Kündigung eines Zimmermanns
Vor Gericht erschienen sind der gelernte Zimmermann, Herr A., mit Rechtsanwalt als Kläger und der Inhaber eines Betriebs für Zimmerei, Bautischlerei und Innenausbau mit Rechtsanwalt als Beklagter. Der Kleinkapitalist beschäftigte 5 Mitarbeiter plus Ehefrau in Teilzeit, damit fällt sein Betrieb unter das Kündigungsschutzgesetz.
Gekündigt hatte er dem Zimmermann im Jahr 2001 wegen eines Geschäftseinbruchs und nach einigen Wochen angemeldeter Kurzarbeit. Bei einer betriebsbedingten Kündigung müssen soziale Gesichtspunkte mitberücksichtigt werden.

Zunächst wundert sich die Richterin, wie ein Betrieb mit so geringem Jahresumsatz fünf Mitarbeiter mit 2500 Euro Monatslohn beschäftigen könne; eigentlich müsse das Unternehmen doch längst pleite sein. Der Kleinkapitalist schweigt dazu. Schließlich gibt es ja auch Schwarzarbeit und über Schwarzarbeit spricht man nicht.

Der Zimmermann A. klagt dagegen, dass bei seiner Kündigung die üblichen Kriterien einer betriebsbedingten Kündigung verletzt worden sind. Diese Kriterien hätten auf den Kollegen B. eher zugetroffen als ihn.
Die Richterin geht das im Einzelnen durch: Der Zimmermann ist 51 Jahre alt, sein Kollege B. 30 Jahre. Die Ehefrau des Zimmermanns ist nicht berufstätig, die Ehefrau des Kollegen B. ist berufstätig. Bleibt als letztes Kriterium noch die Betriebszugehörigkeit: Der Zimmermann war seit 1994 in dem Kleinbetrieb beschäftigt, sein Kollege ganze drei Monate länger.
Die Richterin kommt zu dem Schluss, in zwei der drei Kriterien sei eine Kündigung für den jüngeren Kollegen eher zumutbar gewesen, wobei drei Monate Betriebszugehörigkeit nicht ins Gewicht fallen können.

Der Firmenchef behauptet noch, dass die beiden keine vergleichbaren Arbeiter seien, weil der Kollege B. Tischler gelernt habe, der Kollege A. nur Zimmermann. Die Richterin weist ihn darauf hin, dass er beide Arbeiter gleichermaßen in allen Tätigkeiten eingesetzt habe und beide gleich bezahlt habe. Wenn trotzdem ein Qualifikationsunterschied da wäre, wäre eine Einarbeitungszeit für den älteren Arbeiter möglich gewesen.

Die Kündigung ist erfolgt, aber nicht nach den Kriterien, die das Gesetz vorschreibt. Schließlich sagt der Kleinkapitalist offen, worauf es ihm ankam: Der Zimmerer A. könne ja nicht mehr so auf den Dachstuhl klettern wie der jüngere Kollege. Tatsächlich sieht der Gekündigte alt und abgearbeitet aus – viel älter, als seine 51 Lebensjahre vermuten lassen. Man könnte ihn auch für 60 oder älter halten, aber muss ein Lohnarbeiter nicht bis 65 arbeitsfähig bleiben?

Das Profitinteresse steht hier im offenen Widerspruch zum Gesetzestext. Man weiß allerdings, was in diesem Widerstreit siegt.
Die Richterin macht ihren Rundumschlag: Falls die Kündigung für unwirksam erklärt wird, müsse der Firmenchef für ein Jahr den Lohn nachzahlen. Der Mann kriegt sofort einen dicken Hals und ruft: Dann geht er noch heute hin und macht seinen Laden dicht, dann steht nicht nur der eine auf der Straße, sondern die andern vier auch!

Auch der Zimmermann wird von der Richterin bearbeitet: Sie gehe davon aus, dass ihm rund 10.000 Euro an Lohnnachzahlung zustehen, allerdings würde der Großteil davon ans Arbeitsamt und die Sozialversicherung gehen. Unterm Strich blieben ihm dann vielleicht 3000 Euro.
Sie schlägt daher als Vergleich eine Abfindung von 5000 Euro für den Verlust des Arbeitsplatzes vor. Dem Vergleich stimmen beide Parteien als „freie Vertragspartner“ unter richterlicher Assistenz zu.
Der Kleinkapitalist wollte den alten und verbrauchten Arbeiter trotz entgegenstehender Rechtsvorschrift kündigen. Seine Kündigung bekam schließlich die „freiwillige“ Zustimmung des entlassenen Arbeiters und der Kleinkapitalist hat sich unter aktiver Mithilfe der Richterin für 5000 Euro von der profitmindernden Rechtsvorschrift freigekauft. Die Richterin protokolliert den Vergleich und spart dem Kapitalisten ein ungünstiges Urteil. (22.11.2002)