Illegale Hausgehilfin
Barbara S., polnische Staatsbürgerin, arbeitete als Putzfrau bei Deutschen. Am 27. August 2001 verletzte sie sich am rechten Mittelfinger. Sieben Tage später mussten Ärzte am Klinikum Hannover Oststadt die Fingerkuppe amputieren. Noch in derselben Woche verließ Barbara S. Deutschland.
Vergangenen Freitag kehrte sie für zwei Tage zurück. Um vor dem Arbeitsgericht Hannover für ihre Klage einzutreten: auf Zahlung von 1.403,91 Euro Lohn und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das Verfahren richtet sich gegen das Ehepaar Veronika R. und Horst R. aus Lehrte bei Hannover.
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Es gab eine Anzeige in der polnischen Zeitung Auto Gielda Dolnoslaska, erschienen am 5. Juni 2001, aufgegeben von den R.s: "Arbeiten in Deutschland. Deutsche Familie sucht Haushaltshilfe. Voraussetzung Deutsch oder Englisch. Hannover (Deutschland)." Darunter die Telefonnummer der R.s.
Barbara S., 45 Jahre alt, spricht weder Englisch noch Deutsch. Sie brauchte Geld. Ihr Haus im polnischen Stare Bogaczowice liegt im Quellgebiet der Oder. Dreimal in den letzten Jahren kämpfte sie gegen die Flut im Keller. In ihren gelernten Berufen - Agrartechnikerin und Speisen-Dekorateurin - konnte sie im Sommer 2001 nicht arbeiten: Wegen einer Krankheit bekam sie Sozialrente. Zu der durfte sie sich nach polnischem Recht etwas dazuverdienen.

(...) Den ersten Telefonkontakt zu den R.s hatte ein deutsch sprechender Nachbar in Stare Bogaczowice hergestellt. Doch die Verständigung schien kein Problem zu sein. Veronika R., medizinisch-technische Assistentin, 41 Jahre alt, ist gebürtige Polin. Ihre Kinder sprechen fließend Deutsch und Polnisch; früher arbeiteten im Haushalt polnische Au-pair-Mädchen.
Was die beiden Frauen in den folgenden Telefongesprächen vereinbarten, ist strittig. Fest steht: Am 7. August 2001 zog Barbara S. ins Haus der R.s in Lehrte ein. Ohne Arbeitsvertrag, ohne Arbeitserlaubnis und ohne Sozialversicherung, bei freier Kost und Logis.
 
(...) "200 Mark für einen Monat Putzen, Kochen, Bügeln, Kinder betreuen, zehn Stunden jeden Tag." Schon nach der ersten Woche bei sei ihr klar gewesen, dass sie betrogen werden solle. 1.200 Mark habe Veronika R. ihr am Telefon versprochen - und plötzlich sollten es nur 200 sein. Die Sozialabgaben seien so hoch, habe sie zu hören bekommen. Niemand lässt sich so was bieten. Aber ihr habe Geld für die Rückfahrkarte gefehlt.

Dann der Unfall. Sie schaut auf ihren rechten Mittelfinger. Rot und kurz ist der, mehrfach operiert und höchst empfindlich. Aufräumarbeiten in der Vorratskammer der R.s, ein Ratscher an der Werkzeugkiste, ein Nichts. Bis es sich entzündete. Bis Horst R., der Arzt, es versäumt habe, sie rechtzeitig zur Behandlung ins Krankenhaus zu bringen. Sie wischt sich über die Wange.

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Horst R. sitzt im Café und raucht die dritte Zigarette in 45 Minuten. Seine Frau und er haben vor Gericht eine gütliche Einigung abgelehnt. Der Richter hatte einen eleganten Ausweg aufgezeigt. Legalisierung des Arbeitsverhältnisses, ausnahmsweise und im Nachhinein. Voraussetzung: die R.s zahlen den ausstehenden Lohn. Damit aber würden sie auch das Beschäftigungsverhältnis anerkennen.

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Horst R. schüttelt den Kopf. Er weiß, dass ihm und seiner Frau jetzt möglicherweise der Staatsanwalt droht. "Wir haben Fehler gemacht", sagt er. "Aber die sind in Unkenntnis geschehen." Er zündet eine vierte Zigarette an. Sein Schwager, erzählt er dann, beschäftige regelmäßig polnische Saisonarbeiter. Ganz legal. "Es gibt Arbeiten, für die findet man keine Deutschen." Und das hätte eben auch jener Freund gesagt, für den sie die Anzeige geschaltet hätten. Als die Vermittlung nicht geklappt habe, hätten er und seine Frau Barbara S. helfen wollen, etwas anderes zu finden. Weil die Bewerberin so nett war.
Im Gegenzug sei Barbara S. oft mittags da gewesen, wenn der Sohn aus der Schule kam, habe ab und zu gekocht oder auch das Bad gewischt, wenn sie nicht gerade ihrer Putztätigkeit bei anderen Leuten nachgegangen sei, und abends hätte sie auch mal die Kinder gehütet. "Alles im Rahmen dessen, was man in einer Wohngemeinschaft so füreinander tut", sagt er. "Wir fanden das ganz angenehm, dass sie da war. Man gewinnt dadurch mehr Flexibilität."
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Das Berliner Institut für Wirtschaftsforschung hat ermittelt, dass 1999 in Deutschland etwa 2,7 Millionen Privathaushalte regelmäßig eine Putz- oder Haushaltshilfe beschäftigten. Bei der Sozialversicherung sind 38.000 Haushaltshilfen angemeldet.
Die Verhandlung mit dem Aktenzeichen 13Ca268/02 wird am 20. Dezember fortgesetzt. Das Arbeitsgericht Hannover will dann mehrere Zeugen hören.
Gekürzt aus: taz vom 18.9.02