Bush plant Atomeinsätze in 7 Ländern Von Mathias
Müller von Blumencron
Mit einem dramatischen
Schwenk in der Atomwaffen-Politik bereitet die US-Regierung den Einsatz
von Nuklearwaffen vor. Neuartige Mini-Atombomben sollen Höhlenverstecke
zerstören, sieben Länder müssen im Kriegsfall mit verheerenden
Atomangriffen rechnen. Schon in den nächsten Monaten sollen Tests
beginnen.
Washington/ Los Angeles - Selten hatte ein Papier
soviel Brisanz, wie der am Samstag von der Los Angeles Times beschriebene
Geheimreport des Pentagon. Darin vollzieht die US-Regierung einen
fundamentalen Schwenk, die Abkehr von der Abschreckungsdoktrin des Kalten
Krieges: Atomwaffen sollen nicht mehr nur als strategisches
Abschreckungspotential wirken, sondern in Zukunft gezielt in regionalen
Konflikten zum Einsatz kommen. Sieben Staaten müssen sich auf das
Schlimmste gefasst machen. Sie werden in dem Bericht als Gegner Amerikas
ausdrücklich benannt und sollen im Kriegsfall mit Atomwaffen beschossen
werden. Darunter ist die "Achse des Bösen", der Irak, Iran und Nordkorea,
aber auch Libyen, Syrien und die Großmächte Russland und
China.
Atombomben auf bin Laden Doch damit nicht genug:
Die US-Militärs sollen Mini-Atombomben entwickeln, mit denen die
Amerikaner dann Höhlensysteme zertrümmern wollen, in denen sich der
Terroristenführer Osama bin Laden versteckt halten könnte oder der
irakische Diktator Saddam Hussein. Es wurmt die Generäle, dass sie trotz
modernster Waffen und eines milliardenteuren Feldzuges noch immer nicht
die Köpfe ihrer Gegner in den Händen halten. Immer wieder haben
amerikanische Militärexperten den Einsatz von Nuklearwaffen zur Zerstörung
der unterirdischen Anlagen in Afghanistan und im Irak diskutiert. Die
gewaltige Vernichtungskraft würde dafür sorgen, dass die Verstecke weitaus
schneller - und billiger - zu zerstören wären als mit konventionellen
Waffen. Das Papier mit dem nüchternen Titel "Nuclear Posture Review"
wurde bereits am 8. Januar dem Kongress zugeleitet, war aber bisher geheim
geblieben. Unterschrieben von dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld
leitet es in kaltblütiger Militär-Sprache eine äußerst gefährliche
Entwicklung ein: Sie macht Atomwaffen zum Bestandteil des
Anti-Terror-Arsenals, wie etwa die Super-Bombe "Daisy Cutter", die größte
konventionelle Bombe der Welt. Atomraketen, Atomgranaten und
lasergesteuerte Nuklear-Mini-Bomben gehören plötzlich zum taktischen
Schreckenskabinett der Militärs. Rasch sollen die US-Militärs in den
nächsten Monaten die neuen Waffen entwickeln. Das Pentagon-Papier fordert
die Entwicklung von Atomsprengsätzen, die weniger "Kollateralschäden"
anrichten als herkömmliche Nuklearwaffen. Konventionelle Cruise Missiles
sollen umgebaut werden, so dass sie auch kleinere Atomsprengköpfe tragen
können. Dass die wendigen Flugraketen in der Vergangenheit immer mal
wieder vom Kurs abkamen und fernab des Ziels aufschlugen, scheint die
Militärs nicht zu stören.
Test schon im nächsten Monat
Schon im nächsten Monat sollten Versuche beginnen, so empfehlen die
Autoren, bei denen Nuklearköpfe auf konventionelle Bomben montiert werden
sollten. F-35 Kampfflugzeuge sollen so umgerüstet werden, dass sie die
neuen Atomwaffen tragen können. Amerikanische Geheimdienstler und Militärs
sollen geschult werden, damit sie die neuen Waffen vom feindlichen Boden
aus genauso dirigieren können, wie die Bomben während des
Afghanistan-Krieges. Die neue Strategie ist die Konsequenz aus der
Tatsache, dass nicht mehr eine Supermacht der größte Feind der Vereinigten
Staaten ist, sondern eine Terrororganisation aus einem der ärmsten Länder
der Erde. In der schrägen Logik der Bush-Krieger führt dies offenbar dazu,
dass Atomwaffen nun auch gegen den neuen Feind eingesetzt werden sollten.
Sie sind damit nicht mehr die letzten Waffen in einem fürchterlichen
Konflikt der Großmächte, deren verheerende Wirkung einen solchen Krieg
gerade verhindern sollte. Ein Atomkrieg, so schreiben die
Pentagon-Autoren, soll an drei Bedingungen geknüpft sein: Angriffziele
können mit herkömmlichen Waffen nicht bekämpft werden, die USA wurden mit
atomaren, biologischen oder chemischen Waffen angegriffen oder es
entwickelt sich "eine überraschende militärische Lage". Das Papier spricht
von einer neuen Triade, bestehend aus offensiver Schlagkraft (nukleare und
konventionelle Angriffswaffen), Verteidigungsarsenal (etwa die
Raketenabwehr) und einer flexiblen Rüstungs-Infrastruktur, die den raschen
Bau und die Tests von Mini-Nuklearwaffen möglich machen
soll.
Das Zeitalter der Nuklearkriege Der Report
offenbart nicht nur das Denken eiskalter Nuklearstrategen, sondern auch
die Sichtweise einer Administration, der offenbar die Folgen ihres
Handelns außerhalb der amerikanischen Grenzen völlig gleichgültig sind.
Denn nicht nur Amerikaner werden diese Waffen kommandieren. Auch junge
Nuklearmächte wie Pakistan und Indien werden sich mit entsprechender
Technik ausrüsten - und sie zum Einsatz bringen. Der Pentagon Report nennt
ausdrücklich regionale Konflikte wie den Nahost-Krieg, einen Angriff
Nordkoreas auf den Süden der Halbinsel oder einen Übergriff Chinas auf
Taiwan als Auslöser für Atomschläge. Was wird Pakistan und Indien davon
abhalten können, ebenfalls Mini-Atombomben im Kaschmir-Konflikt
einzusetzen? So könnte, sollte Bush nicht gestoppt werden, der kalte
Krieg nach kurzer Friedensphase in ein Zeitalter der Nuklearkriege münden.
Despoten werden sich mit den Mini-Bomben bewaffnen, selbst Terroristen
könnten sie weitaus rascher in die Hände bekommen als die gewaltigen
Nuklearwaffen der ersten Generation. Als "Dynamit" bezeichnet denn
auch laut Los Angeles Times der Atomwaffen-Experten Joseph Cirincione von
der Carnegie Endowment for International Peace, einem Think-Tank in
Washington, das Papier. Sollten die mörderischen Waffen wirklich zum
Einsatz kommen, wären Krisengebiete wie Afghanistan bald von Strahlung
verseucht und damit unbewohnbar. Flüchtlingsströme ungeahnten Ausmaßes
würden sich in Bewegung setzen. Die Dritte Welt würde nicht nur soziale
Wüste bleiben, sondern in weiten Teilen in eine Nuklearwüste verwandelt.
Konservative Verteidigungsexperten halten dem entgegen, die USA
müssten sich auf alle möglichen Angriffe vorbereiten. Wer die USA
angreife, müsse mit dem Schlimmsten rechnen, ob es sich dabei nun um eine
Großmacht oder eine Terrororganisation handele. Jack Spencer, ein Experte
für Verteidigungspolitik an der Heritage-Stiftung in Washington, sagte der
Los Angeles Times, der Inhalt des Berichtes überrasche ihn nicht.
Dargestellt werde lediglich "die richtige Art und Weise, eine
Nuklearpolitik für die Welt nach dem kalten Krieg zu entwickeln".
Aus: Spiegel-online.de 9.3.2002. |