Heben Lohnerhöhungen die Nachfrage?

Vor jeder Tarifrunde hören wir das Mantra der Gewerkschaftsführer: "Die Löhne müssen rauf, damit die Nachfrage steigt!"
Den Unternehmern wird damit gesagt: "Ihr macht bessere Geschäfte, wenn ihr die Löhne erhöht, denn dann steigt eure Nachfrage!"

Jeder Normalmensch denkt, Lohnerhöhungen dienten dazu, damit die Lohnarbeiter mehr verdienen. Von den Gewerkschaftsführern jedoch werden Lohnerhöhungen damit begründet, dass die Kapitalisten dadurch mehr verdienen.
Ist das nicht komisch?

Schauen wir, was an dem Argument: "Lohnerhöhungen steigern die Nachfrage" dran ist.

Die Warenmenge, die in einem Jahr in der Bundesrepublik verbraucht wird, lässt sich - wie jede Warenmenge - unterteilen in die Elemente: Verbrauchte Produktionsmittel (konstantes Kapital c) + Lohnsumme (variables Kapital v) + Gewinne (Mehrwert m).
Die gesamte Nachfrage ist also: W = c + v + m.

Mit der Lohnsumme v kaufen die Lohnarbeiter ihren Lebensunterhalt.
"Sofern der Arbeiter seinen Lohn allzumeist in Lebensmitteln umsetzt, und zum allergrößten Teil in notwendige Lebensmittel, ist die Nachfrage des Kapitalisten nach Arbeitskraft indirekt zugleich Nachfrage nach den in den Konsum der Arbeiterklasse eingehenden Konsumtionsmitteln. Aber diese Nachfrage ist = v und nicht ein Atom größer ..." K. Marx, Kapital Bd. II. MEW 24, 121.

Die anderen beiden Bestandteile c + m werden von den Kapitalisten gekauft. Sie kaufen neue Produktionsmittel (= konstantes Kapital c) für die Produktion des nächsten Jahres. Von ihrem Gewinn m bestreiten sie teils ihren Lebensunterhalt, teils erweitern sie ihr Kapital und vergrößern ihr konstantes Kapital c (=Akkumulation von Kapital).
Löhne und ein Teil der Gewinne (v + m-a) kaufen also die Konsumtionsmittel des Einzelhandels.
Mit dem konstanten Kapital c und dem nichtverkonsumierten Teil ihrer Gewinne (m-b) kaufen die Kapitalisten neue Produktionsmittel (oder auch Finanzanlagen).

Wie die folgende Grafik zeigt, sind seit 1990 die Inlandsaufträge der Industrie (= im Wesentlichen die Nachfrage nach Produktionsgütern = konstantes Kapital c) insgesamt wenig gestiegen, die Einzelhandelsumsätze (= Nachfrage durch v + m) sind leicht gefallen.

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Helfen Lohnerhöhungen, um die Binnennachfrage in Deutschland zu steigern?

Erstens: Egal wie die Größenordnungen der drei Bestandteile c + v + m auch beschaffen sind: Die Lohnarbeiter können mit ihrer Lohnsumme v niemals die Gesamtmenge kaufen.
Die Lohnsumme v ist immer nur ein Bestandteil der Gesamtnachfrage W.
Wächst die Lohnsumme v, so wird die Nachfrage nach W nur dann größer, wenn andere Bestandteile von W (vor allem: m!) gleich bleiben.

Wenn v wächst und m gleichzeitig sinkt, dann bleibt die Nachfrage ebenso unverändert, wie wenn m steigt und v sinkt.
Weil v nur ein Teil der Gesamtnachfrage ist, gibt es keine direkte Abhängigkeit zwischen Veränderungen der Lohnsumme v und der Nachfrage nach W = c + v + m.
Gerade in den letzten Jahren sind die Gewinne gestiegen, während die Löhne sanken.
Das zeigt die folgende Grafik:

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Zweitens: Trotz oder auch wegen der stagnierenden Binnennachfrage machten die Kapitalisten glänzende Geschäfte - im Ausland. Je niedriger das Lohnniveau in Deutschland ist, desto besser sind sogar die Konkurrenzbedingungen und damit die Gewinnaussichten für deutsche Kapitalisten im Ausland.
"... der Profit (kommt) ja gerade dadurch her ..., dass die Nachfrage der Arbeiter kleiner ist als der Wert ihres Produkts (c + v + m), und der Profit (ist) umso größer ..., je relativ kleiner diese Nachfrage ist." K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 469.

Die Kapitalisten machen nicht bessere Geschäfte durch Lohnerhöhungen. Das haben sie noch nie geglaubt und auch durch ständige Wiederholung dieser Behauptung werden sie es auch in Zukunft nicht glauben. Kapitalisten machen bessere Geschäfte durch Lohnsenkungen.

Lohnerhöhungen sind nicht nötig, damit es den Kapitalisten besser geht, Lohnerhöhungen sind nötig, damit es den Lohnarbeitern besser geht.

Wal Buchenberg, 8. Januar 2010.