Das dicke Krisenende kommt noch

Im Kapitalismus vertritt Geld Warenwerte. Geld hat Wert in dem Maße, in dem es beliebige Waren kaufen kann. Die jährlich neu produzierten Warenwerte einer Volkswirtschaft werden als BSP (Bruttosozialprodukt – oder als BIP = Bruttoinlandsprodukt) errechnet.
Die folgende Grafik gibt Auskunft über die gesamten US-Geld- bzw. Finanzwerte im Verhältnis zu den jährlich produzierten Warenwerten der USA.


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Im Jahr 1885 (in der Grafik ganz links) erreichte die Summe aller Geld- und Finanzwerte 93 Prozent des Wertes der US-Warenproduktion (=BSP) in diesem Jahr. Dieser Anteil der Finanzwerte an den Warenwerten stieg während fast 100 Jahren (1885 – 1980) auf rund das Doppelte (194%). In den folgenden 30 Jahren (1980 – 2008) verdoppelte sich dieses Verhältnis nochmals bis auf 442 Prozent und sank nur leicht durch die Finanzkrise auf 392 Prozent im Jahr 2008.
Grob gesagt: Wenn sich die vorhandene Geldmenge verdoppelt, aber die Warenmenge gleich bleibt, dann muss die Warenmenge mit der doppelten Geldmenge bezahlt werden. Der Wert des Geldes hat sich halbiert. Generell lässt sich also sagen: Das US-Finanzvermögen (und damit auch der US-Dollar) haben stark an Wert verloren.

Im Detail ist die Sache jedoch komplizierter: Die gestiegenen Geld- und Finanzwerte können und sollen nicht gleichzeitig auf den Markt treten und Warenwerte nachfragen. Alle diese Geld- und Finanzwerte sollen aber Zins- oder Dividendenzahlungen abwerfen. Sie müssen sich Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat rentieren. Genau da liegt das Problem.

Vereinfach gesagt ist das Geld- und Finanzvermögen der Einen die Verschuldung der Anderen. Die Gesamtverschuldung in den USA machte aber im Jahr 2008 291 Prozent des Bruttosozialprodukts aus.

Betrachten wir die einzelnen Finanzsektoren der USA:
Bankeinlagen sind das (Bar)Geldvermögen des Kontoinhabers. Fast jeder denkt, das sei sein sicheres Geld. Das ist schon falsch. Geld, das auf einem Bankkonto liegt, ist tatsächlich in fremden Händen. Es ist ein Kredit an die Bank. Die Bank ist Schuldner dieses Geldes. Der Kontoinhaber ist Gläubiger. Die Bank betrachtet dieses Geld jedoch als ihres und rechnet es zu ihrem Eigenkapital. Die Bank verleiht dieses Geld nicht nur weiter, sie spekuliert auch damit auf den Finanzmärkten. Wenn die Bank pleite geht, ist dieses Geld futsch.
Es gibt zwar in Deutschland eine Einlagensicherungen, aber die geht nur bis 100.000 Euro pro Kopf. In manchen Ländern sind es nur 20.000 Euro. Die Banken verwalten jedoch Milliarden-Beträge. In den USA sind allein im Jahr 2009 über 130 Banken bankrott gegangen. Die US-Bankenversicherung, die die Konten von Kleinsparer schützt, geriet dadurch ebenfalls an den Rand der Pleite.
Die Grafik zeigt nun, dass der Anteil der US-Bankeinlagen am BSP von unter 50% (1890) auf nur rund 80% (2008) gestiegen ist. Hinzu kommt, dass die Regierungen in den USA und anderen Ländern in der Bankenkrise der vergangenen Jahre den Banken mit großzügigen Krediten und Garantien geholfen hat. Das heißt nicht, dass nicht noch die eine oder andere Bank in den nächsten Jahren pleite geht. Die Hauptrisiken der Finanzmärkte stecken jedoch woanders.

Staatsanleihen: Staatsanleihen sind das Vermögen der Staatsgläubiger und die Schulden des Staates. Schon etliche Staaten sind insolvent geworden, weil die Zinslast für ihre Staatsanleihen zu hoch wurde. Die Staatsverschuldung der USA ist zwar gewachsen, ist aber noch weit von dem Schuldenniveau der Kriegs- und Nachkriegsjahre entfernt. Auch bei der Staatsverschuldung der USA steckt nicht das Hauptrisiko. Schlimmer sieht es mit den anderen beiden Vermögenswerten, den Firmenanleihen (Private debt securities) und den Unternehmensbeteiligungen (Private Equity) aus.

Firmenanleihen: Bei Firmenanleihen geht eine Firma direkt an den Geldmarkt und leiht sich eine bestimmte Summe für eine von der Firma vorgeschlagenen Zinssatz. Da die Firmen sich das Geld quasi an der „Quelle“ leihen, und nicht bei einer Bank, der „Geld-Großhändlerin“, sind die Zinssätze in der Regel geringer, als wenn die Firma Geld von einer Bank bekommt. Für die Gläubiger hingegen sind die Zinssätze höher, als wenn sie ihr Geld der Bank anvertrauen. Andererseits ist dieses Geld weniger sicher. Falls die Schuldner-Firma bankrott geht, ist das verliehene Geld futsch. Die Firmenanleihen der USA haben im Wert explosionsartig zugenommen und machen rund 150% des BSP aus. Je länger die Wirtschaftskrise dauert, desto länger lassen auch die Profite auf sich warten. Hier drohen viele tausend Pleiten, die alle die schönen Sümmchen auf den Schuldscheinen in Rauch aufgehen lassen. Soweit die Gläubiger sich ebenfalls das Geld für Firmenanleihen geliehen haben (zum Beispiel durch Carry Trades über die Landes- und Zinsgrenzen hinweg), geraten sie und ihre Gläubiger mit in den Pleitestrudel.

Unternehmensbeteiligungen (Private Equitiy): (Kurzfristige) Unternehmensbeteiligungen sind Kredite „mit Haken“. In der Regel kommen sie von Finanzunternehmen, die innerhalb von drei bis maximal fünf Jahre einer Firma Geld zur Verfügung stellen, und dann als „Miteigentümer“ auch Einfluss auf die Firmenpolitik nehmen können. Der Großteil dieser Geld ist geliehen, er muss sich also von Monat zu Monat rentieren. Es fließt dann langfristig mehr Geld aus diesem Unternehmen als in es hineingepumpt wurde. Im Politikermund heißen solche Beteiligungsfirmen „Heuschrecken“.
Tatsächlich liegt aber das Risiko auf beiden Seiten. Wenn die Firma, in die eine „Heuschrecke“ investiert hat, nicht den erwarteten Profit abwirft, dann gerät auch die „Heuschrecke“ in Finanznot und kann eventuell ihre Gläubiger nicht bedienen. Auch von dieser Seite drohen daher Pleiten, Pech und Pannen. Möglicherweise gehen beide unter: Das Firmenboot, das die Schuldenlast nicht mehr tragen kann, und die „Finanzpassagiere“, die ihre Schäfchen nicht mehr ins Trockene bringen können.

Das bisherige Krisenmanagement der Regierungen berührte fast nur die Banken. Dabei wurden Bankschulden und faule Papiere auf Regierungskonten umgebucht. Das hat für die Banken funktioniert. Fast überall treten die Bankenchefs wieder selbstbewusst auf und streichen hohe Gehaltsboni ein. Zusammengerechnet ergaben 2008 die US-Staats- und Bankschulden 117 Prozent des BSP. In Japan ist es das Doppelte. Die größeren Probleme sind anderswo versteckt.
Das dicke Ende der laufenden Krise ist die Verschuldung der Privatleute und der Unternehmen. Die Verschuldung der Privathaushalte plus der Unternehmen (ohne Finanzunternehmen) machte 2008 174 Prozent des US-BSP.
Die Japanische Krankheit lässt grüßen.

(Alle Daten von: McKinsey Global Institute)

Wal Buchenberg, 17. 01.2010