Freiberufler und Selbständige

1. Historisch gesehen gehört die Masse der Freiberufler zum traditionellen 'Mittelstand', der vor der industriellen Revolution überall die Mehrheit der städtischen Bevölkerung ausmachte: kleine Handwerksmeister, Händler und Gewerbetreibende. Ihre Arbeit ist individuell und damit vorkapitalistisch und wurde zunehmend durch kapitalistische Lohnarbeit ersetzt.
"Innerhalb der EU gibt es ca. 18 Millionen Selbständige, das entspricht 13 % der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung." LitDokAB 99/2000-1, a-902.
In Deutschland sind es knapp 1 Million, also nur noch gut 3 Prozent aller Erwerbstätigen: "Nach der Einkommenssteuerstatistik 1992 gab es 958.000 mit Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit;" LitDokAB 99/2000-1, a-909.

1.1. Es gibt fundamentale ökonomische Unterschiede innerhalb der Gruppe der Freiberufler und Selbständigen:
Einmal spielt es eine wesentliche Rolle, inwieweit ihr Einkommen auf eigener oder auf fremder Arbeit beruht. Derzeit sind rund 50 % aller Freiberufler selbständige Einzelarbeiter:
"Selbständige Einzelarbeiter ohne sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter machen 50 % aller Selbständigen aus". LitDokAB 99/2000-1, a-898.
Die andere Hälfte beutet in unterschiedlichem Ausmaß auch fremde Arbeit aus. (Wirklicher Kapitalist wird jemand jedoch erst, wenn er soviel fremde Arbeit ausbeutet, dass er ganz von fremder Arbeit lebt bzw. davon leben könnte.)

1.2. Daneben spielt es eine Rolle, ob die konkrete Tätigkeit der Freiberufler produktiv oder unproduktiv ist, also Reichtum schafft oder fremden Reichtum verzehrt. In der Terminologie von A. Smith sind ein Bauer, ein selbständiger Architekt oder ein Ingenieur produktive Arbeiter, während ein selbständiger Rechtsanwalt, ein Arzt oder ein Künstler unproduktive Arbeiter sind.
(Dies gilt nur für selbständig Arbeitende. Für Lohnarbeiter dagegen spielt es keine Rolle, welche Tätigkeit sie ausüben. In der Terminologie von K. Marx sind alle Lohnarbeiter produktive Arbeiter, die für einen Kapitalisten dessen Kapital vermehren.)

2. Moderne Selbständigkeit wird zunehmend zum sozialen Abstieg aus der Lohnabhängigkeit: 
"At the same time, going self-employed has become an increasingly common escape route from unemployment." LitDokAB 1998/99 b-1017.

"Die Zahl der selbständig Erwerbstätigen in Deutschland hat seit Beginn der 80er Jahre leicht und seit Beginn der 90er Jahre verstärkt zugenommen. ... Verstärkt wandten sich Frauen oder Ausländer dieser Erwerbsform zu." LitdokAB 99/2000-1, a-898.

"Nicht mehr jeder Hochschulabsolvent kann damit rechnen, eine feste Anstellung zu finden, und freigesetzte Fach- und Führungskräfte - zu jung für die Pensionierung - müssen sich selbständig machen." LitDokAB 1998/99 a-1501.

"Im Arbeits- und Sozialrecht ist der Unterschied zwischen geschützter abhängiger Arbeit einerseits und ungeschützter selbständiger Tätigkeit andererseits so krass, dass der Anreiz, abhängige Beschäftigung in 'neue Selbständigkeit' umzuwandeln groß ist." LitDokAB 99/2000-2, b-1330.

"Die Bereitschaft von Arbeitslosen, sich selbständig zu machen, ist in den alten Bundesländern ausgeprägter". LitDokAB 1998/99 a-1509.

3. Das Einkommen der Freiberufler umfasst die ganze Skala von Arm bis Reich:
"Nach der Einkommenssteuerstatistik 1992 gab es 958.000 mit Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit; bei reichlich der Hälfte übertrafen diese Einkünfte diejenigen aus anderen Quellen. ...
Mit einem durchschnittlichen Gesamtbetrag der Einkünfte von 241.000 DM standen die Wirtschafts- und Buchprüfer an der Spitze der Einkommenshierarchie, gefolgt von den Zahnärzten (222.000) und den Ärzten (206.000).
Freischaffende Künstler erzielten vergleichsweise niedrige Einkünfte (65.000 DM). ...
Unter den 25.000 Einkommensmillionären, die 1992 in Deutschland registriert wurden, waren die Selbständigen in den freien Berufen mit 3.000 Fällen überdurchschnittlich vertreten. Zu ihnen zählten überwiegend Ärzte, Rechtsanwälte und Notare sowie Architekten." LitDokAB 99/2000-1, a-909.

"In herkömmlichen Arbeitsfeldern und Berufsbildern der Freien Berufe sind die Niederlassungspotentiale vielfach als moderat anzusehen sind." LitDokAB 2000, b-846.

Der Armutsbericht der Hans-Böckler-Stiftung berechnete die Gruppe der  Selbständigen auf gut 9 % der Erwerbsbevölkerung. Davon waren fast  8 % Arme und 23 % mit Niedrigeinkommen. (Hanesch/ P. Krause/ G. Bäcker, Armut und Ungleichheit in Deutschland. Der neue Armutsbericht der Hans-Böckler-Stiftung, des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. rororo November 2000, S. 81. )

Falls nicht anders angegeben sind Daten und Zitate aus: Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, div. Jhrg.