Kapital I.: 181-191

Handel ist der historische Ausgangspunkt des Kapitals. Handel funktioniert aber nach dem Muster: Verwandlung von Geld in Ware, und Rückverwandlung dieser Ware in Geld. Als Kurzformel: G – W – G. Sinn macht dieser Vorgang nur, wenn der Händler am Ende mehr Geld hat als am Anfang. Die Formel muss also lauten: G – W – G’. Das Geld soll sich für den Händler vermehren. Diesen Zuwachs an Wert nennt Marx Mehrwert.
Aber woher kommt dieser Mehrwert? Der Händler hat nur gekauft und verkauft. Entsteht dadurch Mehrwert? Bisher wurde vorausgesetzt, dass die Waren im Handel zu gleichen Werten ihre Besitzer wechseln. Durch den Austausch von Waren zu gleichen Werten kann also kein Mehrwert entstehen.

Selbst wenn wir voraussetzen, dass die Waren nicht zu gleichen Werten zirkulieren, kann der eine nur gewinnen, was der andere verliert. Durch die Zirkulation der Waren, durch den Handel, entsteht kein Wert, also auch kein Mehrwert.
Gleichzeitig liegt es auf der Hand, dass in der Realität Geld bei dem Vorgang G – W – G vermehrt wird. Aber wie und wo?
Der Mehrwert, der Zuwachs an Wert, entsteht innerhalb der Zirkulation, aber die Zirkulation schafft keinen Wert, also auch keinen Mehrwert. Diesen Widerspruch gilt es aufzuklären.

3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft:

„Die Wertveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll (das heißt: vermehrt werden soll), kann nicht an diesem Geld selbst vorgehen, denn als Kaufmittel und als Zahlungsmittel realisiert es nur den Preis der Ware, die es kauft oder zahlt... Ebenso wenig kann die Veränderung aus dem zweiten Zirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Ware, entspringen, denn dieser Akt verwandelt die Ware bloß aus der Naturalform zurück in die Geldform.
Die Veränderung muss sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G – W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden Äquivalente (gleiche Werte) ausgetauscht, die Ware wird zu ihrem Werte bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d. h. aus ihrem Verbrauch.
Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehen, müsste unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein. ...
Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.“ K. Marx, Kapital I.: 181.

„Unter Arbeitskraft und Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert.“ K. Marx, Kapital I.: 181.

„Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt vorfinde, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein.“ K. Marx, Kapital I.: 181.

„Damit ihr Besitzer seine Arbeitskraft als Ware verkaufe, muss er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein.
Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältnis zueinander als ebenbürtige Warenbesitzer, nur dadurch unterschieden, dass der eine Käufer, der andere Verkäufer der Arbeitskraft ist, beide also juristisch gleiche Personen sind.
Die Fortdauer dieses juristisch gleichberechtigten Verhältnisses verlangt, dass der Eigentümer der Arbeitskraft sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn verkauft er sie ... ein für allemal, so verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Warenbesitzer in eine Ware.“ K. Marx, Kapital I.: 182.

„Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vorfinde, ist die, dass ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst ... als Ware feilbieten muss.“ K. Marx, Kapital I.: 183.

„Zur Verwandlung von Geld in Kapital muss der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.“  K. Marx, Kapital I.: 183.

„Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten.
Gleich allen andren Waren besitzt sie einen Wert. Wie wird er bestimmt? Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem Wert jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. K. Marx, Kapital I.: 184.

„Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also die Existenz dieses Individuums voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eigenen Reproduktion und Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln.

Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.“ K. Marx, Kapital I.: 184-185.

„Die Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw. sind verschieden je nach den klimatischen und anderen natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes.
Andrerseits ist der Umfang sogenannter notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat.
Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element.
Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.“ K. Marx, Kapital I.: 185.

„Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so dass sich diese Rasse eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.“ K. Marx, Kapital I.: 186.

„Um die allgemein menschliche Natur so anzupassen, dass sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung und Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten kostet.
Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten ... gehen also in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte.“ K. Marx, Kapital I.: 186.

„Der Wert der Arbeitskraft löst sich auf in den Wert einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d. h. der Größe der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I.: 186.

 „Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft wird gebildet durch den Wert einer Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozess nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel.
Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten und entwickeln.
Der Wert jeder Ware ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, die erfordert ist, um sie in normaler Güte zu liefern.“ K. Marx, Kapital I.: 187.

„Ein Teil der Lebensmittel, z. B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel usw. werden täglich neu verzehrt und müssen täglich neu ersetzt werden. Andere Lebensmittel, wie Kleider, Möbel usw. verbrauchen sich in längeren Zeiträumen und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waren einer Art müssen täglich, andere wöchentlich, vierteljährlich usf. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber immer während eines Jahres z.B. verteilen möge, sie muss gedeckt sein durch die Durchschnittseinnahme tagein, tagaus.
Wäre die Masse der täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Waren = A, die der wöchentlich nötigen = B, die der vierteljährlich nötigen = C usw., so wäre der tägliche Durchschnitt dieser Waren = (365 A + 52 B + 4 C + usw.) : 365.

Gesetzt, in dieser für den Durchschnittsarbeitstag nötigen Warenmasse steckten 4 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft erheischt.
Dies zu ihrer täglichen Produktion nötige Arbeitsquantum bildet den Tageswert der Arbeitskraft oder den Wert der täglich reproduzierten Arbeitskraft.
Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einem Geldbetrag von 200 Mark oder 100 Euro (= Durchschnitts-Tageslohn in Deutschland = Jahresbruttolohn 1998 geteilt durch 220 Arbeitstage) darstellt, so sind 100 Euro der dem Tageswert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer sie feil für 200 Mark oder 100 Euro täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert. ...“ K. Marx, Kapital I.: 186-187.

„Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen sagt. ... Wird das Arbeitsvermögen nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es vielmehr als eine grausame Naturnotwendigkeit, dass sein Arbeitsvermögen ein bestimmtes Quantum Lebensmittel zu seiner Produktion verlangt hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion verlangt. Er entdeckt dann ... :‚Das Arbeitsvermögen ... ist nichts, wenn es nicht verkauft wird.’“ K. Marx, Kapital I.: 187.

„Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Werts, welcher dem Besitzer dieser eigentümlichen Ware, der Arbeitskraft, vom Geldbesitzer gezahlt wird.
Der Gebrauchswert, den der Geldbesitzer im Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsumtionsprozess der Arbeitskraft.
Alle zu diesem Prozess nötigen Dinge, wie Rohmaterial usw. kauft der Geldbesitzer auf dem Warenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis.
Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozess von Ware und Mehrwert. Die Konsumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder anderen Ware, vollzieht sich außerhalb des Markts oder der Zirkulationssphäre. Diese ... aller Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit dem Geldbesitzer und Arbeitskraftbesitzer, um beiden nachzufolgen in die verborgene Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: Für Unbefugte Zutritt verboten!
Hier wird sich zeigen ... wie das Kapital produziert wird. Das Geheimnis der Plusmacherei muss sich endlich enthüllen.“ K. Marx, Kapital I.: 189.

„Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andere scheu, widerstrebend, wie jemand, der seine eigene Haut zu Markt getragen und nun nichts anderes zu erwarten hat als die – Gerberei.“ K. Marx, Kapital I.: 191.

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.
Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des vorherigen Gedankengangs vorangestellt.
Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.
Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt.

Wal Buchenberg