Jobmisere

Politische Ökonomie des Jobangebots

 

1. Mehr Jobs? Woher nehmen?

1.1. Wer braucht einen Arbeitsplatz?

Rund 3 Prozent in unserer Gesellschaft sind als Eigentümer von Arbeitsplätzen (=Produktionsmitteln) die "Arbeitgeber". Von diesen Produktionsmittelbesitzern müssen die meisten von uns einen Arbeitsplatz bekommen, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und nur Beamte bekommen ihren Arbeitsplatz auf Dauer. Ohne Job kein Lohn, ohne Lohn nur Not.

 

Die kleinen Selbständigen allerdings, die von eigener Arbeit leben und dabei eigene Produktionsmittel nutzen, erscheinen nicht auf dem Arbeitsmarkt, um einen Job zu suchen. Dieser traditionelle Mittelstand sind die kleinen Handwerker und Bauern, aber auch die selbständigen Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Ladenbesitzer usw. – insgesamt machen sie rund 7 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus. Die Hälfte dieser kleinen Selbständigen arbeitet ganz ohne fremde Lohnarbeiter. In geringem Umfang stellen sie auch Arbeitsplätze zur Verfügung. Sofern dieser alte Mittelstand fremde Arbeit nutzt, dann nicht in einem Umfang, dass der kleine Eigentümer von dieser fremden Arbeit leben könnte.

 

Nicht betroffen von Arbeitslosigkeit sind auch die beamteten Staatsdiener, rund 7 Prozent der Erwerbspersonen. Die lebenslange "Fürsorgepflicht" des Staates für seine verbeamteten Diener ist ein Standes-Privileg, mit dem ihre Loyalität zu den jeweiligen Machthabern erkauft werden soll.

 

Bleiben rund 83 Prozent der Erwerbspersonen in Deutschland, die ihren Lebensunterhalt durch Verkauf ihrer Arbeitskraft bestreiten müssen. Sie fallen in Armut, wenn sie keinen Arbeitsplatz finden. Diese Lohnarbeiter sind ihr ganzes Berufsleben lang von Arbeitslosigkeit bedroht und von Arbeitslosigkeit betroffen. Rund 30 Prozent von ihnen waren schon einmal arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit prägt das Leben nicht nur der aktuell Arbeitslosen, sie prägt auch das Arbeitsleben der aktiven Lohnarbeiter, zwingt sie zu höherer Arbeitsleistung, zu längeren Arbeitszeiten, zu Lohnverzicht usw.

 

 

 

 

 

Alle unsere Politiker von Rechts bis Links versprechen "mehr Arbeit". Dieser Wunsch nach "mehr Jobs" ist ganz kapitalismuskonform. "Mehr Jobs" schaffen ein breiteres Fundament für unsere Gesellschaftspyramide. "Mehr Jobs" bringen mehr Profite für das Kapital. "Mehr Jobs" stärken Staat und Regierung, die höhere Staatseinnahmen und geringere Sozialausgaben genießen. Wer "mehr Jobs" fordert, fördert die Macht von Staat und Kapital.

Darüber wird gerne geschwiegen. Gerne und ausführlich wird über den großen Nutzen geredet, den zusätzliche Arbeitsplätze für uns Lohnarbeiter bringen sollen.

 

Unsere Arbeit als Lohnarbeiter steht immer unter fremdem Kommando. Sie ist wesentlich Zwangsarbeit. Lohnarbeit ist Zwangsarbeit, weil die Lohnarbeiter nur ein auskömmliches Leben bestreiten können, solange sie einen Käufer für ihre Arbeitskraft finden. Lohnarbeit ist Zwangsarbeit, weil sie unter das Kommando eines fremden Willens gestellt ist. Wir Lohnarbeiter müssen tun, was ihnen aufgetragen wird. Wir sind nur ausführende Organe, Köpfe und Hände des uns beherrschenden kapitalistischen Willens. Anmerkung 1)

 

Zwar sind wir Lohnarbeiter soweit frei, dass wir uns einen anderen Kapitalisten wählen können wie wir uns eine andere Regierung wählen können. Gefesselt sind wir aber an die Kapitalistenklasse als Ganze wie an unser Regierungssystem. Als Lohnarbeiter dürfen wir diesem oder jenem Kapitalisten kündigen, aber nicht der Kapitalistenklasse insgesamt. Anmerkung 2)

 

Durch Lohnarbeit können wir schlecht und recht unseren Lebensunterhalt bestreiten. Wer aber keinen Käufer mehr für seine Arbeitskraft findet, fällt in Armut und Not. Je mehr die Not der Arbeitslosigkeit drückt, desto mehr scheint das Glück für alle zu wachsen, die einen Arbeitsplatz haben. Die Hartz-Reformen lassen grüßen. Anmerkung 3)

 

 

 

 

 

Auffällig ist, dass alle Parteien und Politiker von Rechts bis Links seit Jahren "mehr Arbeit" versprechen, dass aber dennoch die Arbeitslosenzahlen ständig gestiegen sind oder auf hohem Niveau verharrten.

Die Forderung nach "mehr Arbeit" ist nicht nur ganz kapitalismuskonform, sie ist auch ganz illusionär. Die uns von den Politikern versprochene "Vollbeschäftigung" müsste grundlegende Entwicklungstrends des Kapitalismus außer Kraft setzen. Das will ich in der folgenden Untersuchung belegen.

 

1.2. Arbeitsplatzangebot des Staates

Wer stellt denn Arbeitplätze zur Verfügung? Es gibt da zwei Gruppen von Eigentümern bzw. Verwaltern der Arbeitsplätze: Die Staatsführung und die Kapitalisten.

Schauen wir zunächst auf die Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst.

Derzeit beschäftigt der Öffentliche Dienst weniger als 6 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter -  4,4 Millionen mit Vollzeitverträgen, 1,5 Millionen in Teilzeit.

Damit stellt der Öffentliche Dienst gerade mal 17 Prozent aller Lohnarbeitsplätze.

 

Diese Arbeitsplätze im Staatsdienst verteilen sich wie folgt:

45 Prozent der öffentlich Bediensteten arbeiten bei Länderbehörden, 32 Prozent bei den Kommunen und 10 Prozent beim Bund und die restlichen 13 Prozent bei bundeseigenen Unternehmen und Anstalten. Gut 35 Prozent aller öffentlich Bediensteten stehen im Beamtenverhältnis.

 

Die Zahl der Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst nimmt langfristig ab.

Die Zahl der Staatsdiener ist seit der Vereinigung von 1991 ständig und deutlich zurückgegangen. Von damals 6,7 Millionen öffentlich Bediensteten wurde die Zahl innerhalb von 11 Jahren auf 4,8 Millionen Vollzeitstellen reduziert. Zwar ist diese deutliche Reduzierung zum Teil auf Privatisierung der Post etc. zurückzuführen – diese Arbeitsplätze sind nicht vollends verschwunden, sondern wurden in die Privatwirtschaft verlagert, dennoch ist angesichts der wachsenden Staatsverschuldung nicht damit zu rechnen, dass die Stelleneinsparungen im Öffentlichen Dienst noch einmal umgekehrt werden.

25 Prozent aller Staatseinnahmen fließen in Personalkosten für die Staatsdiener. Tatsächlich leben und arbeiten alle Staatsdiener auf Kosten der produktiven Lohnarbeiter. Alle Staatsdiener zehren von dem gesellschaftlichen Reichtum, der von den produktiven Lohnarbeitern geschaffen wird.

In den Staat als "Jobmaschine" braucht mensch keine Hoffnungen zu setzen. Schon heute sind die öffentlichen Arbeitgeber hoch verschuldet. Über 20 Prozent der Steuereinnahmen fließen als Zinszahlungen sofort in die Taschen der kapitalistischen Staatsgläubiger. Zusätzliche Stellen im Öffentlichen Dienst müssten durch zusätzliche Steuern und Gebühren finanziert werden. Mit einer "Reichensteuer" allein ist das nicht zu machen.

 

1.3. Arbeitsplatzangebot der kapitalistischen Privatwirtschaft

Bleiben die Arbeitsplätze der kapitalistischen Privatwirtschaft - gut 80 Prozent aller Arbeitsplätze.

Seit 1960 ist das Gesamtarbeitsvolumen (Summe aller geleisteten Arbeitsstunden) in der Privatwirtschaft um rund 30 Prozent gesunken. Die in Deutschland von Lohnarbeitern geleisteten Jahresarbeitsstunden sind von 1991 bis 2002 von 60 Milliarden Stunden auf 56 Milliarden zurückgegangen, ohne dass gleichzeitig die Arbeitszeit nennenswert sank. Statt dessen wurden gezielt Vollzeitarbeitsplätze in Teilzeit umgewandelt.

 

Waren 1985 nur knapp 11 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit tätig, so waren es 1999 bereits rund 18 Prozent.

Mit dem Fortschritt von Technologie und Arbeitsproduktivität sinkt notwendig das gesellschaftliche Arbeitsvolumen. Das ist ein langfristiger Trend im Kapitalismus, der in sich positiv ist, der aber für die Lohnarbeiter mehr negative als positive Folgen hat. Eine dieser Fortschrittsfolgen ist die Massenarbeitslosigkeit. Eine dieser Fortschrittsfolgen ist der Verlust von Vollzeitarbeitsplätzen, die einen Lebensunterhalt ohne Not ermöglichen.

 

 

  

 

Man sieht an der Grafik: Seit 1992 war die Volumenbilanz der Arbeitsplätze in der EU negativ. Das Gesamt-arbeitsvolumen sank. "Neue" Arbeitsplätze wurden dadurch geschaffen, dass Vollzeitbeschäftigung in Teilzeit-beschäftigung aufgesplittet wurde.

Seit seinem Bestehen senkte der Kapitalismus mit dem Fortschritt von Technologie und Arbeitsproduktivität das gesellschaftliche Arbeitsvolumen. Das ist eine bleibende historische Errungenschaft das Kapitals. Doch nicht immer mündete diese langfristige Tendenz sofort in Massenarbeitslosigkeit, weil auch Faktoren wirksam waren, die gegen Arbeitslosigkeit wirkten.

 

Auf die "goldenen Jahre zwischen 1960 und 1973" stützen alle Leute ihren Optimismus, die behaupten: Vollbeschäftigung sei möglich und die heutige Massenarbeitslosigkeit sei nur eine vorübergehende Erscheinung. In dieses Horn blasen alle Politiker von PDS/Linke über SPD, Grüne, CDU und FDP bis zur NPD und anderen Randparteien. Jeder von ihnen behauptet ein besonderes Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu besitzen.

 

 

2. Politik-Rezepte gegen die Jobmisere

Unsere Politiker behaupten:

- Lohnsenkung bringe mehr Jobs;

- mehr Lohn bringe mehr Jobs;

- billiger Kredit bringe mehr Jobs;

- mehr Wachstum bringe mehr Jobs;

- mehr Gewinn bringe mehr Jobs;

- mehr Investitionen bringen mehr Jobs;

Das ist die Litanei der Politiker zum Thema Arbeitslosigkeit. Was ist dran an diesen Glaubenssätzen? Das will ich im folgenden untersuchen.

 

2.1. Weniger Lohn für mehr Jobs?

Die letzten zehn Jahre waren Jahre, in denen die Arbeitslosigkeit wuchs, während gleichzeitig der Reallohn in Deutschland weitgehend stagnierte. Wer behauptet, niedrigere Lohnzuwächse oder gar Lohnsenkung würden mehr Jobs bringen, der wird durch die Wirklichkeit Lügen gestraft.

 

 

 

Niedriger Lohnzuwächse und Lohnsenkungen bringen den Kapitalisten mehr Profit. Dass mehr Profit nicht mehr Arbeitsplätze bringt, darauf gehe ich weiter unten noch ein.

 

2.2. Billige Kredite für mehr Jobs?

Längst ist das Zinsniveau auf historisch niedrigem Stand.

 

 

 

Aus dieser Grafik wird ersichtlich, dass die Kreditvergabe an die Unternehmen seit 1992 zurückgeht, obwohl die Zinsen sanken. Es kann also nicht an den Zinsen und der Kreditvergabe liegen, dass Arbeitsplätze weniger wurden und die Arbeitslosigkeit zunahm. Es ist vielmehr so, dass es weltweit einen Überfluss an Geld, einen Überfluss an Kapital gibt und zu wenig profitable Anlagemöglichkeiten. Der Chefökonom der FTD, Lucas Zeise, schrieb: "Es gibt strukturell ein Überangebot an Kapital. Deshalb bleiben die Renditen niedrig. Es fehlt andererseits an Nachfrage nach Kapital. Die Investitionsmöglichkeiten sind relativ zum Anlage suchenden Kapital zu gering." (ftd, 11.04.2005)

 

2.3. Mehr Lohn für mehr Jobs?

Neoliberale fordern "Lohnverzicht für mehr Arbeit", die deutschen Gewerkschaften kehren das ins Gegenteil und verlangen "Mehr Lohn für mehr Arbeit". Das Gegenteil von Unsinn macht selten Sinn.

Mehr Lohn ist eine lebensnotwendige Sache. Aber der Lohn ist nötig für den eigenen Lebensunterhalt, nicht für Erhalt fremder Arbeitsplätze. Wäre es nicht lachhaft, wenn jemand sagte: Ich kaufe mir ein Auto, um Arbeitsplätze in der Autoindustrie zu sichern? Genau so argumentieren die deutschen Gewerkschaften für die Volkswirtschaft: Die Lohnarbeiter bräuchten mehr Lohn, damit ihre vermehrte Nachfrage die Arbeitsplätze sichert.

 

Der Glaubenssatz: Lohnerhöhungen würden durch vermehrte Nachfrage Arbeitsplätze sichern, ist so lachhaft wie volkswirtschaftlich verkehrt.

Die zahlungskräfte Nachfrage der Lohnarbeiter besteht aus ihrem Nettolohn. Diese Nachfrage der Lohnarbeiter, egal wie hoch sie ist, reicht niemals aus, um das Gesamtwarenprodukt zu kaufen, das diese Lohnarbeiter herstellen. Wie von dem Warenwert eines Einzelunternehmens die Lohnkosten nur einen Teil ausmachen, so macht auch vom volkswirtschaftlichen Warenwert die Gesamtlohnsumme immer nur einen Teil aus. Wie wir weiter unten noch sehen werden, macht die Gesamtlohnsumme unserer Volkswirtschaft sogar nur einen abnehmenden Teil des Gesamtwarenwerts aus. Anmerkung 4)

 

Unsere Gewerkschaftsführer scheinen nicht zu wissen, dass der private Konsum sich aus den Privatausgaben aller Klassen unserer sozialen Pyramide zusammensetzt. Sinkende Ausgaben der Lohnarbeiter können durch steigende Luxusausgaben der höheren Klassen kompensiert werden. In den USA zum Beispiel bestreiten die höheren Einkommensklassen (mit mehr als 50.000 Dollar Jahreseinkommen) die Hälfte aller privaten Konsumausgaben.

 

Von Deutschland kenne ich keine Zahlen über die soziale Aufteilung des privaten Konsums. Man kann aber sicher annehmen, dass auch hier von den oberen Einkommensklassen ein erheblicher und noch wachsender Anteil der privaten Nachfrage kommt.

Im Jahr 2004 stagnierten die Löhne in Deutschland und das Netto-Einkommen der Lohnarbeiter sank. Trotzdem stieg das Bargeldvermögen der Privathaushalte in Deutschland auf über 4000 Milliarden Euro. "Damit haben die Vermögenswerte der Bundesbürger in den letzten beiden Jahren um 400 Milliarden Euro zugenommen." (FTD, 20.06.2005) Für den gesamten Privatkonsum spielt es nur eine geringe Rolle, ob die Gesamtlohnsumme der Lohnarbeiter zu- oder abnimmt. Für die Zu- oder Abnahme der Arbeitslosigkeit spielte es kaum eine Rolle, ob der gesamte Privatkonsum zu- oder abnahm.

 

 

 

 

In den Jahren 1994 und 2001 war der Inlands-Konsum noch gestiegen. Trotzdem stieg auch in dieser Zeit die Arbeitslosigkeit.

 

Im übrigen ist es den Kapitalisten ziemlich egal, ob sie ihre Konsumenten im Inland oder im Ausland finden, Hauptsache, sie können ihre Produkte für gutes Geld verkaufen.

 

 

 

 

2.4. Mehr Wachstum für mehr Jobs?

Seit Jahren verspricht uns die Regierung den "baldigen Wirtschaftsaufschwung", der die Vollbeschäftigung zurückbringen soll. Wahr ist, dass die Arbeitslosenzahlen auch mit dem konjunkturellen Auf und Ab der kapitalistischen Wirtschaft schwanken. Dass die Jobmisere aber mehr ist als nur ein konjunkturelles Problem, zeigt die folgende Grafik.

 

 

 

Man sieht, dass die "Beschäftigung" in der Mehrzahl der Jahre von 1992 bis 2004 in der negativen roten Zone unter der Nulllinie blieb. Nur in Zeiten, in denen das Wirtschaftswachstum wenigstens 3% erreichte, wurde ein positiver Beschäftigungszuwachs erzielt.

 

Vereinfachend kann man sagen: Wann immer das Wirtschaftswachstum in Deutschland 3 Prozent nicht übersteigt, werden Vollarbeitsplätze abgebaut. Nur in den kurzen Zeiträumen, in denen das Wirtschaftswachstum 3 Prozent übertrifft, wird die Arbeitsplatzbilanz positiv.

 

Nun dümpelt die deutsche Wirtschaft seit einigen Jahren um 1 Prozent Wachstum. Auch wenn die Wirtschaftsweisen der Regierung ständig behaupten, das sei nur von kurzer Dauer, machen uns die Japaner seit 15 Jahren vor, dass ein hochentwickelter Kapitalismus keineswegs auch hohe Wirtschaftswachstumsraten produziert. Zwischen 1990 und 2000 wuchs die japanische Wirtschaft um ganze 1,5 Prozent. Es spricht einiges dafür, dass uns in Deutschland ebenfalls ein "japanisches Jahrzehnt" mit mageren Wachstumsraten bevorsteht.

 

 

3. Mehr Gewinne für mehr Jobs?

Alle neoliberalen Rezepte für "mehr Arbeit" wollen die Unternehmergewinne steigern. Alle diese Rezepte beruhen auf der Gleichung: "Mehr Gewinn = mehr Arbeitsplätze". Diese Gleichung geht aber nicht auf.

 

 

3.1. Verwendung der Gewinne für Luxus oder Akkumulation

Diese Gleichung geht nicht auf, weil Gewinne nie vollständig in Investitionen (=Kapitalakkumulation) verwandelt werden und Investitionen nie vollständig in neue Arbeitsplätze verwandelt werden.

Der Gesamtgewinn der Kapitalisten (der "Mehrwert", wie ihn K. Marx nannte) ist zuallererst der Fonds für den Lebensunterhalt der Kapitalisten. Sie bestreiten daraus ihren privaten Konsum (=Revenue) und bestreiten (außer den Steuern) damit auch den Lebensunterhalt des gesamten Anhangs der unproduktiven Dienstleister, die ihnen das Leben angenehm machen - angefangen vom Chauffeur und Gärtner über die Geliebte bis zum Psychiater usw. Eine Steigerung der kapitalistischen Gewinne schlägt sich zunächst nur in einer Steigerung ihres Luxuskonsums nieder. Anmerkung 5)

 

3.2. Wachsender Luxuskonsum

In Deutschland und in der Welt mangelt es nicht an Gewinnen, noch an Reichtum. Es gibt derzeit 760.300 Leute, die mindestens ein Million Euro zur freien Verwendung haben (FTD vom 11.06.2005). Allein im Jahr 2004 hat sich dieser Personenkreis um 4400 Leute vergrößert. In der Finanzwelt werden solche Leute nur "mittelgroße Millionäre" genannt. Die Schwerreichen beginnen erst ab einem frei verfügbaren Geldvermögen von 30 Millionen Euro.

 

"Weltweit ist die Zahl der Dollarmillionäre 2004 so steil angestiegen wie seit drei Jahren nicht mehr – um 600.000 auf 8,3 Millionen. Das gesamte Vermögen dieser Leute ist um 8,2 Prozent auf 30.800 Milliarden Dollar gestiegen." (FTD, 11.06.2005) Anmerkung 6)

 

 

 

 

 

3.3. Wachsende Geldvermögen der Unternehmen

Die Grafik "Investitionen und Barvermögen" bezieht sich auf US-Verhältnisse.

 

 

 

 

Seit 2001 ist die Investitionsquote an den Gewinnen drastisch zurückgegangen. Geld wird aufgehäuft, aber nicht investiert.

In Deutschland ist diese Entwicklung noch dramatischer.

 

 

 

 

Seit dem Jahr 2000 sind die Investitionen zurückgegangen, obwohl die Profite kräftig expandierten. Die neoliberale Behauptung "mehr Gewinne bringen mehr Investitionen" ist falsch.

Diese neoliberale Behauptung ist falsch, nicht nur in der kurzfristigen Sicht, sondern auch über einen längeren Zeitraum.

 

 

 

Über den ganzen Zeitraum zwischen 1960 und 2000 sind die Unternehmensgewinne gestiegen, aber die Investitionsquote gesunken. Auf die Gründe braucht hier nicht näher eingegangen werden, aber fest steht, dass es sich bei der sinkenden Investitionsquote um einen langfristigen kapitalistischen Trend handelt.

 

Wir haben gesehen: Die Arbeitslosenzahlen stiegen bei steigenden Löhnen und sie stiegen bei stagnierenden Löhnen. Die Arbeitslosenzahlen stiegen bei steigendem Konsum und sie stiegen bei fallendem oder stagnierenden Konsum.

Wenn die Gewinne fallen, steigen die Arbeitslosenzahlen und wenn die Gewinne steigen, steigen die Arbeitslosenzahlen auch.

Bleibt noch ein letzter neoliberaler Glaubenssatz: Mehr Investitionen = mehr Jobs. Mit diesem Glaubenssatz ziehen Neoliberale in den "Kampf um Arbeitsplätze" und fordern "mehr Investitionen".

 

4. Mehr Investitionen für mehr Jobs?

Bei den kapitalistischen Gewinnen stellten wir fest, dass zusätzliche Gewinne sich keineswegs in zusätzliche Investitionen verwandeln.

 

4.1. Erweiterungs- oder Rationalisierungsinvestitionen

Bei den Investitionen lassen sich Erweiterungsinvestitionen und Rationalisierungsinvestitionen unterscheiden. Erweiterungsinvestitionen schaffen neue Arbeitsplätze, Rationalisierungsinvestitionen vernichten Arbeitsplätze. Im großen und ganzen sind die Rationalisierungsinvestitionen für den langfristigen Schwund von Arbeitsplätzen in Deutschland verantwortlich. Die Arbeitsplätze verschwinden in Deutschland, weil der Kapitalismus hier erfolgreich und konkurrenzfähig ist. Anmerkung 7)

 

Da ich hier nicht untersuche, woher die Arbeitslosigkeit kommt, sondern der Frage nachgehe, woher neue und mehr Arbeitsplätze kommen sollen, lasse ich die Rationalisierungsinvestitionen einmal ganz beiseite. Anmerkung 8)

Auch wenn wir nur die Erweiterungsinvestitionen betrachten, verwandeln sich zusätzliche Investitionen keineswegs 1 : 1 in neue Arbeitsplätze. Es gibt nämlich einen langfristigen kapitalistischen Trend, der die Investitionskosten je Arbeitsplatz immer mehr in die Höhe treibt.

 

4.2. Steigende Kapitalzusammensetzung -

wachsende Arbeitsplatzkosten

Klar ist, dass die Investitionskosten je Arbeitsplatz sich aufteilen in erstens Produktionsmittel (Gebäude, Technologie auf der einen Seite und Energie, Rohstoffe und Rohmaterial auf der anderen Seite) und in zweitens Lohnkosten. Produktionsmittel heißen bei Karl Marx auch "konstantes Kapital", abgekürzt c. Die Lohnkosten heißen bei ihm auch "variables Kapital", abgekürzt v. Karl Marx nannte das Verhältnis beider Teile die "Zusammensetzung des Kapitals". Das Verhältnis beider Kapitalbestandteile zueinander ist das Verhältnis der Produktionsmittel zum Lohn oder von c : v.

Wenn wir verschiedene Branchen der deutschen Wirtschaft betrachten, fällt auf, dass ihr Kapital branchentypisch ganz unterschiedlich zusammengesetzt ist.

 

In der folgenden Übersicht über die Kapital-Kostenstruktur unterschiedlicher Wirtschaftsbranchen rechnete ich mit dem gesellschaftlichen Durchschnittsjahreslohn von 34.000 Euro (2002) in allen Branchen. Tatsächlich unterscheiden sich die Durchschnittslöhne jeder Branche deutlich. Mit branchenüblichen Löhnen gerechnet würden die Unterschiede der Kapitalzusammensetzung nur noch deutlicher hervortreten. Wer will, kann hier auch mit "Personalkosten" statt mit "Lohnkosten" rechnen, das würde am Ergebnis nichts wesentlich ändern.

 

 

 

Folgendes wird aus der Tabelle ersichtlich:

Relativ kleine und handwerksmäßige Unternehmen wie das Maler- und Glasergewerbe haben einen höheren Lohnkostenanteil v, aber insgesamt niedrigere Arbeitsplatzkosten (c + v).

Umgekehrt: Große und hochtechnisierte Unternehmen in der Industrie, der Energiewirtschaft und Seeschifffahrt haben einen niedrigen Lohnkostenanteil v, aber gleichzeitig hohe Kapitalkosten (c + v).

Das ergibt folgende Gesetzmäßigkeit: Je höher der Anteil der Lohnkosten am Gesamtkapital, desto mehr Lohnarbeit wird relativ zu einer bestimmten Kapitalgröße beschäftigt und desto billiger ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

 

Umgekehrt:

Je niedriger der Anteil der Lohnkosten an den Kapitalkosten insgesamt, desto teurer wird jeder einzelne Arbeitsplatz und desto weniger Lohnarbeit beschäftigt ein Unternehmen relativ zu einer bestimmten Kapitalgröße.

Das gleiche Kapital von 1 Million beschäftigt – auf der Basis obiger Zahlen - im Maler- und Glasergewerbe rund 15 Lohnarbeiter, in der verarbeitenden Industrie rund 6 Lohnarbeiter und in der Seeschifffart 2,5 Lohnarbeiter.

Die Arbeitsplatzkosten wachsen einerseits mit der Unternehmensgröße und sie wachsen andererseits mit dem Fortschritt der Technologie. Aus beidem ergibt sich die Tendenz, dass im Kapitalismus zunehmend höherer Kapitaleinsatz nötig wird, um einen Durchschnittsarbeitsplatz zu schaffen. Aus beidem ergibt sich die Gesetzmäßigkeit, dass ein wachsendes Kapital immer weniger Arbeit beschäftigt.

 

 

 

Aus der Grafik wird ersichtlich, dass die Zusammensetzung des Kapitals in Deutschland seit 1970 sich mehr als verdoppelt hat (Anstieg von 1 bis über 2). Das heißt, dass sich die Kosten pro Arbeitsplatz in Deutschland seither mehr als verdoppelt haben. Es heißt aber auch, dass die Arbeitsplatznachfrage einer bestimmten Kapitalgröße von zum Beispiel 1 Million um die Hälfte abgenommen hat.

 

4.3. Kapitalexport

Wir haben nun viele Hürden kennen gelernt, die verhindern, dass aus zusätzlichen Gewinnen zusätzliche Arbeitsplätze werden.

Bevor zusätzlicher Gewinn investiert wird, müssen zunächst die Existenz- und Luxusbedürfnisse der Kapitalisten und ihres gesellschaftlichen Anhangs befriedigt sein. Es muss zunächst entschieden werden, ob zu investierende Gewinnanteil in Rationalisierungs- oder eine Erweiterungsinvestition fließt (oft ist es beides). Wenn es eine Erweiterungsinvestition wird, dann entscheidet allein die branchenübliche Kapitalzusammensetzung darüber, wie viel Arbeitsplätze pro Million Euro Neuinvestition entstehen.

Wenn all dies entschieden und geklärt ist, dann haben die Kapitalisten bzw. die Kapital-Manager immer noch die Entscheidungshoheit, ob ihr Kapital im Inland oder im Ausland angelegt wird. Anmerkung 9)

 

 

 

 

Die Investitionsrichtung – ob im eigenen Land oder im Ausland investiert wird – hängt teils davon ab, wo die Kapitalanlage profitabler ist, und teils davon, wo die Anlage ausreichend sicher ist vor Raub, Enteignung, Betrug und sonstigen Konkurrenznachteilen.

Es wird oft behauptet, Kapitalexport vermindere nicht direkt und absolut die Arbeitsplätze in Deutschland. Das mag stimmen oder nicht. In jedem Fall verringert Kapitalexport den Zuwachs an Jobs im Innern.

 

5. Arbeitslosigkeit ist unvermeidlich und systemnotwendig

Es ergibt sich als allgemeines Resultat dieser Untersuchung: In unserer kapitalistisch organisierten Gesellschaft ist Arbeitslosigkeit so unvermeidlich wie Hagelschlag und Windbruch. Es ergibt sich weiter das Resultat, dass mit der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft die Faktoren unvermeidlich zunehmen, die ein Anwachsen der Arbeitslosenzahlen bewirken – wie mit der globalen Klimaveränderung Unwetter und Naturkatastrophen unvermeidlich zunehmen.

Aber ebenso sicher ist: Arbeitslosigkeit ist im Kapitalismus nicht nur unvermeidlich, sie ist für das Kapital lebensnotwendig.

Arbeitslosigkeit ist für das Kapital lebensnotwendig, denn das Ausstoßen von Arbeitskraft in schrumpfenden Branchen und Betrieben sowie von Großbetrieben, die Arbeitskraft abbauen, wie auch das Einsaugen von Arbeitskraft in den expandierenden Branchen und Betrieben ruft einen ständigen Wechsel der Arbeit hervor.

Wie jeder Kapitalist, der zusätzlich investieren will, erwartet, dass er dafür die zusätzlichen Maschinerie, Energie und Rohstoffe auf dem Markt vorfindet, so benötigt er auch ein Angebot von zuschüssiger Arbeitskraft in der von ihm nachgefragten Menge und Qualität auf dem Arbeitsmarkt.

Wenn unsere Politiker und Wirtschaftsfachleute von "Vollbeschäftigung" reden, meinen sie auch niemals null Prozent Arbeitslosigkeit, sondern zwei, drei oder gar fünf Prozent Arbeitslose.

 

Arbeitslosigkeit ist für das Kapital lebensnotwendig, denn Arbeitslosigkeit ist die kostenlose Peitsche, mit der die aktiven Lohnarbeiter zu mehr Arbeitsleistung in gleicher Zeit, zu längeren Arbeitszeiten und niedrigeren Löhnen angetrieben werden, ohne dass hinter jedem einzelnen Lohnarbeiter ein Antreiber steht, der mit der Peitsche in der Hand zur Arbeit antreibt, wie es in der Sklavenwirtschaft nötig war.

Es ist kein Zufall, dass parallel zum Wachstum der Arbeitslosenzahlen die Unternehmensführungen in Deutschland das "Lean Management" vorangetrieben haben, mit dem die Antreiber und Aufpasser auf den unteren und mittleren Managementebenen aussortiert und ausgedünnt worden sind. Mit dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes im Nacken kontrollieren sich moderne Lohnarbeiter selbst – nur von Ferne überwacht durch eine kleine Schar von Controllerinnen und Controllern, die nicht mehr über Menschen herrschen, sondern über Unternehmens-Zahlen und -Daten, die sie millionenfach am Bildschirm sichten.

 

Arbeitslosigkeit ist für das Kapital lebensnotwendig, denn es ist billiger und profitabler für die Unternehmen, wenn sie Lohnarbeiter aussortieren können, die alt, chronisch krank und verbraucht sind oder deren Qualifikation nicht mehr gebraucht wird. Diese Lohnarbeiter werden in die Verantwortung der Gesellschaft entlassen, die für den Lebensunterhalt solcher Langzeitarbeitslosen aufkommen muss. Ein feudaler Grundherr konnte sich weniger leicht aus seiner Verantwortung für seine Arbeitskräfte davonstehlen wie ein moderner Kapitalist.

"Die Armutsbevölkerung bildet das Invalidenhaus der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht der industriellen Reservearmee. ... Sie gehört zu den toten Kosten der kapitalistischen Produktion, die das Kapital jedoch großenteils von sich selbst ab auf die Schultern der Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiß." K. Marx, Kapital I, MEW 23, 673.

 

Wal Buchenberg, 01.08.2005


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