Alkoholikerärzte Vor dem Arbeitsgericht sind
erschienen eine Krankenschwester mit ihrer Freundin und Rechtsanwalt als
Klägerin und ein Rechtsanwalt als Vertreter des beklagten
Paracelsus-Krankenhauses. Zur Verhandlung steht eine Kündigung der
Krankenschwester vom 13.7.2001, die fristlos entlassen wurde, weil sie
sich beim Mittagessen in der Kantine kritisch über den Alkoholkonsum von
Ärzten ihres Krankenhauses geäußert hatte.
Dass Krankenhausärzte
mit ihren überlangen Dienstzeiten von bis zu 36 Stunden am Stück anfällig
für übermäßigen Alkoholkonsum sind, ist allgemein bekannt. Trotzdem ist es
für ein Krankenhaus und erst recht für die Patienten eine schlimme
Nachricht, wenn gerade ihren Ärzten ein Alkoholproblem nachgesagt
wird. So kommt es zu dem offiziellen Lügengebäude, bei dem zwar jeder
weiß, ein hoher Prozentsatz von Krankenhausärzten ist alkoholabhängig, wo
gleichzeitig so getan wird, als gäbe es das nur in allen anderen Kliniken,
nie in dem Krankenhaus, in dem man sich gerade befindet. Im Altertum
wurden die Überbringer schlechter Nachrichten geköpft. In diesem Fall
wurde die Krankenschwester als Überbringerin der bösen Nachricht fristlos
entlassen.
Anlass ihrer Bemerkungen war, dass beim Mittagstisch
erzählt wurde, im anderen Krankenhaus des Ortes sei eine hauseigene Bar
eröffnet worden. Im Kündigungsschreiben war die Reaktion der
Krankenschwester folgendermaßen wiedergegeben worden: „Für so eine Bar
hätten wir unter unseren Ärzten auch regelmäßige Besucher. Dr. W. und Dr.
C. konsumieren Alkohol in rauen Mengen. Das weiß auch unsere Leitung. Dr.
W ist jeden Abend auf Kneipentour und lässt sich voll
laufen.“
Im folgenden Kündigungsprozess wurden mehrere Zeugen
des Gesprächs vernommen. Ein Zeuge bestätigte, dass die Klägerin sich
kritisch über den Alkoholkonsum der Ärzte geäußert hatte, aber ohne
Namensnennung und ohne Bezug auf Herrn Dr. W. Ein zweiter Zeuge erinnert
sich nur an abfällige Bemerkungen über alkoholisierte Ärzte. Und: „Wir
haben hier auch welche, die gerne einen heben.“ Auch dieser Zeuge schloss
ausdrücklich aus, dass Dr. W. oder Dr. C. namentlich genannt worden waren.
Ein dritter Zeuge hatte die Äußerungen so in Erinnerung: „Der Dr. W.
ist ja auch für seinen Alkoholkonsum bekannt.“ Ein dritter Zeuge will gehört
haben: „Der Dr. W. ist sogar in seiner Dienstzeit im Krankenhaus
betrunken.“
Die Klinikleitung konnte im Kündigungsprozess die
zur Last gelegten Äußerungen nicht belegen. Zwei Zeugen erinnerten sich
nicht an eine Namensnennung, einer bezeugte nur eine Aussage, die im
Kündigungsschreiben nicht genannt war. Nicht bestätigt wurde die Äußerung,
dass die Krankenhausleitung über den Alkoholkonsum des Dr. W. oder anderer
Ärzte Bescheid wisse. Damit war, wie die Richterin zusammenfasste,
„eigentlich nichts bewiesen“. In erster Instanz wurde die fristlose
Kündigung für unwirksam erklärt, die Krankenhausleitung hatte jedoch
Widerspruch gegen dieses Arbeitsgerichtsurteil eingelegt.
Dann ging
viel Zeit ins Land. Die Krankenschwester war und blieb fast ein Jahr
arbeitslos. Schließlich fiel der Stein, den sie ins Rollen gebracht hatte,
doch noch den richtigen Leuten auf die Füße: Die Leitung des
Paracelsus-Krankenhauses wurde ausgetauscht, und die Krankenschwester im
Jahr 2002 von der neuen Leitung wieder eingestellt. Das Gehalt zahlte man
ihr rückwirkend auch für die Zeit nach, in der sie nicht gearbeitet hatte.
Bei der heutigen Verhandlung in der zweiten Instanz gab es für das Gericht
nichts mehr zu entscheiden.
Es bleibt zu hoffen, dass die
Alkoholikerärzte des Paracelsus-Krankenhauses auf Entziehungskur geschickt
wurden. Solange die überlangen Dienstzeiten und der Arbeitsstress im
Krankenhaus bleiben, werden wir wohl auch mit alkoholkranken Ärzten leben
müssen. Und solange Klinik- wie Unternehmensleitungen nicht von der
Belegschaft gewählt werden und allein der Belegschaft verantwortlich sind,
werden wir auch mit dem Lügengebäude leben müssen, dass es Alkoholprobleme
immer nur bei den Nachbarn, nie im eigenen Haus gibt.
Wal
Buchenberg, 06.02.03.
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