Iranische Revolution 1979
Die
Geschichte der Unbesiegten
Es wird gesagt, daß in
den letzten Jahren unter den Revolutionäreren und Linksoppositionellen
Irans ein ”Rückschau- und Neubetrachtungs-prozeß” in Gang gekommen ist.
Durch einen Blick auf die Printmedien, insbesondere auf diejenigen, die
über diese Gruppierungen außerhalb des Landes berichten, läßt sich die
Existenz eines solchen Phänomens bestätigen - obwohl ernsthaft zu
bezweifeln ist ob dafür der Begriff ”Rückschau” der richtige Ausdruck ist.
In der Abgeschiedenheit, wo die Wahrheit auszusprechen niemanden
beleidigt, kann man diesen Vorgang als einen Reueprozeß bezeichnen. In der
Öffentlichkeit, wo besonders heutzutage political correctness herrscht,
würde man es vielleicht als ”neues Denken” beschreiben. Die erste Opfer
dieses ”neuen” Denkprozeßes sind jedoch die Revolution und revolutionäre
Praxis im Allgemeinen und Revolution des Jahres 1979 im Besonderen
gewesen.
Jeden Monat werden
durch Personen, Gruppierungen und Strömungen, die sich allesamt aus den
inzwischen älter gewordenen Hinterbliebenen und Teilnehmern der 79er
Revolution zusammensetzen, ein Berg von Beiträgen veröffentlicht. Dies
alles zu lesen, zu verfolgen, die Teilnahme an den Beschäftigungen und
Gedankenwelten ihrer Verfasser ist zwecklos und gleichzeitig eine kaum zu
bewältigende Sache. Unproblematischer ist dagegen die Betrachtung des
bereits erwähnten ”neuen” Denkprozeßes. Hierfür kann man vom
Assoziationsgesetz der kognitiven Gedächtnispsychologie Gebrauch machen,
um die Reaktionen dieser Publikationen auf die Schlüsselwörter (wie z.B.
Revolutionsthematik) zu testen. Das Ergebnis wird keinen Anlaß zur Skepsis
geben. Revolution ist Extremismus; Revolution ist Gewalt; Revolution ist
Totalitarismus; Revolution ist Vernichtung. Und warum auch nicht, denn wer
von den Hinterbliebenen der 79er Revolution ist im Stande für einen Moment
die Augen zu schließen, über die letzten 17 Jahren nachzudenken und dabei
an schönen Erinnerungen zu stoßen? Millionen von Menschen sind zum Leben
in einem äußerst reaktionären und äußerst bestialischen
Gesellschaftssystem verurteilt worden. Es wurde eine Gesellschaft
basierend auf Angst, Armut und Lüge aufgebaut, in der Fröhlichkeit
verboten, eine Frau zu sein eine Straftat, das Leben an sich eine Strafe
und Flucht etwas unmögliches ist. Eine ganze Generation, vielleicht die
Hälfte der Bevölkerung haben in dieser Hölle den Blick auf die Welt
geöffnet und kennen außer diese Hölle keine andere Erinnerung. Für viele
andere ist der lebendigste Gedanke die Erinnerung an unvergeßliche
Gesichtern von makellosen Menschen, die mit ihren eigenen Blut übergossen
worden. War der Anfang dieses Alptraums nicht etwa das Jahr 1979 - das
Revolutionsjahr? Vielleicht war es bei manchen der unglückliche Ausgang
der Revolution, der für das Entstehen und den Verlauf ihres ”neuen”
Denkens eine Rolle gespielt hat. Aber weder das Ausmaß dieses Bereuen noch
der bittere Tonfall und die Hysterie der heutigen ”Neudenker” können mit
dem Mißgeschick der 79er Revolution zu erklären sein. Es ist so, als ob
man neben einer Brücke sitzt und die Rückkehr einer besiegten Armee
beobachtet. Es ist dann nicht verwunderlich, wenn man diese Besiegten
betrübt, verdutzt, verblüfft, verstummt und niedergeschlagen wiederfindet.
Jedoch kommen diese Leute mit geballten Fäusten. Wenn man genauer zuhört,
sieht man sie eine Hymne summen. Ja, man irrt sich nicht, sie kommen um
nochmals in den Krieg zu ziehen. Krieg gegen ihr eigenes ”Territorium”,
ihre ”Bastionen”, ihre ”Burgen” oder auf jeden Fall gegen all das, was sie
sich selbst seiner Zeit als solches eingebildet und als solches benannt
hatten. Sie kommen zurück, um sich an sich selbst und an ihren früheren
Bekannten und Vertrauten zu rächen. Für jemand, der aus dem Burginnern
nach außen guckt, ist dies ein gruseliger und erschreckender
Anblick.
Kaum eine gescheiterte
Revolution oder niedergeschlagene Bewegung ist von ihren früheren
leidenschaftlichen Befürwortern mit einem solchen Maß an Verbitterung
begleitet worden. Die Konstitution-Revolution (1905-1911) und die Bewegung
für die Verstaatlichung der Erdölindustrie (1951-1953) im Iran, die Zeit
die Allende-Regierung in Chile, die Revolution in Portugal, der
Bergarbeiterstreik im England, um ein Paar Beispiele zu nennen, haben bei
ihren Pionieren und Teilnehmern immer großen Respekt hervorgerufen. Die
Ursachen für die heutige ”Neubetrachtung” der gestrigen Revolutionären
Irans müssen anderswo gesucht werden. Es ist eine Tatsache, daß die Jahre
nach der 79er Revolution auf der Weltebene mit wesentlich wichtigeren
Ereignissen zusammenfielen. Der Zusammenbruch des Ostblocks, der in den
letzten Zeiten nur in der Propaganda von den demagogischsten Sprechern des
Warschauer- und des NATO-Pakts und ihren dümmsten Anhängern als
”sozialistisches Lager” bezeichnet wurde, war ein politisches und
gesellschaftliches Erdbeben, das die ganze Welt erschütterte. Die
Eliminierung eines Pols der bis dahin bipolaren Welt war an sich
aufwühlend genug für diese Welt, deren ganzes Hab und Gut, von Wirtschaft
und Produktion bis hin zu Wissenschaft und Kunst, seit Jahrzehnten auf
diese Gegnerschaft hin ausgerichtet war. Was aber in den Gebieten der
Meinungen, Gedanken und Ideen ausschlaggebend war, ist die Tatsache, daß
die Herrscher der Welt mit ihren großen Herden von besoldeten Sprechern
und Propagandisten in der Universitäten und Medien der Zusammenbruch des
Ostblocks als Zusammenbruch von Kommunismus und als das Ende von
Sozialismus und Marxismus darstellen konnten. Die Gesamtheit dieser
Gaukelei hat allerdings nicht länger als sechs Jahre gedauert und heute
sind allem Anschein nach die Zeiten der Lügen und Täuschungen vorbei. Aber
diese sechs Jahre haben die Welt erschüttert. Das war kein Ende des
Sozialismus, jedoch ein Hinweis dafür, welch ein Alptraum ein Ende des
Sozialismus in der Tat sein kann und daß sich die Welt ohne den
Sozialismus, ohne die Hoffnung auf den Sozialismus und ohne die ”Gefahr”
des Sozialismus in eine Schlammgrube verwandeln wird. Es wurde deutlich,
daß die Welt, egal ob die von Herrschern oder Beherrschten, den
Sozialismus mit Veränderung assoziiert. Das Ende des Sozialismus wurde als
das ”Ende der Geschichte” verkündet. Es wurde deutlich, daß das Ende der
Sozialismus das Ende des Anspruchs auf die Gleichheit ist, das Ende des
freien Denkens und das Verlangen nach Fortschritt, das Ende des Anspruchs
auf Wohlstand, das Ende der Hoffnung auf ein besseres Leben für die
Menschheit. Das Ende des Sozialismus wurde mit der unumstößlichen
Vorherrschaft der Gesetze des Dschungels und Ursprünglichkeit der Gewalt
in Wirtschaft, Politik und Kultur gedeutet. Und unmittelbar danach
sickerten Faschismus und Rassismus, das Patriarchat, die Volkstümelei und
die Religion sowie antisoziale Tendenzen und Gewalttätigkeiten aus allen
Ritzen der Gesellschaft.
Die weltweite Welle
des ”neuen Denkens”, die nach diesen Ereignissen zustande kam, war
bemerkenswert. In einem internationalen Wettbewerb des Bereuens und des
Einschmeichelns wurden die Tugenden von gestern für Schmach gehalten; es
wurden die Prinzipien von gestern verdammt und die Ideale von gestern
verhöhnt. Verachtung und Kapitulation haben sich als neuen Sinn des Lebens
durchgesetzt. In der Büßer-Kultur der Intellektuellen der neuen
Weltordnung, in der jeder, der ein besseres Leben für seine Mitmenschen
verlangte und der Meinung war, daß die bestehenden Verhältnisse verändert
werden können und müssen; in der jeder, der der Gleichheit der Menschen
beistimmte und sie zu einem besseren Leben einlud; jeder, der von
Notwendigkeit der gemeinsamen Anstrengung von Menschen zur Einflußnahme
auf ihr Schicksal und auf ihren Anteil an der Welt sprach; jeder, der
Staat und Gesellschaft für das Individuum und sein Wohlergehen und seine
Freiheit verantwortlich sah - dieser wurde von tausenden Tribünen herab
als Illusionist, Utopist, Ewiggestriger, als leichtsinnig und
realitätsfremd betitelt. Die Resignation wurde als Kennzeichen von
Weisheit und das Wegwerfen der hohen menschlichen Ideale wurde als
Realismus und Scharfsinn bezeichnet. Es stellte sich plötzlich heraus, daß
jeder neu eingestellte Journalist und Hochschulassistent und jeder
pensionierte Oberst die Antworten auf die geistigen Riesen der modernen
Welt von Voltaire und Rousseau bis Marx und Lenin parat hat; und das die
ganze Problematik des Freiheitswollens und des Gleichheitsverlangens sowie
die Bemühungen der Millionen von Menschen in den letzten Jahrhunderten
nichts anderes gewesen wären als eine nutzlose Zeitvergeudung auf dem Weg
hin zum majestätischen Bauwerk des ”Ende der Geschichte”, die schnellstens
vergessen werden müssen.
In Anlehnung an dieses
internationale Klima machten sich die Ex- Revolutionäre ans Revisionswerk
ringsum die 79er Revolution im Iran und die revolutionäre Praxis
überhaupt. Die Konsequenzen, die sie daraus gezogen haben, schulden ihren
Bestand vielmehr demjenigen Vorgang, der in einem internationalen Ausmaß
die genannten Ideale und Grundsätze verspottete und für ein Paar Jahre zur
Mode wurde, als daß sie die Resultate einer niedergeschlagenen Revolution
wären.
Es ist gesagt worden,
daß die Geschichte immer von den Siegern geschrieben worden ist. Dem muß
man aber hinzufügen, daß die Geschichte, welche die Besiegten schreiben,
mehrfach verlogener und vergifteter ist. Denn diese zweite Geschichte ist
nichts anderes als jene erste im Mantel von Trauer und Elegien, Ergebung
und Selbstbetrug. Wenn aber die Geschichte, die Erzählung von
Veränderungen ist, dann wäre die wirkliche Geschichte, die von
Unbesiegten. Die Geschichte einer Bewegung und einer Bevölkerung, die nach
wie vor die Veränderung wollen und sich dafür anzustrengen wissen. Die
Geschichte derjenigen, die nicht bereit sind, ihre Ideale und Hoffnungen
für eine menschliche Gesellschaft zu begraben. Die Geschichte derjenigen
Bevölkerung und Bewegung, die in der Wahl ihre Grundsätze und Ziele nicht
frei und beliebig reine Wünsche zur Auswahl haben, sondern gezwungen sind
für die Verbesserung von dem, was existiert, zu sorgen. Die 79er
Revolution ist aus der Sicht von den beiden Geschichten, denen von Siegern
und Besiegten gleichermaßen, eine Treppe zum Aufstieg des Islam und des
Islamismus, und die Ursache derjenigen Verhältnisse, die heute im Iran
herrschen. In der wirklichen Geschichte aber war die 79er Revolution eine
Bewegung für Freiheit und Wohlstand, die zerschlagen
wurde.
Die Katastrophen
während der Zeit nach der Revolution im Iran müssen ihren wahren
Verursachern in Rechnung gestellt werden. Die Bevölkerung hatte das Recht,
das monarchische Regime mit all jenen Diskriminierungen und
Ungleichheiten, der Unterdrückung und den Erniedrigungen, die sein
Fundament ausmachten, abzulehnen und sich zu erheben. Es war das gute
Recht der Bevölkerung am Ende des 20. Jahrhunderts keinen Schah, keine
SAVAK (Geheimdienst des Schah), keine Folter und keine Folterkammern zu
wollen. Die Bevölkerung hat das Recht gegenüber einer Armee, von der sie
unmittelbar zum Beginn ihren ersten Protestdemonstrationen geschlachtet
wurde, zur Waffe zu greifen. Die 79er Revolution war eine Bewegung für
Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde. Der Islamismus und die
islamische Regierung waren nicht nur kein Ergebnis dieser Revolution,
sondern sie waren eine Waffe, die bewußt für die Niederwerfung dieser
Revolution ins Feld geführt wurde. Und das in einer Zeit, als die Schwäche
und die Niedergang des Schah-Regimes nun für alle offensichtlich geworden
war.
Im Gegensatz zu den
gängigen Meinungen hatte die islamische Republik ihre Existenz nicht in
erster Linie den Moscheen-Netzwerken und den Scharen von zweitrangigen
Mullahs zu verdanken. Der Ursprung dieses Regimes war nicht die Macht der
Religion in der Bevölkerung oder die schiitische Macht, oder das
Modernisierungsdesinteresse der Bevölkerung und ihre Abneigung gegenüber
der ”westlichen Kultur”, oder der übermäßig rasanten Verstädterung oder
ein Mangel an ”Demokratie - Praxis”. Dieser Unsinn mag der beruflichen
Kariere von einigen halbfertigen ”Orientalisten” und Medienkommentatoren
nützlich sein, sie sind aber von der Wahrheit weit entfernt. Die
islamische Strömung wurde von denjenigen Kräften zur Bühne der 79er
Revolution geführt, die bis dahin das Schah-Regime stützten und seine
SAVAK ausbildeten. Dies waren diejenigen, die über das Potential an
Radikalismus und die Linksorientierung der Revolution im Iran Bescheid
wußten und die aus dem Streik der Arbeiter in der Erdölindustrie ihre
Lektion gezogen hatten. In dem ständigen Gerangel des kalten Krieges
brauchten sie einen ”grünen Gürtel”. Für die ”Islamisierung” der
Revolution im Iran wurden Unmengen an Geldern ausgegeben, Pläne wurden
geschmiedet, Sitzungen fanden statt. Es mußte tausenden Personen, von
westlichen Diplomaten und Militärattachés bis zu den schon immer
”ehrenhaften” Journalisten aus Welt der Demokratie, in einer monatelangen
Anstrengung viel Schweiß kosten, bis es ihnen gelungen war, aus einer
rückständigen, verschimmelten und isolierten Randerscheinung in der
politischen Geschichte des Iran, eine ”Revolutionsführung” und eine
staatliche Alternative für die städtische und neuindustrialisierte
Gesellschaft im Iran des Jahres 1979 zu konstruieren. Herr Khomeini kam
nicht aus Nadjaf (2) und Ghom (3), und nicht an die Spitze von Scharen,
auf Rücken der Eseln reitenden Mullahs aus den am Weg gelegenen Dörfern;
sondern er kam aus Paris und mit dem ”Revolutionsflug”. Der 79er
Revolution war die Verkörperung der edelsten Proteste der entrechteten
Bevölkerung Irans. Die ”islamische Revolution” und das islamische Regime
waren hingegen ein Produkt des kalten Krieges; das Produkt der modernsten
politischen Gleichung der damaligen Welt. Die Architekten dieses Regimes
waren Strategen und Macher der politischen Richtlinien der Westmächte.
Diejenigen also, die heute aus dem Sumpf des ”Kulturrelativismus” heraus,
das von ihnen selbst erzeugten Ungeheuer als ein natürliches Produkt der
”orientalisch-islamischen Gesellschaft” und als passend zu der Bevölkerung
der ”islamischen Welt”, ein weiteres Mal legitimieren. Die gesamten
wirtschaftlichen, politischen und propagandistischen Möglichkeiten des
Westens wurden über Monate hinweg vor und nach dem Februar 1979 für die
Installierung und Aufrechterhaltung dieses Regimes
mobilisiert.
Die Tatsache selbst,
daß dieses social engineering im Iran ermöglicht wurde, war aber dem
Zustand der politischen und sozialen Kräfte innerhalb Iran zu verdanken.
Das Material dafür war ausreichend vorhanden. Der Islamismus hat in allen
Ländern der Region existiert, aber bis zu den damaligen Ereignissen im
Iran, wurde es in keinem Zeitabschnitt zu einer beachtlichen politischen
Kraft, und zu einer Hauptfigur auf der politischen Bühnen dieser Länder.
Die islamische Konterrevolution wurde nicht durch eine geringfügige Kraft
der islamischen Strömung, sondern auf dem Schultern der wesentlichen
politischen Traditionen der Opposition im Iran aufgebaut. Die islamische
Konterrevolution wurde auf dem Schultern der nationalistischen,
sogenannten ”liberalen” Tradition der ”Nationalen Front” errichtet, die
Arbeiter und Kommunisten mehr als alles anderes fürchtete, und die ihr
ganzes Leben unter dem Mantel der Monarchie und dem Überwurf der Religion
mit dem Kauen ihrer Nägel verbracht hatte. Eine Tradition, die während
ihrer ganzen Geschichte nicht im Stande war, nur eine einzige halbwegs
säkulare Offensive gegen die Religion in Politik und Kultur im Iran zu
starten. Eine Tradition, deren Führung und Persönlichkeiten zu den ersten
Huldigern der Islamisten gehörten. Die islamische Konterrevolution wurde
mit Hilfe der Tradition der Tudeh-Partei (pro-sowjetische Partei im Iran)
errichtet, deren ganze Existenzphilosophie aus einem Anti-US-Amerikanismus
um jeden Preis und einer Stärkung ihres ”internationalen Lagers” bestand.
Sie sah im islamischen Regime, unabhängig davon, was es dem Menschen und
der Freiheit antat, einen fruchtbaren Boden für Manöver und Manipulation.
Das Regime des Islam wurde von derjenigen dekadenten, anti-modernistichen,
fremdenscheuen, die Vergangenheit verheerenden und vom Islam befallener
Tradition getragen, die über den größten Teil der künstlerischen und
intellektuellen Kreise Irans herrschte, in der auch das primäre
Protestmilieu der Jugend und der Studierenden war. Khomeini hat gesiegt,
nicht weil viele aberglaubige Leute sein Bild auf dem Mond gesehen hatten,
sondern weil die traditionelle Opposition und diese dekadente,
nationalistische und regressive Kultur, ihn, der im wahrsten Sinn des
Wortes eine Importware war [also einen der am künstlichsten zustande
gekommenen politischen Figuren der zeitgenössischen Geschichte Irans], als
”made in Iran”, als einheimisch und als anti-westlich einstuften und
verherrlichten. Die islamische Konterrevolution war eine Konsequenz aus
der Tatsache, daß die Handlungsinitiative in der Protestbühne aus den
Händen der modernistischen und sozialistischen Bewegung der Arbeiter der
Erdöl- und der Großindustrie in die Händen von Irans traditioneller
Opposition gefallen war. Diese waren es, die die vom Westen geliefert
bekommene Person ”Khomeini” und das Szenario der ”islamischen Revolution”
der protestierenden Bevölkerung praktisch vor die Nase
setzten.
Trotz alledem konnte
die islamische Zauberkunst nur einen kurzen Stillstand in dem Verlauf der
79er Revolution hervorrufen. Die Geschehnisse unmittelbar nach dem
Februar-Aufstand (4) haben gezeigt, daß die Dynamik der Revolution immer
noch Bestand hat; sie haben gezeigt, daß die Bevölkerung, welche Parolen
ihr auch immer eingeredet worden waren, auf jeden Fall nicht für den
Islam, sondern für Freiheit und sozialen Wohlstand ins Feld gezogen und
nach wie vor im Feld geblieben waren. Schließlich wurde die 79er
Revolution, wie auch bei den allermeisten Revolutionen, am Endeffekt nicht
durch Täuschung und Inszenierung, sondern durch eine äußerst blutiger
Zerschlagung besiegt. Der Zeitabstand zwischen 11. Februar 1979 bis 20.
Juni 1981 (5) war der ganze Zeitraum, die der Islam und die Islamisten
unter Verwendung von all den Investitionen und Bemühungen den hilflosen
Auftraggebern des Schah-Regimes gewähren konnte. Und sie haben auch
selbstverständlich keine längere Zeit benötigt. In der wirklichen
Geschichte Irans, klebt der 20. Juni 1981 am 8. September 1978, und ist
ein weiteres Glied in derselben Kette. Khomeini, Bazergan, Banisadr,
Sandjabi, Madanie, Fruhar, Jazdi, Radjai und Beheschti (Sie kamen allesamt
entweder aus traditionellen Opposition oder aus schiitischen Klerus) sind
Namen, die unmittelbar nach Namen wie Mohamad Reza Pahlawi (Schah),
Amuzgar, Schrifemami und Baktiar (Premierminister unter dem Schah),
Ovaissi, Azhari und Rahimi (des Schahs hochrangigste Generäle) erwähnt
werden müssen. Als Figuren, kamen sie eine nach der anderen auf die
politische Bühne, um einer Revolution und den Protesten der Bevölkerung
den Weg zu versperren. Das monarchische Regime und seine bunte Figuren
wurden durch ununterbrochene Schläge der Protestbewegung besiegt. Der
islamischen Republik hingegen war es gelungen, Zeit zu gewinnen und die
Kräfte der Reaktion zu rekonstruieren und reorganisieren, um somit die
Volksrevolution auf blutigste Art und Weise zu zerschlagen. Die
Tagesordnung der beiden Regimen war dieselbe.
Mehr als die Hälfte
der heutigen Bevölkerung Irans ist so jung, daß sie nicht mehr als einen
blassen Schimmer von der 79er Revolution haben kann. Ihr Bezug zu den
damaligen Ereignissen ist dem Bezug der revolutionären 79er Generation zu
den Geschehnissen der Mossadeghs-Zeiten ähnlich (6). Eine vergessene und
unfaßbare Epoche, die anscheinend nur im Gedächtnis ihrer zeitgenössischen
Generation als lebendig und wichtig wahrgenommen wird. Es gibt viele
unterschiedliche Versionen dieser Epoche, die weniger etwas hinsichtlich
der historischen Wahrheiten sagen, sondern vielmehr eine Beurteilung des
Erzählers selbst und seines Platzes in der heutigen Welt ermöglichen. Der
Mensch betrachtet immer aus dem Fenster von Heute die Vergangenheit und
ist dabei auf der Suche nach einer Bestätigung für seine heutigen
Absichten und Handlungen. Auch unsere ”Neudenker” sind in der Betrachtung
der 79er Revolution auf der Suche nach einem Weg zum Hochhalten einer
Fahne im Iran des Jahres 1996. Diese Fahne hat jedoch schon immer
existiert. Wer jedes Mal mit welchen Zeremonien und ununterbrochenen
Murmeln von irgendwelchen Gebets- und Zauberformeln unter dieser Fahne
auftaucht ist Nebensache.
Mansoor
Hekmat
Der Anhang und die in
Klammer stehenden Texte sind vom Übersetzer.
Anhang:
(1) Der Beitrag ist
zum ersten Mal im Zeitschrift ”Noghteh” Nr.4 und 5, Winter und Frühling
1996 auf Persisch erschienen.
(2) Stadt im Irak, Ein
Zentrum des schiitischen Klerus.
(3) Stadt im Iran, Ein
weiteres Zentrum des schiitischen Klerus.
(4) Landesweiter und
bewaffneter Aufstand der Bevölkerung am Samstag, 11. Februar 1979, das den
endgültigen Sturz des Schah-Regimes und der Monarchie im Iran
herbeiführte.
(5) Der 20. Juni 1981
war der Gipfel und zugleich der Wendepunkt des putschartigen und blutigen
Angriffs des islamischen Regimes auf die Revolution und revolutionäre
Bewegung insgesamt sowie auf deren Errungenschaften insbesondere. Der
Terrorwelle richtete sich vor allem gegen die Arbeiterschaft, die Frauen,
die Studierenden, die Bevölkerung in Kurdistan, die politischen Parteien
und gegen eine breite Palette von sozialen und individuellen Rechten; in
Folge dessen sind bis heute über 150.000 Menschen hingerichtet
worden.
(6) Die Bewegung zur
Verstaatlichung des Erdöls während Zeiten des Premierminister Mossadegh
(1951-1953), die zur Verstaatlichung der britischen Erdölgesellschaft AIOC
führte, und mit dem von USA und England geplanten CIA-Putsch am 19. August
1953 und Umsturz von Mossadghs-Regierung endete.
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