Griechenland vor dem Bankrott

Gekürzt aus dem Handelsblatt von Gerd Höhler
"(...) Kaum zum griechischen Ministerpräsidenten gewählt, musste Papandreou eine Hiobsbotschaft nach Brüssel melden: das griechische Haushaltsdefizit liegt nicht bei sechs Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) sondern bei 12,7 Prozent.

Prompt stuften die Ratingagenturen Fitch und Standard & Poor’s Griechenland in die zweite Liga der Schuldner zurück. Allein Moody’s bewertet die Kreditwürdigkeit Athens noch mit der Note A2 – aber vielleicht nicht mehr lange. Infolge der angeschlagenen Bonität muss Griechenlands Finanzminister Giorgos Papakonstantinou den Anlegern inzwischen rund doppelt so hohe Zinsen für seine Staatsanleihen zahlen wie sein deutscher Kollege Wolfgang Schäuble. (...)

Manche Historiker sehen in der schlechten Steuermoral, wie in der generellen Staatsferne der Griechen, eine Hinterlassenschaft der 400-jährigen Türkenherrschaft – damals sei es schließlich eine nationale Ehrenpflicht gewesen, die Steuereintreiber des Sultans übers Ohr zu hauen. Fachleute schätzen, dass in Griechenland im vergangenen Jahr Steuern in Höhe von rund 30 Mrd. Euro hinterzogen wurden. Der Betrag entspricht ziemlich genau dem aktuellen Haushaltsdefizit. Anders gesagt: wenn alle Griechen ihre Steuern zahlen würden, hätte das Land gar kein Finanzproblem."

Anmerkung Wal Buchenberg: Das ist eine klassische Milchmädchenrechnung. Der griechischen Regierung fehlen 30 Milliarden Euro, weil sie 30 Milliarden MEHR ausgegeben hat, als sie eingenommen hat. Wären ihre Einnahmen um 30 Milliarden höher, dann wäre auch die staatliche Verschwendung um mehr als 30 Milliarden höher. Wie der Artikel gut beschreibt, sehen die Klein- und Großbürger in Griechenland "ihren" Staat als Selbstbedienungsladen. Das ist in Deutschland nicht viel anders. Nur die Kassenführung ist hier weniger chaotisch.

"Bei der Bewältigung der Finanzkrise spielt deshalb der Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine Schlüsselrolle."

Anmerkung Wal Buchenberg: Das wird aus der Milchmädchenrechnung von eben scharf geschlussfolgert. Die Schlussfolgerung ist nichts wert.

"Finanzminister Papakonstantinou macht sich allerdings keine Illusionen: die chaotischen Zustände bei der Finanzverwaltung erleichtern den Steuersündern ihr Geschäft. Außerdem grassiert beim Fiskus die Korruption. Wenn Papakonstantinou in diesem Jahr zwei Mrd. Euro hinterzogene Steuern eintreiben kann, wäre er schon froh.
Aber es sind nicht nur Ärzte und Anwälte, Handwerker und Händler, die den Fiskus bestehlen. Auch die politische Kaste Griechenlands beteiligt sich seit Jahrzehnten an der Ausbeutung des Staates.
Das Land wird traditionell von wenigen Polit-Clans regiert, die sich an der Macht ablösen. Sie haben Griechenland mit einem dicht geknüpften Netz von Patronage und Vetternwirtschaft überzogen. Wer für das Parlament kandidieren darf, entscheidet nicht die Parteibasis sondern der Parteichef. So sichert er seine Macht. Und dann bestimmt der Wähler mit seinem so genannten Vorzugskreuz, welcher der nominierten Abgeordneten auf einem der 300 roten Ledersessel in der Vouli, dem Athener Parlament, Platz nehmen darf.
Je mehr Vorzugskreuze ein Abgeordneter hat, desto größer sind seine Chancen, zum Staatssekretär oder gar Minister aufzusteigen. Die Kreuze gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Die Griechen erwarten Gegenleistungen von ihrem Abgeordneten: mal geht es um Hilfe bei der Erteilung einer Baugenehmigung, mal um Schutz vor einer drohenden Steuerprüfung oder auch nur um die Annullierung eines Strafzettels. Wer gar als Abgeordneter einem Schulabgänger einen krisenfesten Job in der öffentlichen Verwaltung zuschanzt, kann mit den Vorzugskreuzen der ganzen Großfamilie rechnen."

Anmerkung Wal Buchenberg: Der Unterschied in Deutschland ist allein der, dass sich die griechische "Landschaftspflege" auf die einzelnen Abgeordneten konzentriert, die deutsche "Landschaftspflege" auf die Parteiführungen. Siehe die Hotelspende an die FDP. In Deutschland hat der einzelne Abgeordnete kaum Einfluss auf wirtschaftsrelevante Entscheidungen. Diese Entscheidungen fallen in den Ausschüssen. Dort wird direkt von der Kapital-Lobby "beraten". Diese "Berater" "platzieren" ihre Interessen bevor irgend ein Gesetztestext zur Abstimmung ins Parlament gelangt.

"(...) Ein krasses Beispiel: die griechischen Staatsbahnen OSE. Über die Jahrzehnte diente das Unternehmen als Jobreservoir für treue Gefolgsleute der jeweiligen Regierungspartei. Im Laufe der Zeit erstritt sich die ständig wachsende Belegschaft immer mehr Privilegien. Inzwischen ist das Unternehmen mit fast zehn Mrd. Euro verschuldet. Allein die jährlichen Personalkosten belaufen sich auf rund 400 Mio. Euro – vier mal so viel, wie durch den Fahrkartenverlauf hereinkommt. Ähnliche Zustände herrschen bei den meisten anderen Staatsbetrieben und in der öffentlichen Verwaltung. 14 jährliche Monatsgehälter sind die Regel, die griechischen Parlamentsdiener kassieren sogar 16 Saläre pro Jahr."

Anmerkung Wal Buchenberg: Was die OSE in Griechenland ist, das sind die Verwaltungsposten von öffentlichen Betrieben (Stadtwerke, Nahverkehrsbetriebe, Sparkassen, Landesbanken usw.) Warum ist es so schwer, sechs bankrotte Landesbanken abzuschaffen? Weil es weniger um Gewinn oder Verlust geht - die Gewinne von Sparkassen und Landesbanken werden sowieso abgeschöpft. Es geht um gutbezahlte Posten, und die werden für verdiente Partei- und Staatsdiener gebraucht. Und noch einen Zusammenhang gibt es zwischen der griechischen Pleite und Deutschland, auf den Thomas Fricke von der Financial Times Deutschland hingewiesen hat:
Die herrschende Klasse in Deutschland hat alles getan (einschließlich Lohnsenkung, HartzIV-Folter etc.), um ihre Waren in Europa und aller Welt konkurrenzlos anbieten zu können. Wenn dann andere Länder und deren Unternehmen, die einen nicht so gnadenlos effektiven Kapitalismus praktizieren, von deutscher Konkurrenz beschädigt in die Pleite schlittern, dann bekommen sie den deutschen Zeigefinger: Selber schuld! Mach's doch wie wir!


"(...)
Papandreou weiß: mit Sparprogrammen allein ist die Krise nicht nachhaltig zu bewältigen – denn ihre Wurzeln liegen im politischen System. (...)
Vor allem die Staatsbediensteten bekommen das zu spüren. Ihnen streicht Papandreou Zulagen und Überstunden. Die Etats der Ministerien werden pauschal um zehn Prozent gekürzt. Höhere Einkommen, Dividenden und Immobilienbesitz will der Premier stärker besteuern. Die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst haben für Mittwoch zu einem Streik gegen die geplanten Kürzungen aufgerufen, in der kommenden Woche will der Gewerkschaftsbund GSEE sogar einen Generalstreik ausrufen.
Ob die Griechen aber jetzt tatsächlich, wie von den Gewerkschaftsbossen und der kommunistischen Opposition gehofft, massenhaft gegen die Sparpolitik revoltieren, ist keineswegs sicher. Eine am Wochenende veröffentlichte Umfrage im Auftrag des Fernsehsenders Skai TV zeigt, dass große Teile der Bevölkerung die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung einsehen und sie mittragen: 83 Prozent der Befragten sind „sehr“ oder „ziemlich besorgt“ wegen der Staatsverschuldung. Immerhin 62 Prozent glauben, dass es der Regierung Papandreou gelingen werde, die Krise zu meistern. (...)“

Anmerkung Wal Buchenberg: Wenn es um fremde Staaten und ferne Länder geht, dürfen Journalisten auch mal die Wahrheit sagen. "Der griechische Staat ist ein korruptes System", das darf das Handelsblatt schreiben. Dabei wird so getan, als fände man die beschriebenen Mängel und Fehler nur bei völlig fremden Spezies in einer fernen Galaxie ohne jede Spur einer Gemeinsamkeit mit den Verhältnissen im eigenen Land. Es wird so getan, als wäre die Staatsverschuldung ein speziell griechisches Problem.
Niemand darf/soll die Gemeinsamkeiten sehen zwischen Griechenland und allen anderen Staaten in Europa, die ja innerhalb der EU so ziemlich das gleiche Rechtssystem pflegen. Niemand darf im Handelsblatt oder sonstwo schreiben, der bundesrepublikanische Staat sei wie Griechenland ein korrumpiertes Gebilde, das dem Staatsbankrott entgegengeht. Das wäre für jeden Journalisten das Ende seiner Existenz als bezahlter Lohnschreiber.
Tatsächlich ist Griechenland anders als Deutschland: Griechenland ist auf einem gemeinsamen Weg weiter voraus. Die Griechen zeigen uns unsere Zukunft. Deshalb ist es lehrreich, die Entwicklungen in Griechenland zu verfolgen.

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