Kapitalisten, eine aussterbende Art

1. Zu den Zeiten von Marx nahm die Zahl der Kapitalisten noch zu. Enteignet wurden damals vor allem vorkapitalistische Produzenten:
„Der Entwicklungsgang der kapitalistischen Produktion und Akkumulation bedingt Arbeitsprozesse auf steigend größerer Stufenleiter und damit steigend größeren Dimensionen und dementsprechend steigende Kapitalvorschüsse für jedes einzelne Unternehmen.
Wachsende Konzentration der Kapitale (begleitet zugleich, doch in geringerem Maß, von wachsender Zahl der Kapitalisten) ist daher sowohl eine ihrer materiellen Bedingungen wie eins der von ihr selbst produzierten Resultate.
Hand in Hand, in Wechselwirkung damit, geht fortschreitende Enteignung der mehr oder minder unmittelbaren Produzenten.“ K. Marx, Kapital 3. S. 229.

2. Heute sind die Kapitalisten eine aussterbende Art, die nicht so stark nachwächst wie sie wegstirbt.
2.1 Großkapitalisten sind nur eine kleine, radikale Minderheit:

„Unter den 25.000 Einkommensmillionären, die 1992 in Deutschland registriert wurden, waren die Selbständigen in den freien Berufen mit 3.000 Fällen überdurchschnittlich vertreten. Zu ihnen zählten überwiegend Ärzte, Rechtsanwälte und Notare sowie Architekten.“ LitDokAB 99/2000-1, a-909. Diese traditionellen Selbständigen sind keine Kapitalisten. Also bleiben nur rund 20.000 große Kapitalisten mit einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million.
Die „Macht asiatischer und ägyptischer Könige .... ist in der modernen Gesellschaft auf den Kapitalisten übergegangen, ob er nun als vereinzelter Kapitalist auftritt, oder, wie bei Aktiengesellschaften, als kombinierter Kapitalist.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 353.

2.2 Die Zahl der kleinen und mittleren Kapitalisten geht durch Konzentration und Zentralisation des Kapitals zurück. Die Kapitalisten enteignen sich gegenseitig.
„1994 gab es 454.300 Handwerksunternehmen mit 6,1 Millionen Beschäftigten (= 13,4 pro Unternehmen).“ LitDokAB 1998/99 a-1063.

„Bis zum Jahresultimo des Jahres 1999 werden in den alten und neuen Bundesländern rund 33.500 Gesamtinsolvenzen zu zählen sein. Unter diesen Gesamtinsolvenzen befinden sich 27.400 Unternehmensinsolvenzen." LitDokAB 2000, a-518.

„In den Jahren 1995 bis 2000 werden 300.000 Unternehmensübertragungen im Mittelstand erwartet.“  LitDokAB 1998/99 a-715.

 „Konzentration des Kapitals. Akkumulation der großen Kapitalien durch Vernichtung der kleinen. ... Entkapitalisierung der Mittelverbindungen von Kapital und Arbeit. Es ist dies nur die letzte Potenz und Form des Prozesses, der die Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt, dann das Kapital und die Kapitalien reproduziert auf weiterer Stufenleiter, endlich die auf den vielen Punkten der Gesellschaft gebildeten Kapitalien von ihren Besitzern trennt und in den Händen großer Kapitalisten zentralisiert. Mit dieser äußersten Form des Gegensatzes und Widerspruchs ist die Produktion, wenn auch in entfremdeter Form, in gesellschaftliche verwandelt. Gesellschaftliche Arbeit und im wirklichen Arbeitsprozess Gemeinsamkeit der Produktionsinstrumente.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III., MEW 26.3, 309.

EU-weit ist das Kapital allerdings noch nicht so konzentriert wie in Deutschland. Dort gibt es noch viel zu enteignen und zu konzentrieren:
„Die 16 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen Europas, die 99,8 % aller Betriebe in der EU stellen, reichen von durchschnittlich elf bis dreizehn Beschäftigten (Niederlande bzw. Österreich) bis zu vier bis fünf Mitarbeitern (Italien bzw. Spanien).“ LitDokAB 99/2000-2, b-583.

2.3 Betriebsneugründungen sind entweder Ausgründungen oder sie überleben nicht lange.
Bei Betriebsgründungen „sind grundsätzlich zwei Gründungstypen - Neugründungen und Ausgründungen - zu unterscheiden.“ LitDokAB 1998/99 a-747.

2.3.1 Soweit sich die Unternehmenszahl vermehrt, handelt es sich vor allem um Ausgründungen:
„Insgesamt wurden in den Gewerbe- und Handelsregistern 722.000 Betriebe eingetragen (Vorjahr: 715.000). Auf der anderen Seite stehen 591.000 Löschungen, so dass sich ein Saldo von 131.000 Eintragungen ergibt. (Vorjahr: 129.200), von denen aber 35.000 nicht wirtschaftsaktive Gründungen abzuziehen sind." LitDokAB 2000, a-518.

2.3.2Neugründungen weisen ein hohes Sterberisiko auf, nach 10 Jahren ist ca. die Hälfte aller neugegründeten Unternehmen wieder vom Markt verschwunden.“ LitDokAB 1998/99 a-829.

3. Indem bezahlte Lohnarbeiter (Manager) die bisher notwendigen und nützlichen Funktionen der aktiven Kapitalisten übernehmen, werden die Kapitalisten ganz überflüssig:
„Die kapitalistische Produktion selbst hat es dahin gebracht, dass die Arbeit der Oberleitung, ganz getrennt vom Kapitaleigentum, auf der Straße herumläuft. Es ist daher nutzlos geworden, dass diese Arbeit der Oberleitung vom Kapitalisten ausgeübt werde.
Ein Musikdirektor braucht durchaus nicht Eigentümer der Instrumente des Orchesters zu sein, noch gehört es zu seiner Funktion als Dirigent, dass er irgendetwas mit dem 'Lohn' der übrigen Musikanten zu tun hat.
Die Kooperativfabriken liefern den Beweis, dass der Kapitalist als Funktionär der Produktion ebenso überflüssig geworden, wie er selbst ... den Großgrundbesitzer überflüssig findet.“ K. Marx, Kapital 3. S. 400.

„Die Aktienunternehmungen überhaupt - entwickelt mit dem Kreditwesen - haben die Tendenz, diese Verwaltungsarbeit als Funktion mehr und mehr zu trennen von dem Besitz des Kapitals, sei es eigenes oder geborgtes. ...
Indem aber einerseits dem bloßen Eigentümer des Kapitals, dem Geldkapitalisten, der fungierende Kapitalist gegenübertritt und mit der Entwicklung des Kredits dies Geldkapital selbst einen gesellschaftlichen Charakter annimmt, in Banken konzentriert und von diesen, nicht mehr von seinen unmittelbaren Eigentümern ausgeliehen wird; indem andererseits aber der bloße Manager, der das Kapital unter keinerlei Titel  besitzt, weder leihweise noch sonst wie, alle realen Funktionen versieht, die dem fungierenden Kapitalisten als solchem zukommen, bleibt nur der Funktionär und verschwindet der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozess.“ K. Marx, Kapital 3. S. 401.

„Die Kapitalisten werden als Funktionäre ... in demselben Maß überflüssig, als sie per procura der Gesellschaft die Nutznießung eingehen und als Eigentümer dieses gesellschaftlichen Reichtums und Kommandeure der gesellschaftlichen Arbeit aufgebläht werden.
Es geht ihnen wie den Feudalen, deren Ansprüche in demselben Maß als ihre Dienste überflüssig wurden mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft, sich in bloße zeitwidrige und zweckwidrige Privilegien verwandelten und damit ihrem Untergang entgegeneilten.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III., MEW 26.3, 309.

Soweit nicht anders vermerkt stammen Daten und Zitate aus: Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, div. Jhrg.
Wal Buchenberg, 16.11.2001