Kapital I.: 200-213

Marx stellt zunächst den Arbeitsprozess dar, wie er allen Gesellschaftsformen gemeinsam ist. Im Unterschied zum tierischen Einwirken auf die Natur ist die menschliche Arbeit eine geplante und zweckgerichtete Veränderung der Natur, wobei der Mensch sich die Naturkräfte selber zunutze macht und sie als Werkzeuge seines Gehirns und seiner Hände einsetzt. Als Resultat des Arbeitsprozesses erscheint das Produkt als die Verwirklichung der Idee des Produzenten.
Das Produkt ist nicht nur Resultat des Arbeitsprozesses, sondern ebenso seine Voraussetzung. Schon seit frühester Zeit setzen die Menschen in ihrem Arbeitsprozess Rohmaterial und Arbeitsmittel (Werkzeuge) ein, die beide schon frühere Arbeit enthalten.
Rohmaterial kann die Hauptsubstanz eines Produkts bilden (wie Beton für eine Brücke) oder nur als Hilfsstoff in ein Produkt eingehen (wie Energieträger, die Elektrizität liefern). Der Unterschied zwischen Hauptsubstanz und Hilfsstoff verschwindet in der chemischen Industrie.
Durch Arbeitsmittel (Werkzeuge) vergrößert und intensiviert der arbeitende Mensch seine Kraft und seine Geschicklichkeit.
Insofern das Produkt der Zweck der Produktion ist, sind Rohmaterial und Arbeitsmittel die Mittel der Produktion oder Produktionsmittel.
Im Arbeitsprozess werden sowohl Rohmaterial wie Arbeitsmittel verbraucht oder konsumiert. Arbeit ist also eine produktive Konsumtion – unterschieden von der individuellen Konsumtion, die als Resultat kein Produkt, sondern den Produzenten selber hat.
Im kapitalistischen Arbeitsprozess gehört die Arbeitskraft nicht dem Arbeiter, sondern dem Kapitalisten, der ihre Nutzung und ihren Verbrauch gekauft, bzw. für die Dauer der Arbeitszeit gemietet hat. Alle Produkte, die dieses lebendige Arbeitsvermögen mit den sachlichen Produktionsmitteln (Rohmaterial und Arbeitsmittel) herstellt, gehören rechtmäßig dem Eigentümer dieser beiden Bildungselemente der kapitalistischen Produktion, dem Kapitalisten.

 

2. Verwertungsprozess

Zu welchem Zweck kaufte unser Kapitalist Arbeitskraft und Produktionsmittel?

„... Unserem Kapitalisten handelte es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswert produzieren, der einen Tauschwert hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Ware. Und zweitens will er eine Ware produzieren, deren Wert höher als die Wertsumme der zu ihrer Produktion nötigen Waren, der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Warenmarkt vorschoss. Er will nicht nur einen Gebrauchswert produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert.“ K. Marx, Kapital I.: 201.

„In der Tat, da es sich hier um Warenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Prozesses betrachtet. Wie die Ware selbst Einheit von Gebrauchswert und Wert, muss ihr Produktionsprozess Einheit von Arbeitsprozess und Wertbildungsprozess sein.

Betrachten wir den Produktionsprozess nun auch als Wertbildungsprozess. K. Marx, Kapital I.: 201.

In der nun folgenden Beispielrechnung der Garnherstellung hatte Marx mit realistischen Mengen und Preisen seiner Zeit gerechnet, die er von F. Engels erhalten hatte, der damals als Manager in einer Garnfabrik arbeitete.  Wir sind jedoch heute nicht mehr gewohnt in englischen Shilling zu rechnen. Selbst für die von ihm herausgegebene dritte deutsche Auflage von 1883 wollte F. Engels die englischen Maßeinheiten aus folgenden Gründen nicht ändern: „In der Naturwissenschaft herrschte metrisches, auf dem Weltmarkt englisches Maß und Gewicht. Unter solchen Umständen waren englische Maßeinheiten selbstverständlich für ein Buch, das seine tatsächlichen Belege fast ausschließlich aus englischen industriellen Verhältnissen zu nehmen genötigt war. Und dieser letzte Grund bleibt auch noch heute entscheidend, um so mehr, als die bezüglichen Verhältnisse auf dem Weltmarkt sich kaum geändert haben und namentlich für die ausschlaggebenden Industrien – Eisen und Baumwolle – englisches Maß und Gewicht noch heute fast ausschließlich herrscht.“ (Kapital I.: 34).

Diese Gründe für die Beibehaltung der alten Maße sind inzwischen weggefallen. Daher wurden von mir dort, wo es dem leichteren Verständnis dient, moderne Maße und Gewichte benutzt.

Im folgenden Beispiel wurden alle Shilling-Preise des Originals von mir mit 15 multipliziert, so dass hier in Euro gerechnet werden kann, aber alle Größenverhältnisse untereinander gleich blieben.

Der Arbeitstag wurde von mir mit 8 Stunden statt der 12 Stunden bei Marx gerechnet. Die Gewichtsangaben habe ich nicht geändert.

Wie immer stehen alle Textteile, die modernisiert sind und nicht den originalen Wortlaut von K. Marx wiedergeben, in kursiver Schrift. wb

„Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen.“ K. Marx, Kapital I.: 201.

„Es sei z.B. Garn.

Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial nötig, z.B. 10 Pfund Baumwolle. Was der Wert der Baumwolle, ist nicht erst zu untersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Wert, z.B. zu 150 Euro gekauft. In dem Preis der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion benötigte Arbeit schon als allgemein gesellschaftliche Arbeit dargestellt.

Wir wollen ferner annehmen, dass die in der Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle anderen aufgewandten Arbeitsmittel repräsentiert, einen Wert von 30 Euro besitzt.

Ist ein Geldbetrag von 180 Euro das Produkt von 16 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zunächst, dass im Garn zwei Arbeitstage vergegenständlicht sind.“ K. Marx, Kapital I.: 201.

„Die zur Produktion der Baumwolle nötige Arbeitszeit ist Teil der zur Produktion des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, nötigen Arbeitszeit und deshalb im Garn enthalten. Ebenso verhält es sich mit der Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse nötig ist, ohne deren Verschleiß oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen werden kann. ... Die Werte der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, ausgedrückt in dem Preise von 180 Euro bilden also Bestandteile des Garnwerts oder des Werts des Produkts.“ K. Marx, Kapital I.: 202-203

„Wir wissen jetzt, welchen Teil des Garnwerts die Produktionsmittel, Baumwolle und Spindel, bilden. Er ist gleich 180 Euro oder die Verkörperung von zwei Arbeitstagen.

Es handelt sich also nun um den Wertteil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt.“ K. Marx, Kapital I.: 203.

„Es ist nun entscheidend wichtig, dass während der Dauer des Prozesses, d.h. der Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen unter normalen, d.h. durchschnittlich gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, a Pfund Baumwolle während einer Arbeitsstunde in b Pfund Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 8 Stunden, der 8 x a Pfund Baumwolle in 8 x b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zählt als wertbildend.“ K. Marx, Kapital I.: 204.

„Beim Verkauf der Arbeitskraft wurde unterstellt, dass ihr Tageswert = 45 Euro, und in ... 4 Arbeitsstunden verkörpert sind, dies Arbeitsquantum also nötig ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren.“ K. Marx, Kapital I.: 205.


“Verwandelt unser Spinner nun während einer Arbeitsstunde 2,5 Pfund Baumwolle in 2,5 Pfund Garn, so in 4 Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10 Pfund Garn. Während der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 4 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Geldbetrag von 45 Euro dar. Der Baumwolle wird also durch das Spinnen selbst ein Wert von 45 Euro zugesetzt.“ K. Marx, Kapital I.: 205.

„Sehen wir uns den Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn an. In ihnen sind 2,5 Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, 0,5 Tage Arbeit eingesaugt während des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Geldbetrag von 225 Euro dar. Der dem Wert der 10 Pfund Garn adäquate Preis beträgt also 225 Euro, der Preis eines Pfundes Garn 22,5 Euro.“ K. Marx, Kapital I.: 205.

„Unser Kapitalist stutzt. Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld hat sich also nicht in Kapital verwandelt.
Der Preis für 10 Pfund Garn ist 225 Euro, und 225 Euro wurden verausgabt auf dem Warenmarkt für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprozesses: 150 Euro für Baumwolle, 30 Euro für die verzehrte Spindelmasse und 45 Euro für Arbeitskraft.

Der aufgeschwollene Wert des Garns hilft nichts, denn sein Wert ist nur die Summe der früher auf Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft verteilten Werte, und aus einer solchen bloßen Addition vorhandener Werte kann nun nimmermehr ein Mehrwert entspringen.

Diese Werte sind jetzt alle auf ein Ding konzentriert, aber so waren sie in der Geldsumme von 225 Euro, bevor diese sich durch drei Warenkäufe zersplitterte.“ K. Marx, Kapital I.: 205.

„Sehn wir näher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 45 Euro, weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, d.h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten.
Aber die vergangne Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne Größen.

Die erstere bestimmt ihren Tauschwert, die andre bildet ihren Gebrauchswert.

Dass ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten.

Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozess sind also zwei verschiedene Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte.“ K. Marx, Kapital I.: 207-208.

„Der Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 208.

„Unser Kapitalist hat den Fall ... vorhergesehen. Der Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nötigen Produktionsmittel nicht nur für einen vierstündigen, sondern für einen achtstündigen Arbeitsprozess. Saugten 10 Pfund Baumwolle 4 Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 Pfund Garn, so werden 20 Pfund Baumwolle 8 Arbeitsstunden einsaugen und in 20 Pfund Garn verwandelt.

Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprozesses.

In den 20 Pfund Garn sind jetzt 5 Arbeitstage vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Baumwoll- und Spindelmasse, 1 von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses.“ K. Marx, Kapital I.: 208.

„Der Geldausdruck von 5 Arbeitstagen ist aber 450 Euro ... Dies ist also der Preis der 20 Pfund Garn. ...

Aber die Wertsumme der in den Prozess geworfenen Waren betrug 405 Euro. Der Wert des Garns beträgt 450 Euro. Der Wert des Produkts ist um 1/9 gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschossenen Wert. So haben sich 405 Euro in 450 Euro verwandelt. Sie haben einen Mehrwert von 45 Euro gesetzt. Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.“ K. Marx, Kapital I.: 208-209

„Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Warentausches in keiner Weise verletzt. Äquivalent (Wertgleiches) wurde gegen Äquivalent (Wertgleiches) ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andre Käufer von Waren tut. Er konsumierte den Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft ... ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 450 Euro.“ K. Marx, Kapital I.: 209

„Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das ... Garn zu 450 Euro, keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er 45 Euro mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineinwarf.“ K. Marx, Kapital I.: 209

„Vergleichen wir nun Wertbildungsprozess und Verwertungsprozess, so ist der Verwertungsprozess nichts als ein über einen gewissen Punkt hinaus verlängerter Wertbildungsprozess. Dauert der letztre nur bis zu dem Punkt, wo der vom Kapital gezahlte Wert der Arbeitskraft durch ein neues Äquivalent (Wertgleiches) ersetzt ist, so ist er einfacher Wertbildungsprozess. Dauert der Wertbildungsprozess über diesen Punkt hinaus, so wird er Verwertungsprozess.“ K. Marx, Kapital I.: 209.

„Als Einheit von Arbeitsprozess und Wertbildungsprozess ist der Produktionsprozess Produktionsprozess von Waren; als Einheit von Arbeitsprozess und Verwertungsprozess ist er kapitalistischer Produktionsprozess, kapitalistische Form der Warenproduktion.“ K. Marx, Kapital I.: 211.

„Man sieht: der früher aus der Analyse der Ware gewonnene Unterschied zwischen der Arbeit, soweit sie Gebrauchswert, und derselben Arbeit, soweit sie Wert schafft, hat sich jetzt als Unterscheidung der verschiedenen Seiten des Produktionsprozesses dargestellt.“ K. Marx, Kapital I.: 211.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg