
Euro. Die
Verrücktheit der kapitalistischen Vorstellungsweise erreicht hier ihre
Spitze, indem statt die Verwertung des Kapitals aus der Ausbeutung der Arbeitskraft zu
erklären, umgekehrt die Produktivität der Arbeitskraft daraus erklärt
wird, dass die Arbeitskraft
selbst ... zinstragendes Kapital ist. ... Es
treten hier leider zwei, diese gedankenlose Vorstellung unangenehm
durchkreuzende Umstände ein, erstens, dass der Arbeiter arbeiten
muss, um diesen Zins zu erhalten, und zweitens, dass er den Kapitalwert
seiner Arbeitskraft nicht durch Übertragung versilbern kann.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 483f. „Aller
Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozess des Kapitals geht hier
bis auf die letzte Spur verloren, und die Vorstellung vom Kapital als
einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten befestigt sich.“
K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 484. 2.3.
Aktien als fiktives Kapital „Auch
da, wo der Schuldschein – das
Wertpapier – nicht wie bei den Staatsschulden rein illusorisches
Kapital vorstellt, ist der Kapitalwert dieses Papiers rein
illusorisch. ... Die
Aktien von Eisenbahn-, Bergwerks-, Schifffahrts- etc. Gesellschaften
stellen wirkliches Kapital vor, nämlich das in diesen Unternehmungen
angelegte und fungierende Kapital ... Wobei keines-wegs ausgeschlossen
ist, dass sie auch bloßen Schwindel vorstellen. ... und die Aktie ist
nichts als ein Eigentumstitel ... auf den durch jenes zu realisierenden
Mehrwert. A mag
diesen Titel an B, und B ihn an C verkaufen. Diese Transaktionen ändern
nichts an der Natur der Sache. ... Die
selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, nicht nur der
Staatseffekten, sondern auch der Aktien, bestätigt den Schein, als
bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch,
worauf sie möglicherweise Titel sind.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 484f. „Sie
werden nämlich zu Waren, deren Preis eine eigentümliche Bewegung und
Festsetzung hat. Ihr Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert
verschiedene Bestimmung, ohne dass sich der Wert ... des wirklichen
Kapitals änderte. Einerseits
schwankt ihr Marktwert mit der Höhe und Sicherheit der Erträge,
worauf sie Rechtstitel geben. Ist der Nominalwert einer Aktie, d. h.
die eingeschossene Summe, die die Aktie ursprünglich repräsentiert,
100.000 Euro und wirft das Unternehmen
statt 5 % 10 % ab (und
damit eine jährliche Dividende von 10.000 statt 5.000 Euro), so steigt
ihr Marktwert bei sonst gleich bleibenden Umständen und einem Zinsfuß von
5 % auf 200.000 Euro, denn
zu 5 % kapitalisiert, stellt sie jetzt ein fiktives Kapital von 200.000 Euro
vor. Wer sie
zu 200.000 Euro kauft, erhält 5
% Revenue (regelmäßige Einnahme) (bzw. 10.000 Euro) von dieser
Kapitalanlage. Umgekehrt,
wenn der Ertrag der Unternehmung abnimmt. Der
Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht nur durch
die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete, vorweg berechnete
bestimmt ist.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 485. „Aber
die Verwertung des wirklichen Kapitals als konstant vorausgesetzt ...
steigt und fällt der Preis dieser Wertpapiere umgekehrt wie der
Zinsfuß. Steigt
der Zinsfuß von 5 auf 10 %, so stellt ein Wertpapier, das einen Ertrag
von 5.000 Euro sichert, nur
noch ein Kapital von 50.000 Euro vor. Fällt
der Zinsfuß auf 2,5 %, so stellt dasselbe Wertpapier ein Kapital von 200.000 Euro
vor. Sein
Wert ist stets nur der kapitalisierte Ertrag, d. h. der Ertrag, berechnet
auf ein illusorisches Kapital nach dem bestehenden
Zinsfuß. In
Zeiten einer Klemme im Geldmarkt werden diese Wertpapiere also doppelt im
Preise fallen; erstens, weil der Zinsfuß steigt, und zweitens, weil sie
massenhaft auf den Markt geworfen werden, um sie in Geld zu realisieren.“
K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 485. „Ihre Entwertung in der Krise wirkt als
kräftiges Mittel zur Zentralisation des
Geldvermögens. Soweit
die Entwertung oder Wertsteigerung dieser Papiere unabhängig ist von der
Wertbewegung des wirklichen Kapitals, das sie repräsen-tieren, ist der
Reichtum einer Nation gerade so groß vor wie nach der Entwertung oder
Wertsteigerung. ... Soweit ihre Entwertung nicht wirklichen Stillstand der
Produktion ... oder Aufgeben von angefangenen Unternehmungen
ausdrückte oder Wegwerfen von Kapital in positiv wertlosen Unternehmungen,
wurde die Nation um keinen Heller ärmer durch das Zerplatzen dieser
Seifenblasen von nominellem Geldkapital.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 486. „Alle
diese Papiere stellen in der Tat nichts vor als akkumulierte Ansprüche,
Rechtstitel auf künftige Produktion, deren Geld- oder Kapitalwert entweder
gar kein Kapital repräsentiert, wie bei den Staatsschulden, oder von dem
Wert des wirklichen Kapitals, das sie vorstellen, unabhängig reguliert
wird.“ K. Marx,
Kapital III, MEW 25, 486. „Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweise zu verdreifachen durch die verschiedene Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiedenen Händen unter verschiedenen Formen erscheint. Der größte Teil dieses ‚Geldkapitals‘ ist rein fiktiv.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 488. Siehe auch die Artikel: Zins
und zinstragendes Kapital
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Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |