Kampf gegen die "Agenda 2010"

Dokumentiert:  

Vorgeschichte

Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV entwickelten sich im Sommer 2004 eher spontan und weitgehend ohne organisatorische Struktur. Proteste gegen arbeitsmarkt- bzw. sozialpolitische Maßnahmen sind aber nichts Neues in Ostdeutschland. Bereits kurz nach der Wende kam es dort zu Protestwellen: Auf die zahlreichen Betriebsschließungen und Massenentlassungen Anfang der 1990er Jahre reagierten die Belegschaften mit Protesten, wilden Streiks und Demonstrationen (vgl. Breitenborn/Rink 1991; Burchardt 2001; Gabriel 1995).

Um den sich verschärfenden Arbeits- und sozialpolitischen Kämpfen den Druck zu nehmen, führte die Bundesregierung damals das Programm Aufschwung Ost ein, das neben Investitionszulagen vor allem großzügige arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen enthielt (z.B. AB-Maßnahmen, Vorruhestandsregelung). Das Auslaufen vieler AB-Maßnahmen innerhalb dieses Programms im Jahr 1993 provozierte dann erneute Proteste.

Seitdem sind bundesweit vor allem Demonstrationen gegen Sozialleistungskürzungen zu nennen: 1995 organisierten verschiedene Erwerbsloseninitiativen aus dem gesamten Bundesgebiet in Bonn eine Massenkundgebung mit 3.000 Teilnehmern. 1998 strahlten Proteste der Erwerbslosen in Frankreich in benachbarte Staaten aus. In Deutschland beteiligten sich immerhin 40.000 bis 60.000 Menschen in 200 bis 350 Städten an Arbeitslosenprotesten (vgl. KOS 1998).

Die überproportional hohe Beteiligung und Mobilisierung in den neuen Bundesländern war bereits damals auffällig und wird auf den Arbeitslosenverband (ALV) als starkem Akteur zurückgeführt. Dieser Verband ist in Ostdeutschland flächendeckend vertreten und verbindet die Arbeit und das Angebot für Erwerbslose mit Beschäftigungsförderungen (vgl. Roth 2001, Reister/Nikolaus/Klippstein 2000). (...)

 Die Kritik und der Protest an Hartz IV entzündeten sich vor allem an zu starken Kürzungen (u.a. daran, dass das ALG II auf einem Niveau unterhalb der früheren Arbeitslosenhilfe angesetzt wurde, dass die Laufzeit des bisherigen Arbeitslosengeldes auf maximal ein Jahr begrenzt wurde), an verschärften Zumutbarkeitskriterien (dass man jede Arbeit annehmen muss) und an den erweiterten Zugriffsrechten auf Vermögenswerte der Arbeitslosen (z.B. Versicherungen) sowie an zusätzlichen Kontrollmöglichkeiten.

 Die Anti-Hartz IV-Demonstrationen 2004

Die große Welle der Anti-Hartz-IV-Proteste nahm in Magdeburg ihren Ausgang. Der Langzeiterwerbslose Andreas Ehrholdt initiierte dort am 26. Juli 2004 die erste Demonstration, die spontan 600 Teilnehmer mobilisierte. Bereits in der folgenden Woche stieg die Zahl der Protestierenden in Magdeburg auf mehr als 5.500.

Ähnliche Entwicklungen der Teilnehmerzahlen waren danach auch in anderen Städten, vor allem in Ostdeutschland zu verzeichnen. So wuchsen die Demonstrationen und Kundgebungen rasch zu einem Massenprotest an, an dem sich in der Hochphase ungefähr 70.000 Menschen in mehr als 200 Städten und Gemeinden im gesamten Bundesgebiet beteiligten.

In Magdeburg kamen auf dem Höhepunkt am 9. August ca. 15.000 Menschen, in Rostock zwei Montage später 5.000 zusammen und in Leipzig waren es am 30. August 20.000-30.000.

In westdeutschen Städten konnten nicht annähernd so viele Menschen mobilisiert werden, so waren es in Dortmund auf dem Höhepunkt am 23. August ca. 1.200 Teilnehmer. Der Grund für die überproportionale Beteiligung in Ostdeutschland dürfte in der stärkeren Betroffenheit Ostdeutscher infolge der hohen Arbeitslosigkeit und weniger in der Mobilisierungsfähigkeit des (ostdeutschen) Arbeitslosenverbandes (ALV) liegen. (...)

  Auch wenn die meisten Anti-Hartz-Demonstrationen ab Mitte September 2004 kaum noch Zulauf erfuhren und aus der Berichterstattung verschwanden, hielten die Organisatoren der Proteste an einer Mobilisierung bis in die unmittelbare Gegenwart fest. Diese extreme Kontinuität auf äußerst niedrigem Niveau (Teilnehmerzahlen am 6. November 2006 in Magdeburg ca. 25, in Leipzig ca. 40-50) konnte zwar in einigen Städten aufrechterhalten werden, hat aber keinerlei Resonanz in der Öffentlichkeit.

 (...)  Für die soziale und politische Zusammensetzung der Anti-Hartz IV Proteste ist eine Befragung der Protestteilnehmer in Dortmund, Berlin, Magdeburg und Leipzig am 13. September durch das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) im Verbund mit anderen Wissenschaftlern aufschlussreich.3 Demnach kamen die Demonstrationsteilnehmer vorwiegend aus Ostdeutschland, waren männlich, im Schnitt zwischen 50 und 55 Jahren alt, hatten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ein hohes Bildungsniveau und waren politisch deutlich links orientiert. (...)

Quelle

 

Diskussion

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