Neue Linke

Kluge Köpfe versuchten den teils neu entstanden teils wiederentdeckten sozialen Bewegungen ein theoretisches Fundament zu geben. Karl Marx wurde wieder entdeckt, aber auch anarchistische oder syndikalistische Strömungen und ihre Repräsentanten. Teils wurde versucht, die eigene Situation zu verstehen, es wurde auch nach Glaubenssätzen gesucht, die einer neuen Bewegung oder einer neuen Partei Halt und Richtung geben sollten.

Wer sich mit Sozialismus und Kommunismus befasste, kam an der Sowjetunion nicht vorbei. Alle sozialistischen und kommunistischen Parteilinken im Westen benutzten die Sowjetunion als Muster und Modell. Alle diese neuen K-Parteien und Parteiansätze blieben trotz gegenteiliger Beteuerungen und trotz aller Kritik am Sowjetsystem doch nur verwaiste Kinder und Enkel des Roten Oktober von 1917.

 Selten jedoch wurde die aktuelle Sowjetunion und nie die gesamte Geschichte der Sowjetunion von Westlinken als Vorbild akzeptiert. Jede marxistische Strömung, Gruppe oder Partei im Westen wählte sich einen besonderen historischen Abschnitt der Sowjetunion, der von ihr zum sozialistischen Gesellschaftsmodell verklärt wurde.

 Oder anders: Jede Geschichtsepoche der Sowjetunion fand im Westen einen politischen Resonanzboden, auf dem eine eigenständige marxistische Richtung erwuchs:
- Die Erinnerung an den nachrevolutionären Kriegskommunismus in Russland nährt den Trotzkismus bis heute;
- die „Neue Ökonomische Politik“ von 1921 bis 1928 mit ihrer Mischung von Staat und Markt blieb die heimliche Utopie von linken Sozialdemokraten;
- der „Stalinismus“ von 1930 bis 1952 wurde zum Vorbild aller Marxisten-Leninisten;
- die Reformversuche unter Chruschtschow wie unter Gorbatschow machten linken Intellektuellen Hoffnungen auf einen „menschlichen Sozialismus“;
- die Erstarrung und Vergreisung der nachstalinistischen Sowjetunion schlug mit ihrer beeindruckenden militärischen Macht noch alle westlichen „Realsozialisten“ in den Bann.

 

Auf diese Weise wurde das Sowjetsystem im Westen gleichermaßen idealisiert wie kritisiert. Jede dieser politischen Strömungen idealisierte einen einzigen historischen Abschnitt aus der Gesamtentwicklung der Sowjetunion und kritisierte gleichzeitig alle anderen Entwicklungsepochen der UdSSR:
- Trotzkisten meinen, dass die sowjetische Bürokratie nach dem Tod Lenins eine Konterrevolution durchführte.
- Für demokratische Sozialisten und linke Sozialdemokraten ist Stalin der große Konterrevolutionär.
- Die Marxisten-Leninisten glauben, dass mit Chruschtschow eine Konterrevolution gegen die Anhänger Stalins siegte.
- Die heutige russische KP und die chinesische KP meinen, dass erst Gorbatschow eine Konterrevolution auslöste.
Indem jede marxistische Strömung auf einen besonderen historischen Einzelabschnitt schaute, suchte und fand sie in der Sowjetunion politische Unterstützung für ihre politische Doktrin. Siehe meine Kritik des Sowjetsystem: "Was Marx am Sowjetsystem kritisiert hätte".

Für Linke, die sich als "undogmatisch" verstanden, - und das war die große Mehrzahl -, war das politische Leben einfacher: Wer "Dogmen" ablehnt, betont selbständiges Denken, ohne sein Denken allzu sehr zu strapazieren. Wer sich negativ abgrenzt, muss keine Klarheit in der Sache erreichen.

Ein "undogmatisches" politisches Leben war einfacher, weil man nicht alle Bücher lesen, nicht alle Zitate kennen und nicht alle Argumente widerlegen musste. Man konnte einfach tun. Das Tun kannte ein breites Spektrum von der alternativer Spaßkultur bis zur Möchtegern-Untergrund-Armee.

 Auch die "Undogmatische" Linke konnte sich auf Karl Marx berufen, der immer abstritt eine "Lehre" begründet zu haben, und der schrieb: „Die wirkliche, praktische Auflösung dieser Phrasen, die Beseitigung dieser falschen Vorstellungen aus dem Bewusstsein der Menschen wird, wie schon gesagt, durch veränderte Umstände, nicht durch theoretische Deduktionen bewerkstelligt.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 40.

Noch prägnanter formuliert: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 7.

 Wal Buchenberg, 22.03.2007

Weiterführende Links:

Neue Linke:

Wikipedia

Anarchismus:

Wikipedia

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Anarchie-Lexikon

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 Syndikalismus:

Wikipedia

fau

Anarchopedia

K-Gruppen:

Wikipedia

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