Globalisierung

Globalisierung ist ein neues Wort für eine altbekannte Sache: die kapitalistische Konkurrenz auf dem Weltmarkt.
Nicht ganz unberechtigt beginnen unsere Geschichtsbücher die Epoche des Kapitalismus mit den Entdeckungs- und Eroberungsfahrten der Europäer in alle Welt, denn „der Weltmarkt bildet selbst die Basis dieser Produktionsbasis.“ K. Marx, Kapital III. S. 345.
Ab einer gewissen Größe muss sich jedes kapitalistische Unternehmen auf den Weltmarkt hin orientieren:
„Der Anteil der Ausfuhren am Gesamtumsatz nimmt mit wachsender Firmengröße zu.“ LitDokAB 1993/94 a-332.



1. Mit der jüngsten Expansion des Welthandels kehrte die Weltwirtschaft nur zu ihrem alten Entwicklungstrend zurück.
Was vielen Leuten an der Entwicklung der heutigen Weltwirtschaft neu erscheint, ist in Wahrheit eine Rückkehr zu Entwicklungslinien, die durch zwei Weltkriege nur unterbrochen waren.
Zwischen 1913 und 1959 war ein relativer Rückgang des Welthandels zu spüren, wenn man das Welthandelsvolumen mit dem BSP der kapitalistischen Länder vergleicht. Erst ab 1960 nahm das wirtschaftliche Gewicht des Welthandels wieder zu und erreichte im Jahr 1990 das relative Niveau des Welthandels von 1913.

„Die internationalen Aktivitäten der deutschen Unternehmen sind breit gestreut, es dominieren die Exporte.“ LitDokAB 99/2000-2, b-502.

Heute werden wertmäßig mehr Fertigprodukte als Rohstoffe international gehandelt. Im Jahr 1913 machten landwirtschaftliche Produkte rund 70 % des Welthandels aus, heute liegt ihr Anteil bei 17%.
Die Produkte werden relativ zu ihrem Wert immer leichter.
Durch den Ausbau der Verkehrs- und Informationssysteme wurden die Transportkosten für Daten und Waren immer geringer.
Beides erleichtert und fördert den internationalen Handel.

„Soweit der auswärtige Handel teils die Elemente des konstanten Kapitals, teils die notwendigen Lebensmittel, worin das variable Kapital sich umsetzt, verbilligt, wirkt er steigernd auf die Profitrate, indem der die Rate des Mehrwerts hebt und den Wert des konstanten Kapitals senkt. Er wirkt überhaupt in diesem Sinn, indem er erlaubt, die Stufenleiter der Produktion zu erweitern. Damit beschleunigt er einerseits die Akkumulation, andererseits aber auch das Sinken des variablen Kapitals gegen das konstante und damit den Fall der Profitrate.“ K. Marx, Kapital III. S. 247.

Der Welthandel trug mit dazu bei, dass die Warenpreise von 1900 bis 1999 um rund 50 Prozent gefallen sind.

2. Die Ströme des Kapitalexports sind einerseits gewachsen und haben sich andererseits verlagert.
„Nach Angaben der OECD haben die grenzüberschreitenden Direktinvestitionen 1995 um mehr als ein Drittel auf etwas 450 Milliarden USD zugenommen. Das deutsche Engagement erreichte 1995 mit 48 Milliarden DM ebenfalls ein Rekordniveau. Als Zielregion dominieren die Industrieländer, die Entwicklungsländer sind mit einem Anteil von 8 % hinter die ehemaligen Ostblockländer zurückgefallen.“ LitDokAB 99/2000-2, b-500.

Lohnkosten machen derzeit rund 10 % der Produktionskosten in OECD-Ländern aus, 1970 waren es noch 25%. Soweit heute Kapital exportiert wird, stehen die Lohnkosten nicht mehr Vordergrund.
 „Unter den Motiven bei der Wahl eines Standorts für Direktinvestitionen ist die Nähe zu den Absatzmärkten am bedeutendsten und politische Stabilität am Standort sehr wichtig. An dritter Stelle folgen Kostenaspekte (Lohnkosten, Steuerbelastung) und die Qualifikationen der Arbeitskräfte. Die Informations- und Kommunikationstechnologien haben ergänzenden Charakter, da es ‚einfacher’ wird, die bestehenden oder neu entstandenen ökonomischen Vorteile zu nutzen. Vermutungen, nach denen die IuK-Technologien die wichtigste Triebfeder der Globalisierung sind, konnte die Umfrage nicht bestätigen.“ LitDokAB 99/2000-2, b-502.

Für Direktinvestitionen in Deutschland und England gilt: „Die ursprüngliche Investition wurde danach in erster Linie von dem Motiv geleitet, Marktzugang in dem jeweils anderen Land zu erlangen, während andere Motive wie z.B. Arbeitskosten kaum eine Rolle spielen. LitDokAB 2000, b-358.

3. „Arbeitsplätze im Inland statt Kapitalexport“?
Der Arbeitsplatzverlust durch kapitalistische Rationalisierung im Inland und der Kapitalexport ins Ausland entstehen auf einer und derselben Grundlage: der Suche des Kapitals nach profitableren Anlagemöglichkeiten.

„Wird Kapital ins Ausland geschickt, so geschieht es nicht, weil es absolut nicht im Inland beschäftigt werden könnte. Es geschieht, weil es zu höherer Profitrate im Ausland beschäftigt werden kann.“  K. Marx, Kapital III. S. 266.

„Es spricht vieles dafür, dass die Haupterklärung für die Arbeitsmarktprobleme des Nordens ... beim technisches Fortschritt zu finden sind.“  LitDokAB 1998/99 a-685.

„In der Tat scheinen Technologieveränderungen die Hauptursache der beobachteten Änderung der relativen Arbeitsnachfrage in der OECD zu sein.... Die empirische Evidenz scheint ... auf eine Änderung der Arbeits- und Firmenorganisation, die auf technologischen Fortschritt zurückzuführen ist, hinzuweisen.“ LitDokAB 2000, a-118.

„Es zeigt sich, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit ... in den vergangenen 25 bis 30 Jahren einen tendenziell steigenden Verlauf aufweist, während die qualifikatorische Mismatch-Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum überwiegend abgenommen hat.“ LitDokAB 2000, a-596.

Wer „Arbeitsplätze im Inland statt Kapitalexport“ fordert, will zwar das Kapital, aber nicht den Profit. Oder er will nur das kleine Kapital, aber keine „global players“. Das sind hilflose und illusionäre Standpunkte.

4. Das Anwachsen der Finanzmärkte ist ein Zeichen von wirtschaftlicher Schwäche, nicht von Stärke. Sofern Kapital massenweise auf die Finanzmärkte, statt in die Produktion strömt, so ist das immer ein Zeichen der Schwäche und der Überakkumulation des Kapitals, dem profitable Anlagemöglichkeiten fehlen.
In den 90er Jahren erlebten wir eine ähnliche Situation wie in den zwanziger Jahren: nur mäßige Wirtschaftswachstumsraten trotz Einführung neuer Technologien, aber enorm steigende Aktienkurse.
Das überakkumulierte Kapital fand nicht genügend profitable Anlagemöglichkeit und verlegte sich daher zunehmend auf Spekulation. Die Profite auf den Finanzmärkten waren nur auf das „Prinzip Hoffnung“ gegründet und mussten irgendwann platzen.

Es scheint hier einen Konflikt zwischen Shareholder-Kapitalismus = Finanzkapital gegen den „rheinischen Kapitalismus“ = Industriekapital zu geben.
Dieser Schein kann dazu führen, dass ein industrieller Kapitalist sich einbildet, er wäre kein Ausbeuter, sondern würde selber vom Finanzkapital ausgebeutet. Als industrieller Kapitalist und aktiver Unternehmer wäre er in Wirklichkeit ein Arbeiter, während die Börsianer und Spekulanten Profite ohne Arbeit einstreichen.
Alle negativen Züge des Kapitalismus werden so auf das Finanzkapital konzentriert. Das Industriekapital erscheint gegenüber dem Finanzkapital als sozial nützlich und als „produktiv“. Es schafft ja Arbeitsplätze und Gebrauchswerte. Das Finanzkapital wird zur Verkörperung des „ausbeuterischen Kapitals.“
Auf dieser Gegenüberstellung vom guten „arbeitenden“ Industriekapital und vom „bösen“ schmarotzenden Finanzkapital sind auch die Nazis geritten.
A. Hitler schrieb in „Mein Kampf“: „Der Kampf gegen das internationale Finanz- und Leihkapital ist zum wichtigsten Programmpunkt des Kampfes der deutschen Nation um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und Freiheit geworden.“ Mein Kampf, S. 233.
Das „raffende“ Finanzkapital wurde von A. Hitler mit den Juden identifiziert und personifiziert: „Die ersten Juden sind nach Germanien im Verlaufe des Vordringens der Römer gekommen, und zwar wie immer als Händler... Er kommt als Händler.. Allmählich beginnt er sich langsam in der Wirtschaft zu betätigen, nicht als Produzent, sondern ausschließlich als Zwischenglied... Er beginnt mit dem Verleihen von Geld, und zwar wie immer zu Wucherzinsen. ... Endlich aber wächst die jüdische Einflussnahme auf wirtschaftliche Belange über die Börse nun unheimlich schnell an. Er wird zum Besitzer oder doch zum Kontrolleur der nationalen Arbeitskraft.“ Mein Kampf, S. 338-345.
Gegen solche abstrusen Wirtschaftstheorien, gegen die auch Marxisten seit Hilferdings „Das Finanzkapital“ nicht gefeit waren, muss man erklären, dass Geldkapital und Industriekapital nur zwei Seiten einer Münze sind. Jedes Kapital war erst Geldkapital, es sucht dann Anlage als Industriekapital und verwandelt sich wieder in Geldkapital. Nur wenn es ständig diesen Kreislauf vollzieht, kann es als Kapital sich vermehren und als Kapital überleben. Die Unabhängigkeit und die Macht des „Finanzkapitals“ sind nur Schein. Die „Macht des Geldkapitals“ löst sich schnell in Luft auf, wenn Produktionsmittel und Waren überakkumuliert worden sind und die Produktion in eine ernste Wirtschaftskrise gerät.

Vergleiche: Marx über das Finanzkapital

5. Indem die internationalen Konzerne weiter wachsen, schwindet relativ der Einfluss der Nationalstaaten bzw. Regierungen.
In den 14 reichsten Ländern der Erde gab es 1969 ca. 7.000 internationale Unternehmen. Heute  sind es ca. 24.000.
3.700 Multis agieren weltweit. Auf sie entfallen rund 1/3 aller Aktienwerte. Der Umsatz dieser Multis ist so groß wie das BSP der USA. Sie kontrollieren rund die Hälfte der weltweiten Industrieproduktion und des weltweiten Handels.
Sie beuten durchschnittlich 2/3 ihrer Lohnarbeiter in ihrem Kernland aus und machen hier auch 2/3 des Umsatzes. 1/3 ihrer Lohnarbeiter und ihres Umsatzes sind über die Welt verteilt.
VW z.B. ist stärker als der Durchschnitt der Multis globalisiert, denn VW beutet 45 % seiner Arbeiter außerhalb Deutschlands aus.

5.1. Hilft der Nationalstaat gegen Globalisierung?
In der Globalisierungsdebatte wird so getan, als seien die nationalen Regierungen die natürlichen Gegner des großen Kapitals.
Diese Vorstellung ist absurd. Die Kapitalgruppen innerhalb eines Landes waren immer Verbündete des jeweiligen Staates und der Staat bzw. die Regierung waren Interessenvertreter der Konzerne des Landes.
Zwischen 1850 und 1950 konkurrierten auf dem Weltmarkt vor allem national organisierte Kapitale miteinander. Die Weltmarktorientierung jedes national organisierten Kapitals war identisch mit nationalem bzw. staatlichem Interesse.
Jetzt scheint diese Identität auseinander zubrechen. Ich denke, das ist insgesamt eine positive Entwicklung.
Früher hatte die Koalition von Konzernen und Staatsmacht wirtschaftliche, politische und militärische Macht eines jeden kapitalistischen Landes gebündelt. Jede kapitalistische Großmacht suchte sich im Ausland mit allen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Mitteln Einflusszonen zu sichern, von denen andere Mächte ausgeschlossen waren und suchte gleichzeitig die Einflusszonen der anderen zu infiltrieren.
Falls ein wirtschaftlicher Konflikt in der Welt auftrat, stand dahinter sofort eine militärische Macht, die mit Gewalt die betroffenen wirtschaftlichen Interessen durchsetzen wollte und konnte. Das hat einerseits zu Kolonialismus und andererseits zu den imperialistischen Weltkriegen geführt.

Weder für die Linke der Welt noch für die Dritte Welt waren die reichen Nationalstaaten Verbündete gegen die Großkonzerne und ihre Interessen. Die Stärkung der Nationalstaaten ging immer in Richtung imperialistische Großmacht.
Mit dem Zusammenbruch der Kolonialreiche ist die Zahl der souveränen Staaten deutlich gestiegen und die politische und militärische Kontrolle der großen kapitalistischen Länder wurde weitgehend auf ihr eigenes Staatsgebiet beschränkt. Dass die kapitalistischen Großmächte das wieder  ändern wollen, zeigt das militärische Eingreifen im Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan. Aber immer noch ist es ein Ausnahmefall, wenn Wirtschaftsinteressen mit militärischen Mitteln in fremden Ländern durchgesetzt werden. Der Normalfall ist, dass sich die Großkonzerne aller Welt mit den Mitteln der Wirtschaftsverhandlungen gegenseitig Konkurrenz machen. Der Normalfall ist, dass Konzernvertreter mit Koffern voller Versprechungen und voller Bestechungsgeld in einem Land der Dritten Welt erscheinen, nicht Soldaten in Kanonenbooten und Flugzeugen.

5.2. Die Angst, dass die schwindende Macht der Nationalstaaten die kapitalistischen Übel vergrößern könnte, ist unbegründet.
Dafür zwei Belege:
5.2.1. Falls ein großer, starker Staat mehr Schutz vor imperialistischer Bevormundung wäre: Wie ist es dann zu erklären, dass es 1913 nur 62 unabhängige Staaten auf der Welt gab -  1946 waren es 74, heute sind es 193 souveräne Staaten?
Hat dieser moderne Trend zu kleineren Staaten etwa die Lebensverhältnisse verschlechtert?  Hat er die Kriegsgefahr vergrößert? Das Gegenteil ist der Fall.
Dieser Trend zu kleineren Staaten wirkt immer noch. Immer mehr Staatsangehörige votieren für immer kleinere Staatsgebilde. Siehe Schottland und Wales in Großbritannien. Meine Erklärung dafür ist: Je kleiner ein Staatsgebilde ist, desto leichter haben es die Lohnarbeiter und das Volk, Druck auf ihre Regierung auszuüben, desto leichter haben sie es, ihre Interessen gegen die herrschende Klasse durchzusetzen. Große Staaten werden leichter vom großen Kapital beherrscht.

5.2.2. Wachsende Umsätze der Multis können gegenüber der Wirtschaftskraft der Nationalstaaten rechnerisch auch als Schrumpfung der Länder gegenüber den Konzernen dargestellt werden, so dass im Vergleich zu den Multis ein Land wie die Bundesrepublik auf eine Größe wie meinetwegen Belgien schrumpft.
Die Frage ist dann, ob die Bevölkerung von Belgien schlechter dran ist, als die in der Bundesrepublik. Falls diese Relation wirklich aussagekräftig wäre, dann müssten kleine Staaten, weil sie angeblich den Konzernen noch mehr ausgeliefert sind, schlechtere Lebensverhältnisse bieten als große Staaten. Tatsächlich ist das nicht der Fall:
Die 10 kleinsten Staaten in der Dritten Welt (Tonga, Grenada, Seychellen, Tuvalu, Nauru, u.a.) verfügten 1995 über ein BSP pro Kopf von rund 3300 US-Dollar.
Die zehn größten Staaten der Dritten Welt verfügten dagegen nur über ein BSP pro Kopf 670 US-Dollar.

LitDokAB = Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, div. Jhrg.
Wal Buchenberg, 9.11.2001 www.marx-forum.de