IMF: Weltfinanzsystem auf Bankrottkurs
„Der Internationale Währungsfonds (IMF)
hat unter dem Eindruck eines von Turbulenzen geprägten Umfelds für die
Weltwirtschaft das Total der im Geschäftsjahr 2001/02 zugesagten sowie
ausgezahlten Kreditmittel praktisch verdreifacht. Die chronische
Krisenanfälligkeit gewisser «Länderpatienten» hat eine verstärkte Suche
nach Lösungsmechanismen im Stile eines Insolvenzverfahrens für Staaten
bewirkt.
Der am
Dienstag veröffentlichte Rechenschaftsbericht des Internationalen
Währungsfonds (IMF) für das per Ende April abgeschlossene Geschäftsjahr
2001/02 zeugt vom turbulenten Fahrwasser, in dem die Weltwirtschaft
spätestens seit Anfang letzten Jahres wieder segeln musste. Das
Zusammenfallen verschiedener negativer Einflussfaktoren - darunter etwa
die unentwegt am Rande einer globalen Rezession verlaufende Entwicklung
des Weltwirtschaftswachstums, eine im Gefolge früherer Exzesse
eingetretene Preisbereinigung an den Finanzmärkten sowie der jähe, wenn
auch zeitlich begrenzte Niederschlag der Terroranschläge auf die USA -
setzte nach der kurzen im Nachgang zur Asien- Krise verzeichneten
Atempause diversen der nach der Aufnahme Osttimors neu 184
IMF-Mitgliedstaaten mit chronischen Zahlungsbilanzproblemen schwer
zu. Zeugnis dieser Entwicklung stellt das Hochschnellen sowohl der
Kreditauszahlungen als auch der Kreditzusagen während der jüngsten
Berichtsperiode auf bisher ungesehene Rekordniveaus. Mit umgerechnet 38,2
Mrd. bzw. 52,2 Mrd. $ lagen diese denn auch auf einem nahezu
dreimal so hohen Stand wie noch im Jahr zuvor.
...
In der Bredouille Dieses wenig erbauliche Bild ein Stück
weit aufzuhellen vermochte lediglich der Umstand, dass die Probleme im
Gegensatz zu früheren Krisen (Mexiko 1994/95; Asien 1997/98) viele der
Teilnehmer an den internationalen Finanzmärkten nicht unerwartet trafen.
Entsprechend lösten die Kapitalprobleme vereinzelter Schwellenländer
entgegen zeitweiligen Befürchtungen keinen wirklichen Flächenbrand
aus; die in einem eklatanten Widerspruch zu früheren
Absichtserklärungen wieder vermehrt aus ordentlichen und damit
vergleichsweise billigen Kreditfazilitäten gesprochenen Gelder
konzentrierten sich denn auch zu mehr als vier Fünfteln auf bloss zwei
Länder, nämlich Brasilien und die Türkei. Daneben hält der IMF im
Bericht fest, dass ein wachsender Anteil seiner Kredittätigkeit dem Zweck
der Krisenprävention zugeschrieben werden könne. Unterstrichen wird diese
Bemerkung durch die Tatsache, dass nur bei 16 der 34 Stand-by-Abkommen
(einschliesslich allfälliger Verlängerungen) aus dem vergangenen
Geschäftsjahr effektiv Mittel gezogen werden mussten, so dass das Total
der ungezogenen Kreditgelder (per Ende April) auf rund 34 Mrd. $
zu stehen kam. Allerdings maskiert diese Zahl gut 10 Mrd. $
an eingefrorenen Zusagen zugunsten Argentiniens, das Anfang dieses Jahres
seinen Schuldendienst aussetzte.
Ebenfalls deutliche Spuren
hinterliess die massiv gestiegene Beanspruchung von IMF-Mitteln in der
Finanzlage des Instituts. Hatte sich diese dank zum Teil vorzeitigen
Rückzahlungen milliardenschwerer Kredite während der zwei vorangegangenen
Geschäftsjahre deutlich von den Tiefstständen von 1999 erholt, so löste
der neuerliche Nettoabfluss als Folge grosszügiger Hilfsaktionen zugunsten
Brasiliens und der Türkei einen Rückgang der für Neufinanzierungen
verwendbaren Ressourcen um rund 18 Mrd. $ auf nunmehr
82 Mrd. $ (64,7 Mrd. Sonderziehungsrechte) aus. Die auf das
Verhältnis zwischen dem zur Verfügung stehenden Kreditvergabepotenzial
sowie den von den Mitgliedländern kurzfristig abrufbaren Mitteln weisende
Liquiditätsquote kam damit auf gerade noch 117% zu stehen, was spürbar
weniger ist als die 168% des Vorjahres, gleichwohl aber mehr als das
Dreieinhalbfache des Standes beträgt, den man vor Durchführung der elften
Quotenaufstockung von 1999 zu beklagen hatte. Nächstes Jahr steht die
derzeitig gültige Quotenverteilung (Berechnungsmodus, Kreditobergrenze je
Mitgliedsstaat) turnusgemäss wieder auf der Traktandenliste, was vor dem
Hintergrund des zuletzt erfolgten Rückfalls in die frühere Politik
massiver Rettungsaktionen eine hitzige Debatte erwarten
lässt.
Staaten-Insolvenzverfahren... Mitunter wohl auf Druck der
europäischen Mitglieder, die chronischen Hilfsaktionen besonders skeptisch
gegenüberstehen, verlagerte das Institut unter seinem geschäftsführenden
Direktor, dem Deutschen Horst Köhler, die Diskussionen über eine Reform
der internationalen Finanzarchitektur wieder verstärkt in Richtung
Krisenlösung. Dazu beigetragen hat auch der Umstand, dass verschiedene der
unter den Schlagwörtern verbesserte «Surveillance» und «Krisenprävention»
gehandelten Massnahmen mittlerweile erfolgreich umgesetzt wurden. Ins
Zentrum der Debatte rückte denn auch ein Vorschlag der neuen
Vizedirektorin beim IMF, Anne Krueger, der die Schaffung eines
eigentlichen Insolvenzverfahrens für Staaten vorsieht. Nachdem sich die
USA als einflussreichstes Mitglied des IMF lange Zeit nur sehr zögerlich
für eine Beschneidung nationaler Souveränitätsrechte und die damit
einhergehende Kompetenzausweitung für eine multilaterale Institution haben
erwärmen können, scheint nicht zuletzt vor dem Hintergrund der
argentinischen Dauerkrise die Bereitschaft hierzu spürbar gestiegen zu
sein. (Bis auf die Überschriften wörtlich aus: NZZ,
18.9.2002.
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