Japan vor der Pleite

Aus: Financial Times Deutschland, 14.2.2002.

„Wie kann es sein, dass das reichste Land der Welt am Rande des finanziellen Zusammenbruchs steht? In Japan wanken die Banken. Jede Pleite eines Industrie- oder Handelsunternehmens kann Gläubigerbanken in den Strudel reißen und eine nicht mehr kontrollierbare Kettenreaktion im gesamten Finanzsektor auslösen. Dann wäre die Jagd nach Liquidität eröffnet - und Kredit nicht mehr zu haben.

Eine solche Finanzimplosion des Inselreiches wäre für Außenstehende wenig vergnüglich. Die Welt mag den Zusammenbruch des großen Schuldners Argentinien ertragen. Wenn der größte Gläubiger zusammenbricht, wird das die Zinsen in Amerika und Europa nach oben schießen lassen, die Aktienmärkte in die Knie zwingen und die erhoffte Erholung der Weltkonjunktur zunichte machen.

In der Analyse, wie es zur japanischen Misere kam, sind sich Volkswirte unterschiedlichster Provenienz einig. Die Hyperblase am Aktien- und Immobilienmarkt bis 1989 hat einen Schein von Werthaltigkeit dieser Assets erzeugt und damit eine gigantische Verschuldung von Unternehmen und Banken ermöglicht. Als die Marktwerte auf Normalmaß gestutzt waren, blieben die Schulden übrig. Sie so schnell abzuschreiben, wie ihre Bedienung fragwürdig wurde, hätte Anfang der 90er Jahre die Realwirtschaft Japans ins Mark getroffen. Dem Staat blieb nichts anderes übrig, als Steuer- und vom Bond-Markt geborgte Gelder nachzuschießen. Die Krise Japans wurde so gemildert, aber auch verlängert.
 
Rentier-Ökonomie
Zudem blieb Japan dank hoher Leistungsbilanzüberschüsse größter Kapitalexporteur der Welt. Der Kapitalexport droht Japan in den Dauerzustand einer Rentier-Ökonomie zu versetzen. Was im Inland an Geld entsteht, wird dank der dauerhaft hohen Sparquote der Privathaushalte und der Unlust der Unternehmen, im Inland zu investieren, in ausländische Wertpapiermärkte geschaufelt. Die noch erfolgreichen Industrieunternehmen wie Toyota, Canon oder Sony errichten ihre Werkbänke im Ausland und häufen zudem, ebenso wie die unwilligen Konsumenten, liquide Mittel an. Das Land entindustrialisiert sich.

Diese Entindustrialisierung ist die reale Seite dessen, was ansonsten die Deflation genannt wird. Umgekehrt kann man die Deflation nicht nur mit den Mitteln der Geldpolitik bekämpfen. Die Aufforderung an die Notenbank, ein - positives - Inflationsziel bekannt zu geben und es auch durchzusetzen, ist leicht erhoben. Dennoch gilt auch in Japan, dass eine Zentralbank Inflation und Wachstum zwar bremsen, aber genauso wenig anschieben kann, wie man mit einem Strick einen Wagen anzuschieben vermag.

Auch das zu Nullzinsen angebotene Zentralbankgeld wird verschmäht. Und wer es haben will, legt es im Ausland an, wo es wenigstens Zinsen bringt - und das bei einem als geringer erachteten Risiko.

Unter diesen Umständen ist es keine gute Idee, den Yen abzuwerten. Damit soll - so die modische Theorie - wenigstens die Exportwirtschaft Japans zu alter Größe getrimmt werden. Nur macht diese Kur auch die chronische Krankheit schlimmer, denn ein schwächer werdender Yen regt den Kapitalexport weiter an. Das lohnende Spiel, sich in Yen zu niedrigen Zinsen zu verschulden, um höher verzinsliche Dollar- oder Euro-Werte zu kaufen, würde noch beliebter. Zum Gewinn aus der Zinsdifferenz käme der Währungsgewinn.

Steigender Goldpreis
Der steigende Goldpreis zeigt, dass die Bankenkrise im Volk wahrgenommen wird. Die Regierung Koizumi wird zum 1. April die Einlagensicherung der Banken auf 10 Mio. Yen begrenzen. Offensichtlich glauben nicht alle Japaner, dass es bei diesem Angriff auf ihr Erspartes bleibt. Die Skeptiker warten den Zusammenbruch ihrer Bank gar nicht erst ab und tauschen Guthaben in physisches Gold.
Die Begrenzung der Einlagensicherung ergibt dann Sinn, wenn die Regierung gleichzeitig plant, tatsächlich einige Banken über die Klinge springen zu lassen. Am Ende dieses Fiskaljahres, am 31. März, müssen die Banken ihre Forderungen nach Marktwerten bilanzieren. Da der Tokioter Aktienindex Nikkei inzwischen auf unter 10.000 Yen gefallen ist, werden vermutlich erhebliche Abschreibungen fällig. Das Ende nicht weniger Finanzinstitute wäre damit vorgezeichnet. (...)“