Bedürfnisse

 1. Bedürfnisse entwickeln sich mit den Möglichkeiten ihrer Befriedigung

„Zum Leben ... gehört vor allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges andere.

Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst, und zwar ist dies eine geschichtliche Tat, eine Grundbedingung aller Geschichte, die noch heute, wie vor Jahrtausenden, täglich und stündlich erfüllt werden muss, um die Menschen am Leben zu erhalten. ....

Das Zweite ist, dass das befriedigte erste Bedürfnis selbst, die Aktion der Befriedigung und das schon erworbene Instrument der Befriedigung zu neuen Bedürfnissen führt ...“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 28.

„Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden je nach den klimatischen und anderen natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andererseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes ... ab, ...“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 185.

„Indem die Konsumtion das Bedürfnis neuer Produktion schafft, also den idealen, innerlich treibenden Grund der Produktion, der ihre Voraussetzung ist. Die Konsumtion schafft den Trieb der Produktion;“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 13.

2. Bedürfnisse im Kapitalismus

2.1. Der Kapitalismus entwickelt bei allen ständig neue Bedürfnisse

„Als das rastlose Streben nach der allgemeinen Form des Reichtums treibt aber das Kapital die Arbeit über die Grenzen ihrer Naturbedürftigkeit hinaus und schafft so die materiellen Elemente für die Entwicklung der reichen Individualität, die ebenso allseitig in ihrer Produktion als Konsumtion ist ...“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 231.

Durch die Akkumulation von Kapital werden ständig Anlagesphären gesucht, wodurch auch neue Produktionszweige geschaffen werden, was „neues Bedürfnis befriedigt und hervorbringt. ... Also Erforschen der ganzen Natur, um neue nützliche Eigenschaften der Dinge zu entdecken; universeller Austausch der Produkte aller fremden Klimazonen und Länder; neue Zubereitungen (künstliche) der Naturgegenstände, wodurch ihnen neue Gebrauchswerte gegeben werden ...;

die Entwicklung der Naturwissenschaft daher zu ihrem höchsten Punkt ...; ebenso die Entdeckung, Schöpfung und Befriedigung neuer aus der Gesellschaft selbst hervorgehenden Bedürfnisse; die Kultur aller Eigenschaften des gesellschaftlichen Menschen und Produktion desselben als möglichst bedürfnisreichen, weil eigenschafts- und beziehungsreichen – seine Produktion als möglichst totales und universelles Gesellschaftsprodukt – (denn um nach vielen Seiten hin zu genießen, muss er genussfähig, also zu einem hohen Grad kultiviert sein) – ist ebenso eine Bedingung der auf das Kapital gegründeten Produktion.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 312f.

„Übrigens ... verlangt jeder Kapitalist zwar, dass seine Arbeiter sparen sollen, aber nur seine, weil sie ihm als Arbeiter gegenüberstehen; beileibe nicht die übrige Welt der Arbeiter, denn sie stehen ihm als Konsumenten gegenüber. Trotz aller ‚frommen‘ Redensarten sucht er daher alle Mittel auf, sie zum Konsum anzuspornen, neue Reize seinen Waren zu geben, neue Bedürfnisse ihnen anzuschwatzen etc.

Es ist gerade diese Seite des Verhältnisses von Kapital und Arbeit, die ein wesentliches Zivilisationsmoment ist, und worauf die historische Berechtigung, aber auch die gegenwärtige Macht des Kapitals beruht.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 198.

 

2.2. Für die Mehrzahl bleibt

jeder Zugang zu Reichtum versperrt

„Das rasche Wachstum des produktiven Kapitals ruft ebenso rasches Wachstum des Reichtums, des Luxus, der gesellschaftlichen Bedürfnisse und der gesellschaftlichen Genüsse hervor.

Obgleich also die Genüsse des Arbeiters gestiegen sind, ist die gesellschaftliche Befriedigung, die sie gewähren, gefallen im Vergleich mit den vermehrten Genüssen des Kapitalisten, die dem Arbeiter unzugänglich sind, im Vergleich mit dem Entwicklungsstand der Gesellschaft überhaupt.

Unsere Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft; ...“ K. Marx, Lohnarbeit und Kapital, MEW 6, 412

„Das Maß dieser Mehrwertproduktion ist das Kapital selbst, die vorhandene Stufenleiter der Produktionsbedingungen und der maßlose Bereicherungs- und Kapitalisationstrieb der Kapitalisten, keineswegs die Konsumtion, die von vornherein gebrochen ist, da der größte Teil der Bevölkerung, die Arbeiterbevölkerung, nur innerhalb sehr enger Grenzen ihre Konsumtion erweitern kann ...“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 492f.

„Die Überproduktion speziell hat das allgemeine Produktionsgesetz des Kapitals zur Bedingung, zu produzieren im Maß der Produktivkräfte (d. h. der Möglichkeit mit gegebener Masse Kapital größtmöglichste Masse Arbeit auszubeuten) ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Markts oder der zahlungskräftigen Bedürfnisse, und dies durch beständige Erweiterung der Reproduktion und Akkumulation, daher beständige Rückverwandlung von Mitteln zum Lebensunterhalt in Kapital auszuführen, während andererseits die Masse der Produzenten auf das durchschnittliche Maß von Bedürfnissen beschränkt bleibt und der Anlage der kapitalistischen Produktion nach beschränkt bleiben muss.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 535.

„Das bloße Verhältnis von Lohnarbeiter und Kapitalist schließt ein:

1. dass der größte Teil der Produzenten (die Arbeiter) Nichtkonsumenten (Nichtkäufer) eines sehr großen Teils ihres Produkts sind, nämlich der Arbeitsmittel und des Arbeitsmaterials; (das macht in Deutschland gegenwärtig rund 40 % der Produktion aus)

2. dass der größte Teil der Produzenten, die Arbeiter, nur ein Äquivalent (= gleichen Wert) für ihr Produkt konsumieren können, solange sie mehr als dies Äquivalent – den Mehrwert oder das Mehrprodukt – produzieren.

Sie müssen stets Überproduzenten sein, über ihr Bedürfnis hinaus produzieren, um innerhalb der Schranken ihres Bedürfnisses Konsumenten oder Käufer sein zu können.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 520.  

Die Lohnarbeiter schaffen ständig neue Waren im Wert von v + m. Sie konsumieren aber gleichzeitig nur Waren im Wert von v.

„Je mehr ... sich die kapitalistische Produktion entwickelt, umso mehr (ist sie) gezwungen ..., auf einer Stufenleiter zu produzieren, die mit der unmittelbaren Nachfrage nichts zu tun hat, sondern von einer beständigen Erweiterung des Weltmarktes abhängt. ...

Die Nachfrage der Arbeiter genügt nicht, da der Profit ja gerade dadurch herkommt, dass die Nachfrage der Arbeiter kleiner ist als der Wert ihres Produkts, und umso größer ist, je relativ kleiner diese Arbeiternachfrage ist. Die Nachfrage der Kapitalisten untereinander genügt ebenso wenig. ...

Die Überproduktion geht gerade daraus hervor, dass die Masse des Volks nie mehr als die Durchschnittsmenge an Lebensnotwendigem konsumieren kann, ihre Konsumtion also nicht entsprechend wächst mit der Produktivität der Arbeit.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 469.

„Die Unterkonsumtion der Massen ist eine notwendige Bedingung aller auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaftsformen, also auch der kapitalistischen; ...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 266.

Die „kapitalistische Produktionsweise produziert ... einerseits eine sich immer steigernde Proletarisierung der gesamten großen Volksmasse, andererseits eine immer größere Masse unabsetzbarer Produkte. Überproduktion und Massenelend, jedes die Ursache des anderen, das ist der absurde Widerspruch, worin sie ausläuft ...“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 300.

„Das Wort Überproduktion führt an sich in die Irre. Solange die dringendsten Bedürfnisse eines großen Teils der Gesellschaft nicht befriedigt sind oder nur seine unmittelbarsten Bedürfnisse, kann natürlich von einer Überproduktion von Produkten – in dem Sinn, dass die Masse der Produkte überflüssig wäre im Verhältnis zu den Bedürfnissen für sie – absolut nicht die Rede sein. Es muss umgekehrt gesagt werden, dass auf Grundlage der kapitalistischen Produktion in diesem Sinn beständig unterproduziert wird. Die Schranke der Produktion ist der Profit der Kapitalisten, keineswegs das Bedürfnis der Produzenten.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 528.

„(... Der Anteil, den der Arbeiter an höheren, auch geistigen Genüssen, nimmt, die Agitation für seine eigenen Interessen, Zeitungen halten, Vorlesungen hören, Kinder erziehen, Geschmack entwickeln etc, sein einziger Anteil an der Zivilisation, der ihn vom Sklaven scheidet, ist ökonomisch nur dadurch möglich, dass er den Kreis seiner Genüsse in den guten Geschäftszeiten erweitert, also in den Zeiten, wo Sparen zu einem gewissen Grade möglich ist.)“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 197f.

 

3. In einer selbstverwalteten Wirtschaft kann die Produktion auf Befriedigung ständig wachsender Bedürfnisse ausgerichtet werden

„In der Tat aber, wenn die bornierte bürgerliche Form abgestreift wird, was ist der Reichtum anderes, als die im universellen Austausch erzeugte Universalität der Bedürfnisse, Fähigkeiten, Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen?

Die volle Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der so genannten Natur sowohl, wie seiner eigenen Natur?

Das absolute Herausarbeiten seiner schöpferischen Anlagen, ... die diese Totalität der Einwicklung, d. h. die Entwicklung aller menschlichen Kräfte als solcher, ... zum Selbstzweck macht?“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 387.

„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann ... die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 21.

 

Siehe auch die Artikel:

Armut

Genuss

Reichtum

Verelendung

 

-> Diskussionsforum

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.