Bürokratie

1. Existenzgrund der Bürokratie

Die Existenz einer Bürokratie ist das Eingeständnis, dass erstens die herrschende Klasse zahlenmäßig zu schwach, zu bequem oder zu ungebildet – (oder alles zusammen) – ist, um ihr Herrschaftsinteresse persönlich zu verwalten, und dass zweitens die Masse der Gesellschaftsmitglieder noch nicht gebildet und emanzipiert genug ist, um ihre gesellschaftlichen Bedürfnisse selbst und ohne hauptberufliche Bürokraten zu organisieren.

„Die Bürokratie ist eingesetzt worden, um Kleinbürger und Bauern zu regieren. Diese Klassen, in kleinen Städten oder Dörfer zersplittert, mit Interessen, die nicht über den engsten Lokalkreis hinausreichen, haben notwendig einen ihren beschränkten Lebensverhältnissen entsprechenden beschränkten Gesichtskreis. Sie können keinen großen Staat regieren, sie können weder Überblick noch Kenntnisse genug besitzen, um die verschiedenen miteinander kollidierenden Interessen gegenseitig auszugleichen ...

Die Kleinbürger und Bauern können also eine mächtige und zahlreiche Bürokratie nicht entbehren. Sie müssen sich bevormunden lassen, um der größten Verwirrung zu entgehen, um sich nicht durch Hunderte und Tausende von Prozessen zu ruinieren.“ F. Engels, Status quo, MEW 4, 53.

 

1.1. Wo Herrschaftsarbeit angenehm ist, erledigen sie die Herrschenden selber, sonst wird sie gerne delegiert

„Sind diese ‚Dienstleistungen‘ angenehm, so verrichtet sie zuweilen der Herr für den Knecht, wie ... die Mühe des Regierens etc. beweist, der sich die Herren von je unterziehen.“ K. Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1, 270.

„Dass die Herrschaft, wie im politischen, so im ökonomischen Gebiet, den Gewalthabern die Funktionen des Herrschens auflegt, ... sagt Aristoteles mit dürren Worten und fügt hinzu, dass kein großes Wesen mit dieser Aufsichtsarbeit zu machen sei, weshalb der Herr, sobald er vermögend genug ist, die ‚Ehre‘ dieser Plackerei einem Aufseher überlässt.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 398.

1.2. Von ihrer Leistung her gesehen,
gibt es immer zu wenige Bürokraten,
von ihren Kosten her gesehen, gibt es immer zu viele

„Man weiß genau, unter gegebenen Produktionsbedingungen, wie viel Arbeiter nötig sind, um einen Tisch zu machen, wie groß die Menge einer bestimmten Art Arbeit sein muss, um ein bestimmtes Produkt hervorzubringen.

Bei vielen ‚immateriellen Produkten‘ ist dies nicht der Fall. Die benötigte Arbeitsmenge, um ein bestimmtes Resultat zu erreichen, ist ebenso zweifelhaft wie das Resultat selbst. Zwanzig Geistliche vereint bringen vielleicht die Bekehrung hervor, die einem misslingt; sechs Ärzte, die zusammen konsultieren, finden vielleicht das Heilungsmittel, das einer allein nicht findet. In einem Richterkollegium wird vielleicht mehr Gerechtigkeit produziert als von einem einzelnen, nur sich selbst kontrollierenden Richter.

Die Masse der Soldaten, die nötig ist, um das Land zu schützen, der Polizisten, um es in Ordnung zu halten, der Beamten, um es gut ‚zu regieren‘ usw., alle diese Dinge sind problematisch und werden z. B. sehr oft in englischen Parlamenten diskutiert, obgleich man in England sehr genau weiß, wie viel Spinnarbeit nötig ist, um 1.000 Meter Twist zu spinnen.“ K. Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1, 240.

In Deutschland machen die Unterhaltskosten für die Bürokraten in Bund, Ländern und Gemeinden derzeit rund 25 % aller Staatsausgaben aus.

„Die Bürokratie gilt sich selbst als der letzte Endzweck des Staats. ... Die Staatszwecke verwandeln sich in Bürozwecke oder die Bürozwecke in Staatszwecke. Die Bürokratie ist ein Kreis, aus dem niemand herausspringen kann. Ihre Hierarchie ist eine Hierarchie des Wissens. Die Spitze vertraut den unteren Kreisen die Einsicht ins Einzelne zu, wogegen die unteren Kreise der Spitze die Einsicht in das Allgemeine zutrauen, und so täuschen sie sich wechselseitig.“ K. Marx, Hegelsches Staatsrecht, MEW 1, 248.

 

2. Beseitigung der Bürokratie

Längst sind die modernen Lohnarbeiter und das Volk gebildet genug, um alle öffentlichen Angelegenheiten selbst zu beraten und zu entscheiden. Was dann noch an öffentlichen Verwaltungsaufgaben bleibt, wird nicht zeitlebens an Berufsbeamte oder Berufsbürokraten delegiert, sondern als befristete Aufgabe umschichtig vergeben.

Die Pariser Kommune von 1871 hatte Bürokratie und Berufsbeamtentum ganz abgeschafft.

„Gegen diese in allen bisherigen Staaten unumgängliche Verwandlung des Staats und der Staatsorgane aus Dienern der Gesellschaft in Herren der Gesellschaft, wandte die Kommune zwei unfehlbare Mittel an. Erstens besetzte sie alle Stellen, verwaltende, richtende, lehrende, durch Wahl nach allgemeinem Stimmrecht der Beteiligten, und zwar auf jederzeitigen Widerruf durch dieselben Beteiligten.

Und zweitens zahlte sie für alle Dienste, hohe wie niedrige, nur den Lohn, den andere Arbeiter empfingen. ...

Diese Sprengung der bisherigen Staatsmacht und ihre Ersetzung durch eine neue, in Wahrheit demokratische, ist im dritten Abschnitt des ‚Bürgerkriegs‘ (von K. Marx) eingehend geschildert.“ F. Engels, Einleitung zu „K. Marx: Bürgerkrieg in Frankreich“, MEW 17, 623.

Siehe auch die Artikel:

Beamte

Justiz

Parlamentarismus

Staat

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.